Mikrokosmos der Tyrannei

In seinem neuen Roman "Der Automobilclub von Kairo" zeichnet der ägyptische Bestseller-Autor Alaa al-Aswani das Bild einer zutiefst gespaltenen, bigotten Gesellschaft und orientalischen Despotie der 1940er Jahre unter König Faruk. Arian Fariborz hat das Buch gelesen.

Von Arian Fariborz

Es beginnt mit einer Zeitreise: Der ägyptische Schriftsteller Alaa al-Aswani nimmt uns mit in seinem Wagen auf den Weg von Kairo in sein Ferienhaus an der ägyptischen Mittelmeer-Küste. Es ist Winter. Aus dem Kassettenrekorder seines Autos ertönt der schwermütige Gesang der ägyptischen Diva Umm Kulthum. Aswani ist nachdenklich. Er will Abstand gewinnen von seiner Familie und in Abgeschiedenheit allerletzte Feinheiten an seinem Roman "Der Automobilclub von Kairo" vornehmen.

Doch es kommt anders. Kaum angekommen, klingelt es auch schon an der Tür. Der Schriftsteller ist perplex. Wer um diese nächtliche Uhrzeit, dazu noch in einem von Wachdiensten abgeschirmten Feriendomizil, will ihn aufsuchen? Zögernd öffnet er die Tür, und traut seinen Augen nicht. Vor ihm stehen zwei altmodisch, im Stile der 40er Jahre gekleidete Ägypter, die seinem Roman "Der Automobilclub von Kairo" entsprungen sind: Kamil und Saliha Hamam. "Wir sind aus Ihrer Vorstellungswelt ins richtige Leben hinausgetreten", bemerkt Kamil süffisant. "Sie haben uns im Roman geschaffen. Sie haben sich die Details unseres Lebens ausgemalt und aufgeschrieben."

Fiktion und Realität

Genau so unverhofft wie die beiden ungebetenen Gäste in Aswanis Wirklichkeit ankommen, sind sie auch schon wieder entschwunden – nicht ohne dabei dem Schriftsteller Ratschläge für seinen Roman zu erteilen: Dem "Automobilclub von Kairo" fehlten noch ihre Gefühle und Gedanken, die der Schriftsteller schlussendlich in seinen Roman einfügen sollte.

Kamil und Saliha Hamam sind zwei der vielen tragischen Helden in Aswanis bislang längsten Roman aus dem Jahr 2013, der nun auch auf Deutsch vorliegt.

Die Handlung im "Automobilclub von Kairo" spielt im Ägypten der britischen Kolonialzeit und der Herrschaft König Faruks. Eine illustre Schar aus Diplomaten, Militärs, Paschas und Claqueuren des ägyptischen Monarchen versammelt sich regelmäßig im mondänen Automobilclub in Kairo und lässt es sich bei erlesenen Speisen und Getränken sowie Glückspielen aller Art gut gehen. Um sie herum wirbelt ein Heer aus unterprivilegierten Bediensteten – Hungerlöhner, die von der Hand in den Mund leben müssen und den ständigen Launen und Kommandos ihrer Vorgesetzten ausgesetzt sind.

Buchcover Alaa al-Aswani: "Der Automobilclub von Kairo", S. Fischer Verlage
Orientalische Despotie auf Ägyptisch: Alaa al-Aswani ist mit seinem Automobilclub erneut ein packender, gesellschaftskritischer und zugleich historisch authentischer Roman gelungen, der nicht zuletzt wegen der exzellenten Übersetzung aus dem Arabischen von Hartmut Fähndrich zu lesen lohnt.

Genau wie schon in seinem Bestseller-Roman "Der Jakubijan-Bau" legt Aswani den Finger in die offene Wunde einer zutiefst ungerechten, bigotten Gesellschaft und zeigt die Widersprüche des politischen Systems auf. Gleichzeitig reflektiert der Roman auf subtile Weise das symbiotische politische Verhältnis zwischen der damaligen Kolonialmacht und dem ägyptischen Königshaus.

Das Schreckensregiment des Kôs

Dreh- und Angelpunkt dieses Mikrokosmos gewaltiger sozialer Disparitäten ist der Automobilclub in Kairo: Dort führt der Kô, der Kämmerer des Königs und Verwalter des Automobilclubs, ein Schreckensregiment. Bei den geringsten Verfehlungen seiner Belegschaft hagelt es drakonische Strafen – wobei die drangsalierten Bediensteten alles mit stoischer Gelassenheit zu akzeptieren scheinen.

"Zwar spielt 'Der Automobilclub von Kairo' Ende der1940er Jahre, allerdings sind es die gleichen Probleme, mit denen die Menschen auch heute noch in Kairo zu tun haben", berichtet Aswani im Gespräch mit Qantara.de. "In diesem Automobilclub gab es immer zwei Gesellschaften: die Vertreter der westlichen Oberschicht sowie einiger ägyptischer Aristokraten und die Gesellschaft der Diener, die aus dem Süden Ägyptens in den Club gebracht wurden. In diesem Roman geht es um das Verhältnis dieser beiden Gemeinschaften – wie sie sich gegenseitig betrachten und behandeln."

Das Scheitern der Revolutionäre

Letztendlich kommt es doch noch zum Aufstand der Knechte gegen ihre britischen und ägyptischen Herren. Jedoch beteiligen sich nicht alle Bediensteten des Clubs an der Rebellion, da ihnen das Risiko angesichts ihrer wirtschaftlichen Abhängigkeit zu groß erscheint. Der tyrannische Kô erfährt zwar unausweichlich die Rache seiner gedemütigten Untergebenen, doch der eigentliche Aufstand und die Verschwörung der Wafd-Nationalisten in Kooperation mit Ägyptens Kommunisten und einem prominenten Abtrünnigen des Königshauses, endet im Fiasko.

Obwohl viele der Charaktere in Aswanis Roman frei erfunden sind, ist doch auffällig, wie detailliert und realistisch er die historischen Gegebenheiten jener Zeit wiedergibt: die Selbstgefälligkeit und Verschwendungssucht des dekadenten ägyptischen Königs, dem man mitunter nachsagte, seine Frau 5.000 Mal betrogen zu haben. Oder Faruks zwielichtige ausländische Berater, wie der Italiener Antonio Pulli (der in Aswanis Roman als Boticelli auftaucht), der dem Monarchen regelmäßig seine Mätressen zuführte.

Alaa al-Aswani ist mit seinem Automobilclub erneut ein packender, gesellschaftskritischer und zugleich historisch authentischer Roman gelungen, der nicht zuletzt wegen der exzellenten Übersetzung aus dem Arabischen von Hartmut Fähndrich zu lesen lohnt.

Arian Fariborz

© Qantara.de 2015

Alaa al-Aswani: "Der Automobilclub von Kairo", Roman, 656 Seiten, Aus dem Arabischen von Hartmut Fähndrich, 24,99 Euro, S. Fischer Verlage, ISBN: 978-3-10-000555-7