Fossiles Denken als Gottesbeweis

Was christliche Evangelikale mit muslimischen Verfechtern des Kreationismus - wie etwa den türkischen Anti-Darwinisten Harun Yahia - verbindet, ist der gemeinsame Kampf gegen den Materialismus und die säkulare Ordnung des Staates. Von Harald Brandt

Von Harald Brandt

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"Darwin ist widerlegt. Seine Theorie von der Entstehung der Arten ist falsch. Millionen von Fossilien beweisen, dass sich weder die Tiere noch die Pflanzen seit ihrer Erschaffung durch Allah verändert haben." - Das ist die Quintessenz der Botschaft, die der türkische Anti-Darwinist Adnan Oktar in über 200 Büchern, Videos und auf Dutzenden von Webseiten verbreitet. Unter dem Pseudonym Harun Yahya erschien 2006 der erste Band des "Atlas der Schöpfung", ein großformatiger, luxuriös gestalteter Bildband, der fast sieben Kilo wiegt und zu Zehntausenden kostenlos an Universitäten, Schulen und Forschungsinstitute in Europa verschickt wurde.

Im Januar 2007 landete ein Exemplar des pseudowissenschaftlichen Werkes auf dem Schreibtisch des Mathematikers und damals noch sozialistischen Europaabgeordneten Guy Lengagne, der sich seit 1997 mit dem Phänomen des Kreationismus befasst.

Die islamische Welt als Schaltstelle der Kreationisten

Dass die biblische Schöpfungsgeschichte ein akkurates Bild von der Entstehung aller Arten bis hin zum Menschen zeichnet, ist eine Überzeugung, die alle Gruppierungen der zumeist in Nordamerika beheimateten Kreationisten teilen. Doch dass sich nun aber auch in der islamischen Welt ein Relais gebildet hat, das über genügend Mittel verfügt, um einen Großangriff auf mehrere europäische Länder zu starten, war für Guy Legagne eine Überraschung. Das laizistische Frankreich reagierte schnell. Auf Betreiben des Erziehungsministeriums erstellte der Evolutionsbiologe Hervé LeGuyader ein Gutachten, in dem die wissenschaftliche Irrelevanz der im "Atlas der Schöpfung" vorgebrachten Thesen nachgewiesen wurde.

Aber im Grunde gehe es gar nicht um eine wissenschaftliche Debatte, meint Guy Lengagne.

Guy Lengagne; Foto: © Europarat
Schöpfungsmythos als gemeinsamer Nenner: Der Europaabgeordnte Guy Lengagne warnt vor einer wachsenden Kooperation evangelikaler und islamischer Kreationisten.

​​Das Ziel der Kreationisten, die im Moment die Speerspitze reaktionärer politischer Kräfte weltweit sind, sei vielmehr die Errichtung einer Theokratie. Für die Kulturkommission des Europarates erarbeitete er einen ausführlichen Bericht über die Gefahr kreationistischer Thesen für das Erziehungswesen in den Ländern der Europäischen Union und wies dabei auf die enge Zusammenarbeit zwischen christlichen und islamischen Kreationisten hin.

Guy Lengagnes Bericht stützt sich auf die Untersuchungen des Wissenschaftshistorikers Jacques Arnould, der in seinem 2008 erschienenen Buch "Dieu versus Darwin – Gott gegen Darwin" auf die seit über 20 Jahren bestehenden engen Beziehungen zwischen dem amerikanischen "Institute for Creation Research – ICR" und dem türkischen Erziehungsministerium hinweist. Als Adnan Oktar 1991 in Istanbul seine private Wissenschaftsstiftung BAV – "Bilim Arastirma Vakfi" ins Leben rief, waren auf der Liste der Konferenzteilnehmer auch führende Köpfe des ICR, wie Duane Gish und John Morris zu finden.

Interesse an ungebildeten Bürgern

"Der Großkapitalismus habe ein Interesse an ungebildeten Bürgern – effizient in ihrer Arbeit, aber auch nicht mehr!", sagt Guy Lengagne bereits in einem Interview zum Thema Kreationismus aus dem Jahr 2008. Denn Ignoranten zu regieren sei immer einfacher als Menschen, die nachdenken, die die richtigen Fragen stellen und die eventuell sogar protestieren: ​​

"Es gibt einen Satz in meinem Bericht, der heiß diskutiert wurde und an dem ich – allen Widerständen zum Trotz – festgehalten habe. Er lautet: Zu verhindern, dass die Evolutionslehre unterrichtet wird, ist ein Angriff auf die Menschenrechte", so Lengagne. "Ich weiß nicht, wieviel Wissenschaftszweige in der Evolutionslehre zusammenkommen – Paläontologie, Genetik, Wahrscheinlichkeitsrechnung, Kontinentaldrift – alles spielt im Evolutionsmodell eine Rolle. Junge Menschen daran zu hindern, sich dieses Wissen anzueignen, das die Menschheit in Hunderten wenn nicht Tausenden von Jahren akkumuliert hat, bedeutet, sie daran zu hindern, die Welt zu verstehen."

