Wanderin zwischen den Kulturen

Die ägyptische Schriftstellerin Ahdaf Soueif pendelt zwischen Kairo und London und fühlt sich in beiden Kulturen beheimatet. Mit ihrem Roman "Die Landkarte der Liebe", der auch auf Deutsch vorliegt, wurde sie international bekannt. Yafa Shanneik stellt die Autorin vor.

Die ägyptische Schriftstellerin Ahdaf Soueif pendelt zwischen Kairo und London und fühlt sich beiden Kulturen verbunden. Mit ihrem Roman "Die Landkarte der Liebe", der auch auf Deutsch vorliegt, wurde sie international bekannt. Yafa Shanneik stellt die Autorin vor.

Ahdaf Soueif, Foto: Goldmann-Verlag
Ahdaf Soueif

​​Die ägyptische Autorin Ahdaf Soueif gehört zu den arabischen Autorinnen und Autoren, die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts nach Westeuropa zuwanderten und sich in ihrer neuen Heimat bemühen, die Begegnung mit der kulturellen Fremde zu beschreiben. Der Erzählraum dieser AutorInnen liegt sowohl in der Fremde als auch in ihrer ursprünglichen Heimat, die Erlebnisse der Figuren werden in den beiden Räumen und "Dazwischen" präsentiert.

Diese Tendenz lässt sich auch in Deutschland beobachten. Hierzulande schreiben arabische AutorInnen Erzählungen, die die Darstellung des Konflikts zwischen Eigenem und Fremdem und der Zerrissenheit zwischen alter und neuer kultureller Identität mit Hilfe von neuen literarischen Formen aus dem arabischen Traditionsbereich thematisieren.

Ahdaf Soueif wurde 1950 als Tochter einer intellektuellen muslimischen Familie in Kairo geboren. Sie studierte englische Literatur an ägyptischen und britischen Universitäten und arbeitete zwei Jahre lang als Dozentin an einer saudiarabischen Universität. Seit 1981 lebt sie abwechselnd zwischen London und Kairo.

Der literarische Werdegang Soueifs begann 1983, als sie ihre Kurzgeschichtensammlung Aischa veröffentlichte. Ihr folgten der Roman In the Eye of the Sun (1992), die Kurzgeschichtensammlung Sandpiper (1996) und der zweite Roman The Map of Love.

Sie übersetzte einige literarische Werke ins Arabische und erhielt für ihre Sammlung Das Schöne im Leben und andere Geschichten (Zinat al-Hayat wa Qisas Ukhra) den Cairo Book Fair Award for the Best Short Stories of the Year 1996.

Im Jahre 1999 wurde ihr Roman The Map of Love für den renommierten Booker Prize nominiert. Zahlreiche Zeitschriften, unter anderem The Times Literary Supplement, Cosmopolitan, London Review of Books, al-Ahram Weekly publizieren regelmäßig ihre kritischen Abhandlungen und rezensieren ihre Werke.

Kultur ist für Soueif ein dynamischer Begriff

Die Themen Ahdaf Soueifs konzentrieren sich auf die Darstellung der arabisch-muslimischen Gesellschaft und ihre Modernisierungsbestrebungen in einer globalisierten Welt.

Dies geschieht vor dem Hintergrund eines spezifischen Verständnisses von Kultur, kultureller Identität und interkulturellen Beziehungen. Für sie ist Kultur ein dynamischer Begriff, der sämtliche Tätigkeiten in einer Gesellschaft in ihren historischen Zusammenhängen umfasst und damit der Identität eine differente, aber kommunikations- und lernfähige Form verleiht.

Soueif thematisiert dieses Verständnis durch Darstellung der Erfahrungen ihrer Figuren sowohl in den verschiedenen historischen Entwicklungsstadien der ägyptischen Gesellschaft wie auch durch ihre Aufenthalte in Großbritannien.

