Arabische Frauen und das Internet

Auch wenn die Anzahl der Internetanschlüsse in den arabischen Ländern nach wie vor gering ist, profitieren Frauen schon jetzt von neu entstehenden Internetcafés und von Chatrooms. Ein Vortrag von Professor Musa Shteiwi von der Universität Amman.

Auch wenn die Anzahl der Internetanschlüsse in den arabischen Ländern nach wie vor gering ist, profitieren Frauen schon jetzt von neu entstehenden Internetcafés und von Chatrooms.

Musa Shteiwi
Musa Shteiwi

​​Nach einem zögerlichen Start wächst die Benutzung des Internets in der arabischen Welt rasch an. Aber trotz der Ähnlichkeiten und Gemeinsamkeiten der arabischen Welt wie Sprache, Kultur oder Religion gibt es bedeutende Unterschiede und Ungleichheiten im Hinblick auf die sozialen, politischen und wirtschaftlichen Strukturen. Dennoch, die wichtigste Gemeinsamkeit der arabischen Kulturen ist die konservative Natur des Wertesystems, besonders wenn es um Frauen und Sexualität geht. Als das Internet Mitte der neunziger Jahre in der Region seinen Einzug hielt, traf es auf starken Widerstand undemokratischer Regierungen und konservativer politischer und sozialer Gruppen. Die Hauptgründe für die Opposition gegen das Internet und den Versuch, es zu kontrollieren, waren politische und soziale. Politisch, weil die großen autokratischen Regime befürchteten, ihre Staatsangehörigen könnten Zugang zu Informationen über ihr eigenes Verhalten bekommen und neuen Ideen ausgesetzt werden. Vor dem Aufkommen des Internets waren die Regierungen in der Lage, solchen Zugang zu kontrollieren und zu zensieren.

Aber die Ängste der sozialen konservativen Gruppen waren nicht weniger bedeutsam. Sie wollten nicht, dass Individuen (besonders Frauen und Jugendliche) neuen westlichen Werten, Haltungen und Verhaltensweisen ausgesetzt werden, die als unmoralisch und korrupt gelten. Vor der Einführung des Internets hatten Frauen und Jugendliche kaum unabhängigen Zugang zur Außenwelt, und ihr Verhalten wurde stets von der Familie kontrolliert. Doch trotz des politischen und sozialen Widerstands gegen die Einführung und Nutzung des Internets wurde erkennbar, dass es unmöglich sein würde, dieses revolutionäre Kommunikationsmittel zu verbieten oder gar völlig zu kontrollieren.

Internet als modernisierende Kraft

Heute gestatten fast alle arabischen Länder bis zu einem gewissen Grad den öffentlichen Zugang zum Internet, und die Nutzung des Internets erfreut sich - besonders unter den Jugendlichen - wachsender Beliebtheit.

In einigen Ländern, z.B. in Jordanien, wird das Internet bereits in Schulen, Universitäten und in Regierungsämtern eingesetzt. Überall entstehen Internetcafés als akzeptable Alternative zu den hohen Kosten eines eigenen PCs. Das Internet besitzt durchaus das Potential, als modernisierende Kraft in der arabischen Welt zu wirken: Es kann dazu beitragen, die knappen Unterrichtsmittel zu bereichern, neue Unterhaltungsmodelle bieten und als Kommunikationsmittel für Menschen dienen, die räumlich, kulturell, politisch oder aufgrund der Geschlechterzugehörigkeit voneinander getrennt sind. Hinzu kommt, dass das Internet die arabischen Frauen darin unterstützen kann, ihre Rechte geltend zu machen, Zugang zu Information und neuen Gedanken zu finden und ihnen einen neuen öffentlichen Raum zu bieten.

Freie Interaktionsmöglichkeit für Frauen

Einzigartig an der Benutzung des Internets ist sein individueller Aspekt. Anders als die meisten modernen Kommunikationsmittel, die ‚familienorientiert’ sind, ist das Internet auf das Individuum zugeschnitten.

Dieser Aspekt ist besonders für Frauen und Jugendliche in der arabischen Gesellschaft von Bedeutung. Verhalten und soziale Interaktion von Frauen in der konservativen arabischen Kultur stehen meist unter der kritischen Aufsicht und Kontrolle der Familie, des Stammes und der ganzen Gesellschaft. Das Internet aber ermöglicht Frauen, die traditionellen sozialen Kontrollmöglichkeiten zu umgehen. Sie können das Medium allein und außerhalb der Kontrolle der Familie nutzen, sie können dabei anonym bleiben, was sie zu individueller, freier Interaktion befähigt.

