Afghanistans Kalter Krieger

Am 9. September jährte sich Ahmad Schah Massouds Todestag zum fünfzehnten Mal. Nicht nur in seiner Heimat, sondern auch im Westen wird er als Kriegsheld verehrt. Erstaunlich, kann man ihn doch - genau wie alle anderen afghanischen Warlords - mit Fug und Recht als Kriegsverbrecher bezeichnen. Von Emran Feroz

Von Emran Feroz

Am 9. September 2001 wurde Massoud, damals der gefeierte Führer der Nordallianz, in der nordafghanischen Provinz Takhar von zwei arabischen Selbstmordattentätern, getarnt als Journalisten, ermordet. Bis heute ranken sich um Massoud, auch "Löwe von Panjshir" genannt, zahlreiche Legenden, die ihn unter anderem als charismatischen Krieger und gottesfürchtigen Muslim beschreiben.

Auch der Westen ist verantwortlich für die Verklärung Massouds zum Helden des Widerstands gegen die Sowjets im Kalten Krieg. Denn er war es, der seine Heimatprovinz Panjshir jahrelang erfolgreich gegen die Sowjets, sprich, gegen die "gottlosen Kommunisten" verteidigen konnte. In seiner Heimat betrachtete man in ihn als wahren "Mudschahid", als einen tapferen und edlen Krieger – so wie es sich für einen echten Afghanen gehört.

Ein zweifelhafter Held

Massouds Leben war geprägt von seiner Konkurrenz zu Gulbuddin Hekmatyar, einem der führenden Mudschaheddin-Warlords während des Krieges gegen die Sowjetunion sowie in den darauffolgenden Bürgerkriegsjahren. Beide kannten sich schon lange. Zu Lebzeiten des ersten Präsidenten der afghanischen Republik, Mohammad Daoud Khan, wurden Massoud, Hekmatyar und andere junge Afghanen ihres Schlages vom pakistanischen Geheimdienst ISI trainiert, um den Präsidenten, der immer mehr nationalistische Töne Pakistan gegenüber schlug, zu putschen.

Ahmad Schah Massoud als Mudschaheddin-Kämpfer im Norden Afghanistans im Jahr 1986, Foto: AP
Als Volksheld gegen die "gottlosen Kommunisten“ verklärt: Ahmad Schah Massoud wird bis heute von zahlreichen westlichen Historikern als "brillanter Guerilla-Taktiker" in einer Reihe mit Ché Guevara oder Ho Chi Minh genannt. Das "Wallstreet Journal" widmete Massoud sogar ein Titelblatt und nannte ihn "den Afghanen, der den Kalten Krieg gewann".

Die Aktion misslang jedoch. Der Präsident reagierte harsch, indem er Massoud, Hekmatyar und andere beteiligte Personen wie den späteren Präsidenten und Massouds ideologischen Ziehvater, Burhanuddin Rabbani, ins Gefängnis warf.

Später ging Massouds Rivalität zu Hekmatyar in offene Feindschaft über. Dieses Vorgehen lag auch im Interesse der Sowjets, da Hekmatyar massiv von Seiten der USA und Pakistan unterstützt wurde. Für ausländische Kamerateams aus Europa stellte sich Massoud zur Schau, indem er vorgab, gegen die Rote Armee zu kämpfen.

Der Afghanistan-Veteran Yuri Korbert, der zu diesem Zeitpunkt in Panjshir stationiert war, bestätigte dies während eines späteren Interviews und behauptete, dass in all den Jahren kein einziger Kampf gegen Massoud stattgefunden habe. Auch sei es im Falle einer Konfrontation mit Massoud kein Problem gewesen, ihn und seine Kämpfer zu besiegen. Dies wäre nicht verwunderlich, so Korbert, denn Massoud und seinen Truppen fehlte es an Waffen sowie an logistischen Mitteln, um gegen die Rote Armee dauerhaft erfolgreich bestehen zu können.

