Der Kampf des Radschi Surani

Für seinen Einsatz für "Menschenrechte unter extrem schweren Bedingungen" wird der palästinensische Jurist mit dem Alternativen Nobelpreis geehrt. Für ihn ist der Preis "Ansporn, nicht die Hoffnung zu verlieren". Von Ulrike Schleicher

Von Ulrike Schleicher

Es ist eine große Auszeichnung und er ist der erste Palästinenser überhaupt, der den Alternativen Nobelpreis der Right Livelihood Award Foundation erhält. Dennoch reagiert Radschi Surani alles andere als überschwänglich auf die unerwartete Nachricht, die ihn am Donnerstag (26.09.) um 10 Uhr morgens aus Stockholm erreicht. Er freue sich natürlich, weil so eine Auszeichnung motiviere, sagt er auf Anfrage. Aber: "Der Preis ist vor allem wichtig für die Menschen hier im Gazastreifen und in den besetzten Gebieten, weil er den Blick auf uns richtet." Denn das Schlimmste für die Palästinenser sei, dass ihr Schicksal immer weniger interessiere und die Besatzung für die Weltgemeinschaft zur Gewohnheit geworden sei.

So jedenfalls erlebt es der 59-jährige Rechtsanwalt, der sich seit Jahrzehnten für Menschenrechte im Gazastreifen und in der Westbank einsetzt und mit Hilfe der von ihm gegründeten Organisation "Palestinian Center for Human Rights" (PCHR), Opfer von Menschenrechtsverletzungen und deren Angehörige vor Gericht vertritt: "Unsere Lage ist schlechter als jemals zuvor, wir befinden uns in einem Albtraum."

Kampf an allen Fronten

Radschi Surani: "Es geht um das Recht auf Bewegungsfreiheit"

Vielleicht kann man die zurückhaltende Reaktion des Preisträgers nur verstehen, wenn man tagtäglich das gleiche erlebt wie Surani. Denn der Jurist kämpft an drei Fronten gleichzeitig: Da ist zum einen die Allmacht der israelischen Besatzer, die das Leben der Menschen zum Teil unerträglich macht und oftmals gegen die Grundrechte verstößt. "Es geht um die Bewegungsfreiheit, es geht um das Recht auf Bildung, es geht um das Recht auf Gesundheit und um das Recht auf Arbeit", nennt Surani Beispiele. Und es gehe schlicht um das Ende der Besatzung nach 47 Jahren.

Gleichzeitig muss sich das PCHR mit einer rigiden Hamas vor Ort auseinandersetzen. Auch da gibt es genügend Beispiele für Anordnungen, die den Menschen den Alltag zusätzlich erschweren - etwa, weil ebenfalls keine Reisegenehmigungen erteilt werden. Und weil das Gericht erst jüngst wieder ein Todesurteil gegen einen überführten Mörder ausgesprochen hat. In der Westbank gehe es um Meinungsfreiheit, um Schikane der Menschen durch die Polizei, um Korruption und Vorteilsnahme der verantwortlichen Autonomiebehörde.

Selbst mehrmals in Haft gesessen

Surani, der in Beirut und Alexandria Jura studierte und in Gaza-Stadt lebt, hat unzählige Gefangene und Angeklagte vor Gericht vertreten. Er habe keine Angst, seine Meinung und seine Überzeugung "jedem ins Gesicht zu sagen", sagt der Anwalt, der bei Menschenrechten keine Kompromisse kennt. Doch für so viel Rückgrat hat er einen hohen Preis bezahlt: "Ich war selbst viele Male inhaftiert und wurde auch gefoltert." 1979 das erste Mal drei Jahre in Israel, mit Abständen folgten immer wieder Verurteilungen und Gefängnisaufenthalte. 13 Jahre lang durfte er zudem nicht ausreisen und musste sich unangekündigte Durchsuchungen seiner Geschäfts- und Privaträume gefallen lassen. Zudem litt er unter einem faktischen Berufsverbot: "Ich durfte meine Klienten nicht besuchen."

Auseinandersetzung mit einer rigiden Hamas: Im Gazastreifen dokumentiert Surani Menschenrechtsverletzungen, vertritt Opfer und bildet inzwischen auch syrische Juristen aus.

Auch bei der Palästinischen Autonomiebehörde (PA) war er nicht beliebt, die ihn aufgrund seiner dauerhaften Kritik am neu etablierten Rechtssystem nach den Oslo-Verträgen ebenfalls einsperrte. Denn zu seiner Überraschung teilten die palästinensischen Gerichte ein ums andere Mal die unterdrückende Rechtsauffassung der Israelis. So wurde Surani 1995 der erste politische Gefangene der PA. Damals sagte er: "Ich dachte, der Kampf gegen die Besatzung sei das Schwierigste, aber bei deiner eigenen Regierung um Demokratie, Recht und Gesetz und Menschenrechte zu kämpfen, ist noch komplizierter." Er sei naiv gewesen, meint er heute.

Nach seiner Entlassung gründete der Vater von zwei Kindern schließlich das PCHR, seit vielen Jahren eine hoch angesehene Organisation mit insgesamt 64 Mitarbeitern unter anderem in Gaza-Stadt und Ramallah. Die Arbeit beschränkt sich nicht nur auf die anwaltliche Vertretung vor Gericht und Petitionen; das PCHR überwacht und dokumentiert Menschenrechtsverletzungen, es organisiert Workshops für Anwälte aus der gesamten arabischen Welt. Auch auf internationalem Parkett spielt Radschi Surani eine gewichtige Rolle. Er arbeitet mit der UN und der EU zusammen, mit dem Internationalen Roten Kreuz und dem Internationalen Strafgerichtshof (IStGH). "Wir wollen, dass die PA die Statuten von Rom unterzeichnet, damit wir Menschenrechtsverletzungen in Palästina vor den ICC bringen können", sagt er.

In den USA übrigens ist Surani ebenfalls nicht gern gesehen. Sein Name steht auf einer schwarzen Liste, er darf nicht einreisen. Da ist es umso merkwürdiger, dass er Preisträger des Robert-Kennedy-Gedächtnispreises ist - eine der anerkanntesten amerikanischen Auszeichnungen für Gerechtigkeit und Menschenrechte. Er mache sich über so etwas keine Gedanken, sagt der 59-Jährige. Genauso wenig wie ihn all die Rückschläge über die Jahrzehnte hinweg von seinem Weg abbringen können. "Es ist eigentlich ganz einfach", sagt er: "Wir haben schlichtweg nicht das Recht dazu, unsere Hoffnung aufzugeben."

Ulrike Schleicher

© Deutsche Welle 2013

Redaktion: Thomas Kohlmann/Deutsche Welle