Die Wirkung des Internets auf Frauen ist allerdings von Faktoren wie Alter, Ausbildung, Wohnort, Ehestand und Klassenzugehörigkeit abhängig. Allgemein dient das Internet Frauengruppen und Aktivisten als Forum für Diskussionen und als wertvolle Quelle für Informationen, wodurch viele Frauen erreicht werden können, die sonst schwer zu erreichen wären. Es gibt etliche Frauenwebsites, die Informationen über Frauenthemen zur Verfügung stellen, die noch immer als Tabu gelten und in den traditionellen Medien schwer zu diskutieren wären. Durch solche Seiten erhalten Frauen Zugang zu Informationen, sie kommen in Kontakt mit anderen Aktivistinnen und Organisationen, was zu ihrer Stärkung beiträgt.

Überwindung sozialer Isolation

Außerdem hat das Internet auf die Forderung der Frauen reagiert, ein ausgewogeneres Bild der Rolle der Frau in der Gesellschaft darzustellen und den herrschenden Stereotypen, dass arabische Frauen nichts anderes sind als Töchter, Ehefrauen und Mütter, etwas entgegenzusetzen.

Die Möglichkeit für Frauen, mit Männern zu kommunizieren, die nicht zur Familie gehören, ist traditionellerweise nicht gestattet und wird von den Männern der Familie kontrolliert. Chatrooms und E-Mail-Kontakte helfen den Frauen, ihre soziale Isolation zu überwinden und die Kontrolle der Männer zu schwächen.

Zusätzlich erhalten die Frauen Informationen über Themen wie Politik, Kultur, Musik, und Sexualität, was wiederum zu einer intellektuellen Bereicherung und damit zu einer Stärkung ihres Selbstbewusstseins führt.

Zunehmende Verbreitung von Internetcafés

Da ein eigener PC mit Internetanschluss sehr teuer ist, wachsen Internetcafés überall in den arabischen Städten aus dem Boden, in der Nähe der Universitäten, Schulen und anderer Einrichtungen. In der jordanischen Stadt Irbid gibt es in einer ein Kilometer langen Strasse mehr als einhundert Internetcafés. Internetcafés haben für Frauen einen doppelten Nutzen: Sie bieten nicht nur Zugang zum Internet, sondern geben ihnen außerdem die Möglichkeit, sich mit Männern im öffentlichen Raum zu treffen. Die Internetcafés sind daher sehr beliebt und entwickelten sich zu einem öffentlichen Treffpunkt für junge Leute - Männer wie Frauen - und schufen dadurch für Frauen die Möglichkeit, ihre persönliche Freiheit auszudehnen und mit anderen Männern soziale Beziehungen einzugehen, die sonst nicht möglich wären. Internet und Internetcafés tragen damit signifikant zum Entstehen einer Jugendkultur in der arabischen Welt bei und schaffen gleichzeitig die Basis für einen Kontakt zur internationalen Kultur. Diese entstehende Jugendkultur ist auch eine Herausforderung für die traditionelle arabische Kultur und ebnet damit den Weg für entscheidende kulturelle Veränderungen.

Weltweit niedrigster Prozentsatz an Internetnutzern in arabischer Welt

Allerdings sollte die positive Wirkung der Internetnutzung auf die arabischen Frauen nicht überbewertet werden. Analphabetismus, Armut, Sprachbarrieren und die Abgeschiedenheit der ländlichen Gegenden, in denen kein Internet existiert, reduzieren dessen Einfluss auf bestimmte Gruppen in der Gesellschaft. Die arabische Welt hat den niedrigsten Prozentsatz an Internetnutzern weltweit, während Frauen das Internet prozentual noch weit weniger nutzen als Männer. Diese Faktoren verringern zwar nicht die potentielle Wirkung des Internets auf Frauen, aber sie zeigen dessen Grenzen auf.

Zusammenfassend kann man sagen, dass die Einführung und Nutzung des Internets in der arabischen Welt mittlerweile alle Gruppen in allen Aspekten des öffentlichen Lebens beeinflusst. Es ermöglicht den arabischen Frauen Zugang zu neuen öffentlichen Räumen, stellt ein Forum für Austausch von Ideen und Gedanken dar, stärkt Frauen durch den Zugang zu Informationen, ermöglicht ihnen, Entfernung und Zeit zu überwinden und – wichtiger - die Kontrolle der Männer und der Familie zu durchbrechen. Dadurch trägt es zur Revolution der Geschlechter in der arabischen Welt bei.

Der Text ist ein Vortrag, den Professor Shteiwi im April 2003 im Berliner Haus der Kulturen im Rahmen der Veranstaltung DisORIENTation hielt.

Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Autors.

Musa Shteiwi ist Professor der Soziologie am ‚Department of Sociology / Women Studies’ der Universität Amman, Jordanien.