Verdrängte Massaker

Nichtsdestotrotz wird der Kommandant aus Panjshir von zahlreichen westlichen Historikern als "brillanter Guerilla-Taktiker" in einer Reihe mit Ché Guevara oder Ho Chi Minh genannt. Das "Wallstreet Journal" widmete Massoud sogar ein Titelblatt und nannte ihn "den Afghanen, der den Kalten Krieg gewann". Der amerikanische Journalist Eric Margolis wiederum behauptet in seinem Buch "American Raj, Liberation or Domination, Resolving the Conflict between the West and the Muslim World", dass Massoud die Regierung in Moskau überzeugen wollte, den damaligen afghanischen Präsidenten Mohammad Najibullah zu stürzen, damit er dessen Platz einnehmen könne.

1993, vier Jahre nach dem sowjetischen Abzug aus Afghanistan, kam es im Kabuler Stadtteil Afschar zu einem folgenschweren Massaker, dem hauptsächlich Angehörige der Hazara, einer schiitischen Minderheit, zum Opfer fielen. Die Hauptverantwortlichen dieses Massakers waren der damalige Ministerpräsident Burhanuddin Rabbani, der Warlord Abdul Rasul Sayyaf sowie Ahmad Schah Massoud, der damals Verteidigungsminister war. Etwa 750 Menschen wurden getötet oder verschleppt. Auch die Soldaten Massouds beteiligten sich an Morden, Plünderungen und Vergewaltigungen.

Doch in der Erinnerung der Anhänger Massouds spielen die Gräueltaten seiner Milizen nur eine untergeordnete Rolle. Zudem wird ihm zugute gehalten, eine Allianz gegen die Taliban auf die Beine gestellt zu haben, als diese Mitte der 1990er Jahre den Großteil Afghanistans unter ihre Kontrolle gebracht hatten – und sich auch im Westen die meisten Regierungen mit der Taliban-Herrschaft abgefunden hatten.

Afghanistans ehemaliger Präsident Hamid Karzai, Foto: RAVEENDRAN/AFP/Getty Images
Zweifelhafte Meriten: 2001 wurde Massoud offiziell von Ex-Präsident Hamid Karzai zum "Helden der afghanischen Nation" erklärt. 2002 nominierte ihn Frankreich für den Friedensnobelpreis. Erstaunlich, kann man ihn doch - genau wie alle anderen afghanischen Warlords - mit Fug und Recht als Kriegsverbrecher bezeichnen.

Allerdings wurden im Verlauf des Kampfes gegen die Taliban ein weiteres Mal Massouds Verbindungen zu den Russen deutlich. Zu seinen größten Förderern zählte nicht nur der Iran, sondern auch die Regierung in Moskau.

Warlords profitierten von Massouds Tod

Nichtsdestotrotz meinen einige, dass Massouds Tod kurz vor den Anschlägen des 11. Septembers 2001 kein Zufalls gewesen sei. Den Westen hatte Massoud schon lange vor Al-Qaida und Konsorten gewarnt. Einen US-Einmarsch in Afghanistan hätte der nationalistisch gesinnte Kriegsfürst nicht geduldet. Von Massouds Tod profitierten allerdings nicht nur die USA, sondern auch die Warlords aus seinem engsten Zirkel. Diese hatten sich allesamt mit der NATO im Kampf gegen die Taliban verbündet und ihre Machtpositionen gesichert.

Die meisten von ihnen sitzen heute in Regierung, Militär und Geheimdienst. Der bekannteste von ihnen ist wohl Abdullah Abdullah, Afghanistans gegenwärtiger Regierungschef (CEO). In seiner diesjährigen Rede anlässlich des Massoud-Gedenktages erinnerte Abdullah ein weiteres Mal an das moralische Erbe seines einstigen Kommandanten. Das blutige Massaker von Afschar sowie die anderen dunklen Seiten des afghanischen Nationalhelden wurden dabei wie gewohnt ausgeblendet.

2001 wurde Massoud offiziell von Karzai zum "Helden der afghanischen Nation" erklärt. 2002 nominierte ihn Frankreich für den Friedensnobelpreis. Erstaunlich, kann man ihn doch - genau wie alle anderen afghanischen Warlords - mit Fug und Recht als Kriegsverbrecher bezeichnen.

Emran Feroz

© Qantara.de 2016