In westlichen Medien werden die Vorgänge in der islamischen Welt oft als eine "Rückkehr zu traditionellen Werten" beschrieben. "Vollkommen falsch", meint der Islamforscher Olivier Roy, der in seinem 2008 erschienen Buch "La Sainte Ignorance – Die Heilige Unwissenheit" klare Parallelen zwischen allen Formen religiösen Fundamentalismus ausmacht, die heute die säkularen Fundamente nicht nur der Türkei bedrohen.

Der gleiche Islam überall

Traditionalisten berufen sich auf das überlieferte Wissen, die klassische Exegese durch religiöse Autoritäten, während die Fundamentalisten, den Anspruch erheben, einen direkten Zugang zum Heiligen Text zu haben. Und sie haben einen Universalitätsanspruch, den es in dieser Form bisher noch nicht gegeben habe. Der gleiche Islam überall. Kulturelle, historisch gewachsene Unterschiede spielen keine Rolle mehr und werden bewusst ignoriert. Die modernen Formen des Fundamentalismus seien Produkte der Globalisierung, sagt Olivier Roy, man nimmt sich Versatzstücke aus verschiedenen Kulturen und fügt sie so zusammen, wie es am besten passt.

Ein typisches Beispiel für diese Strategie ist Adnan Oktar, alias Harun Yahia: "Harun Yahia legt viel Wert darauf, sich im Zentrum eines interreligiösen Dialogs zu positionieren", so Roy. "Er will weniger als Verteidiger der koranischen Wahrheit, sondern vielmehr als Verteidiger des Schöpfungsmythos erscheinen, der allen Religionen gemeinsam sei."

Olivier Roy; Foto: AP
Nach Ansicht von Olivier Roy haben die Kreationisten mittlerweile ihre Strategie gewechselt: Ging es früher nur um die Verkündung der "absoluten Wahrheit der Bibel"</wbr>, versuchen sie jetzt, ein Milieu zu erobern, das nicht christlich ist.

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Mit dieser Strategie ziele Harun Yahia ganz klar auf ein europäisches Publikum, meint Olivier Roy. Der Islamforscher kann sich gut vorstellen, dass es amerikanische Kreise gibt, denen die Verbreitung der kreationistischen Thesen wichtiger ist, als die Verbreitung des Christentums: "So in etwa funktioniert ja auch das 'Intelligent Design'. Die Kreationisten haben in den letzten Jahren ihre Strategie gewechselt. Ging es früher nur darum, die absolute Wahrheit der Bibel zu verkünden, versuchen sie jetzt, ein Milieu zu erobern, das nicht christlich ist.

Man sagt jetzt nicht mehr 'der Kreationismus ist wahr, weil er mit dem Bibelwort übereinstimmt', sondern vielmehr 'der Kreationismus ist wahr, weil die Evolution nicht wissenschaftlich ist.'" Es geht also darum, ein nicht-religiöses Konzept zu finden, das die Kritik der Evolutionstheorie erlaubt. Und das "Intelligent Design" ist dieses nicht-religiöse Konzept.

Kampf gegen Materialismus und Säkularismus

Was die christlichen Evangelikalen mit den muslimischen Verfechtern des Kreationismus verbindet, ist der gemeinsame Kampf gegen den Materialismus und die säkulare Ordnung des Staates. Beispiele für diese Art von über-konfessionellen Allianzen könne man immer häufiger finden, meint Olivier Roy: "Man kann in der Türkei ein Phänomen beobachten, das ich seit vielen Jahren mit besonderem Interesse verfolge: Die Tatsache, dass sich die Bewegung, die ich als islamischen Neo-Fundamentalismus bezeichne, immer mehr nach den Kategorien des protestantischen Evangelikalismus ausrichtet."

Olivier Roy glaubt, dass dies auch die Normen, die Verteidigung der Familie, die Haltung zur gleichgeschlechtlichen Ehe und zur Abtreibung betrifft: "Diese Form des Neo-Fundamentalismus ist eine relativ apolitische Bewegung, die aus der Mittelklasse kommt, die oft Hand in Hand mit einer guten sozialen Integration geht – und die sehr strikt in Bezug auf die Normen und die Moral ist. Eine Bewegung, die sich die Themen der religiösen Rechten in Amerika zu Eigen macht."

Obwohl Adnan Oktars Thesen wissenschaftlich ohne Hand und Fuß sind, haben sie doch einen verheerenden Einfluss auf die türkische Gesellschaft. Der Chefredakteur des Wissenschaftsmagazins "Bilim ve Gelecek" in Istanbul verweist auf eine Untersuchung, die sein Team vor ein paar Jahren an verschiedenen Universitäten durchgeführt hat: "Das schlechte Bildungssystem in der Türkei führt dazu, dass sogar viele Biologiestudenten nicht an die Evolutionstheorie glauben. Ein Test an fünf wichtigen Universitäten in Istanbul, Ankara und Kocelida hat ergeben, dass 80 Prozent der Befragten – und da waren auch fortgeschrittene Semester dabei – Adam und Eva für die Urahnen der Menschheit halten. Das ist natürlich nicht das, was im offiziellen Lehrplan steht, aber weil das System allein aus sturem Auswendiglernen besteht, haben die Studenten keine Chance, die innere Logik des wissenschaftlichen Denkens zu erlernen. Sie lernen die Evolutionstheorie, aber sie glauben trotzdem an Adam und Eva."

Harald Brandt

© Qantara.de 2010

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