Bioseife aus dem Kriegsgebiet

Aleppo ist heute ein Synonym für Krieg und Zerstörung. Aleppo-Seife wiederum ist in Bioläden der Renner. Doch wie schafft es das beliebte Kosmetikprodukt aus der kaputten Region in die deutschen Regale? Von Mey Dudin

Von Mey Dudin

Im Schutt liegt ein grün-weißer Karton, auf dem in roter Farbe ein arabischer Name geschrieben steht: Hussein Zahra. Das Stück Pappe ist der einzige Hinweis darauf, dass hier mal eine Werkstatt stand, eine Seifenfabrik. Von den zweistöckigen Gebäuden ist nur noch das Betonskelett übrig, übersäht von Einschusslöchern.

Aleppo, die einstige Wirtschaftsmetropole im Norden Syriens, ist zerstört. Erst kamen Rebellen, dann Dschihadisten, dann syrische und später auch russische Bomber. In den Regalen deutscher Naturkostläden aber, in Reformhäusern, Apotheken und Drogerien findet sich eines der berühmtesten Produkte der Region, die Aleppo-Seife, bis heute. Doch woher kommt sie wirklich?

Aleppo-Seife made in Turkey

Hussein Zahra hat vor fast vier Jahrzehnten begonnen, handgemachte Seife aus Olivenöl und Lorbeeröl herzustellen. Der Familienbetrieb stand in Sheikh Saeed, einem lange Zeit heftig umkämpften Stadtteil im Südosten von Aleppo. Vor drei Jahren flüchtete sein Sohn Mohammed, der mittlerweile die Firma führt, vor dem Krieg. Heute stellt er Aleppo-Seife im türkischen Mersin her und verschickt sie nach Europa und Asien. Er verzichtet auf moderne Technik, sondern produziert die Seife so, wie es vor Hunderten von Jahren von den arabischen Seifensiedern traditionell gemacht wurde. In Krisenzeiten aber sind Rohstoffe, Transport und Versand schwieriger und teurer. "Wir hoffen, dass wir bald nach Aleppo zurück können", sagt Mohammed. "Wir sind sehr müde."

Wie ihm geht es den meisten seiner Kollegen. Von den mehr als 200 kleinen und großen Seifen-Betrieben, die es in der Gegend Aleppos gab, sind fast alle geschlossen oder im Exil. Da die Seife nicht zwangsläufig in Aleppo hergestellt sein muss, um Aleppo-Seife genannt zu werden, hat sich der Großteil des Geschäfts ins sichere Ausland verlagert. Eine Fabrik steht sogar in Frankreich, die meisten sind aber in der Türkei. Denn die Grenze des Nachbarlandes liegt gerade einmal 60 Kilometer von Aleppo entfernt.[embed:render:embedded:node:26143]Auch Talal Anis ist mit seiner Fabrik umgezogen, zunächst ins syrisch-kurdische Afrin, dann weiter über die türkische Grenze nach Gaziantep. Mit großen Verlusten. Denn bei den Umzügen wurde vieles gestohlen.

In der Schusslinie

Talal stellte vor Beginn des Konflikts 2011 gemeinsam mit seinem Partner jährlich bis zu 800 Tonnen Aleppo-Seife her. Heute kommt er auf höchstens 250 Tonnen. Doch in Aleppo sah er keine Zukunft mehr: "Viele Seifen-Fabriken wurden völlig zerstört, weil sie plötzlich an der Frontlinie standen." Unternehmer wurden entführt, um Lösegeld zu erpressen. Andere sind getötet worden, und manche einfach verschwunden. Nur wenige harren noch aus, wie einer von Talals Freunden, der seine Werkstatt nach Hause verlagert hat. "Seine Wohnräume sind jetzt im Obergeschoss. Im Erdgeschoss produziert er Seife." Ohne Strom und Wasser müssen die Menschen in Aleppo kreativ sein – mit Generatoren arbeiten, neue Brunnen graben.