In ihrem Roman The Map of Love beschreibt Soueif die zu Beginn des 20. Jahrhunderts in der ägyptischen Gesellschaft herrschenden politischen, soziökonomischen und kulturellen Gegebenheiten und begleitet diese Entwicklung durch den Wandel der Einstellungen, Erfahrungen und Gefühle der in Ägypten lebenden Engländerin Anna.

Durch diesen Lernprozess erfahren wir, wie Anna einerseits und ihre ägyptischen Mitbürgerinnen und Mitbürger andererseits ihre differente kulturelle Identität bewahren und gleichzeitig in einen fruchtbaren Dialog eintreten.

Anschreiben gegen Klischees

Das im Westen verbreitete Klischee von der unterdrückten, entrechteten und sprachlosen Araberin wird im Roman In the Eye of the Sun von Ahdaf Soueif differenzierter vorgestellt. Sie begleitet die Entwicklung der kulturellen Identität der Romanhauptfigur Asya al-Ulama zu einer emanzipierten ägyptischen Frau, die jedoch auf ihrer kulturellen Identität beharrt.

Der besondere Schreibstil Soueifs liegt in der künstlerischen Gestaltung durch die Fusion arabischer und englischer Schauplätze, Figuren und Redensarten, die ihren Werken einen einzigartigen ästhetischen Charakter verleiht.

Kulturelle Eigenschaften der Ägypter, wie arabische Namen, Ausdrücke, Metaphern, Gruß- und Anredeformen, fließen mühelos in ihre englischen Dialoge ein. Nach einem Interview mit Ahdaf Soueif schrieb die Interviewerin Polly Pattolo, dass Soueifs literarischer Stil darin bestünde, die Dialoge in Arabisch zu denken und sie in Englisch zu schreiben.

Die Interkulturalität der Literatur kommt bei Soueif in den vorurteilsfreien interkulturellen Beziehungen, wie es zwischen der Engländerin Anna und dem Ägypter Sharif (The Map of Love) sowie zwischen der Ägypterin Asya und dem Engländer Gerald (In the Eye of the Sun) zum Ausdruck.

Die Entwicklung der beiden Figuren Anna und Asya und der Wandel ihrer britischen bzw. ägyptischen traditionellen kulturellen Werte zeugen von einer Tendenz in Richtung moderner universeller Werte. Das betrifft vor allem den Kampf für Frauenrechte und die Lernbereitschaft der Frauen bezüglich ihrer Rolle in der Gesellschaft und die Unmöglichkeit der kulturellen Isolierung in der Weltgesellschaft.

Literatur als Medium des Dialogs

Solche Werte können als Basis für den angestrebten interkulturellen Dialog dienen und neue Impulse auch für die englische Literatur liefern. Schließlich könnte man annehmen, dass die von Samuel Huntington verbreitete These des "Clash of Civilisations" vermeidbar wäre und dass der Dialog der Kulturen durch intensivere Informationen über die kulturellen Werte des 'Andern' möglich ist.

Auch in Deutschland wurden in den letzten Jahren Bemühungen von deutschen und arabischen Schriftstellerinnen und Schriftstellern zur Förderung des interkulturellen Dialogs intensiviert. Hier können Werke der arabischen Immigranten Jusuf Naoum, Suleman Taufiq und Rafik Schami erwähnt werden.

Mit intensiverer Unterstützung von deutschen, britischen und arabischen Autorinnen und Autoren könnten diese Literaturerzeugnisse zu einer "euro-arabischen Literatur", entwickelt werden. Dieses Literaturgenre könnte ein Forum anbieten, den Dialog der Kulturen zu fördern und die Integration in die Aufnahmegesellschaften voranzutreiben.

Yafa Shanneik

© Qantara.de 2004

Yafa Shanneik promoviert im Fach Anglistik an der Universität Würzburg zum Thema: Transkulturalität, Transformationsprozesse und Genderforschung. Das Bild der arabisch-muslimischen Frau in der deutsch- und englischsprachigen "transkulturellen Literatur".