Wer heute an Aleppo denkt, verbindet mit der Stadt Fassbomben, Dschihadisten und Massenflucht. Aleppo ist zum Synonym geworden für einen blutigen Krieg, für den es keine Lösung gibt. Noch vor sechs Jahren stand der Name Aleppo hingegen für eine faszinierende Altstadt mit Basaren, Karawansereien und historischen Moscheen, inmitten einer der fruchtbarsten Regionen des Nahen Ostens.

Aleppo gilt als eine der weltweit ältesten Städte, die ununterbrochen besiedelt war, und lag bis zur Eröffnung des Suezkanals 1869 auf wichtigen Handelsrouten, etwa der Seidenstraße. Auf dem Hügel der Zitadelle soll schon Abraham, den Juden, Christen und Muslime verehren, seine Kuh gemolken haben - eine Legende, die der Stadt den arabischen Namen gab: Halab al-Schahba. Denn dies bedeutet wörtlich: Er molk die Graue.

Im 7. Jahrhundert gelang es findigen Handwerkern der Region, die bis dahin gängige Schmierseife weiterzuentwickeln. Sie verkochten Olivenöl in großen Kesseln mit Lauge und fügten Lorbeeröl hinzu. Es war die Geburtsstunde der festen Seife. Bis heute wird Aleppo-Seife nach diesem alten Rezept hergestellt.

Aleppo-Seife auf einer Bio-Fachmesse in Nürnberg im Jahr 2016; Foto: dpa/picture-alliance
Die Geburtsstunde der ersten festen Seife: Im 7. Jahrhundert gelang es findigen Handwerkern der Region, die bis dahin gängige Schmierseife weiterzuentwickeln. Sie verkochten Olivenöl in großen Kesseln mit Lauge und fügten Lorbeeröl hinzu. Bis heute wird Aleppo-Seife nach diesem alten Rezept hergestellt.

Die Paste wird nach dem Sieden gleichmäßig in flache Becken gegossen und auf dem Boden verteilt, wo sie hart wird. Dann werden die Seifenblöcke von Hand geschnitten, mit einem Stempel der Name des Herstellers drauf gedrückt, anschließend die Blöcke gestapelt und bis zu neun Monate getrocknet. Dann ist die Seife an der Oberfläche ockerfarben, im Inneren aber weiterhin olivgrün. Theoretisch kann die Seife dann Jahrzehnte trocken gelagert werden, ohne an Qualität zu verlieren.

Exportschlager Seife

"Seife war ein Exportschlager, mit dem einige der vermögendsten Familien ihren Reichtum begründet haben", sagt Christian Saßmannshausen, Mitarbeiter am Institut für Islamwissenschaft der Freien Universität Berlin, der sich bei seiner Forschung auch mit der Seifenherstellung im Nahen Osten beschäftigt.

Die Seifenmacher im Gebiet der heutigen Länder Syrien, Libanon, Israel, Palästina und Jordanien hatten einen großen Standortvorteil, war doch der Transport von Oliven- oder Lorbeeröl über lange Distanzen damals sehr mühsam. Im frühen 20. Jahrhundert kam es jedoch zum wirtschaftlichen Einbruch, weil der arabische Markt mit Massenware aus Europa geflutet wurde. Erst mit dem Trend zu Bioprodukten und Naturkosmetik wurde die Aleppo-Seife von den Europäern wiederentdeckt. Sie hat einen Vorteil: Sie wird ohne Palmöl oder künstliche Inhaltstoffe hergestellt.

Der Krieg in Syrien hat die Aleppo-Seife zum Produkt aus dem Exil gemacht. Doch für die meisten Hersteller steht fest: Irgendwann wird es Frieden geben, und dann werden sie ihre Fabriken in ihrer Heimat Aleppo wieder aufbauen.

Mey Dudin

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