Zeigen und inszenieren

Das erste afghanische Filmfestival in Köln gab einen Überblick über das Filmschaffen in der Nach-Taliban-Ära, zeigte aber auch Produktionen aus den achtziger Jahren. Fahimeh Farsaie berichtet.

Das erste afghanische Filmfestival in Köln gab einen Überblick über das Filmschaffen in der Ära nach den Taliban, zeigte aber auch Produktionen aus den achtziger Jahren. Über die neue afghanische Bildsprache und die schwierigen Bedingungen des Filmemachens in Afghanistan berichtet Fahimeh Farsaie.

Ausschnitts vom Plakat des afghanischen Filmfestivals
Keine Klischees, sondern die Realität in Afghanistan zeigen die Filme junger afghanischer Regisseure, die in Köln gezeigt werden

​​"Das afghanische Kino versucht im Moment, die Wirklichkeit zu zeigen statt sie zu inszenieren", sagt die mit 23 Jahren jüngste Regisseurin Afghanistans, Roya Sadat, die mit ihrem Debütfilm "Three Dots" im ersten Afghanistan-Filmfestival in Köln vertreten ist. Ganz in diesem Sinne "zeigt" sie in ihrem Film die traurige Geschichte einer allein stehenden Frau, die in einem Dorf im Nordwesten Afghanistans lebt und versucht, ihre drei hilflosen Kinder durchzubringen.

Not, Elend, Dürre und Hunger prägen nicht nur das harte Leben der mittellosen Familie, sondern auch ihre Beziehung zueinander. Kein Wort wird zwischen der Mutter und den Kindern gewechselt. Der zermürbende Überlebenskampf zerstört auch die Kommunikation. Schnörkellos und mit realistisch anmutenden Bildern schildert Sadat das Schicksal dieser Frau, das gleichzeitig die Geschichte ihres Landes symbolisiert.

Es geht in diesem Festival aber nicht nur um die cineastische Aufarbeitung der Vergangenheit. Aufgegriffen wurden in den 23 gezeigten Kurz-Dokumentar- und Spielfilmen auch andere Themen: Liebe, (Nilofar im Regen - 2003, Männer halten ihr Versprechen - 1984), Freude (Voice of Heart - 2003), Wiederaufbau des Landes (If I stand up - 2004), Multikulturalität (The Tradition of Soil - 2003) und das Exilleben (Flucht -2004).

Mit Farbe, Musik, Licht und Humor "zeigen" uns die afghanischen Cineasten andere Bilderwelten als gewöhnliche und häufig klischeehafte Bilder, die von den westlichen Medien über dieses Land vermittelt werden.

Herausforderung der Männergesellschaft

"Um unser Land wieder aufbauen zu können, müssen wir uns anderen Themen widmen; Hoffnung zum Beispiel", plädiert die 20-jährige Video-Journalistin Shakiba Adil. In ihrem Beitrag "If I Stand Up" porträtiert sie vier selbstbewusste afghanische Frauen, die die Männergesellschaft in diesem Land herausfordern: Eine Schuldirektorin, eine Ärztin als einzige Präsidentschaftskandidatin, eine Frauenrechtlerin und eine Radiomanagerin, die unter dem Taliban-Regime auch Beiträge produziert und gesendet hat.

Vielleicht vertritt sie mit ihrem Appell das Publikum, das überwiegend aus Männern besteht und ab dem zweiten Tag nach dem Sturz der Taliban die inzwischen 18 Kinosäle in Kabul stets voll besetzt - vorausgesetzt, dort werden indische Filme gezeigt. Denn die "normalen" Zuschauer, die statt Popcorn mit einer Tüte gerösteter Kichererbsen und Rosinen ins Kino gehen, lassen sich im Moment eher von den Bollywoodfilmen begeistern als "engagierte" Streifen made in Afghanistan anzuschauen.

Das erklärt unter anderem, warum ein Großteil der im Festival gezeigten Filme in afghanischen Kinos nicht gezeigt wird. Die "engagierten" Regisseurinnen, die ihre Filme unbedingt auf der Leinwand vorführen wollen, kostet es viel Kraft, bis sie ihr erwünschtes, weibliches Publikum erreichen: Sie müssen zuerst die Ehemänner um Erlaubnis bitten, Transportmittel organisieren und die Frauen hin- und zurückfahren.

"Wir leben in einem Land der absolut begrenzten Möglichkeiten - in jeder Hinsicht", sagt der 39-jährige Filmemacher Mirwais Rekab humorvoll, der mit seinem Kurzfilm Kabul Cinema das Kölner Publikum zum Lachen brachte.

Einflüsse aus Europa und Iran

Dass er wie fast alle anderen Filmemacher seine junge Hauptfigur von einem Laien-Darsteller spielen ließ, hat weniger mit dem ästhetischen Stil zu tun als mit finanziellen Engpässen. Diese beeinträchtigen auch die Qualität der Streifen, die zum Großteil ohne ausländische Unterstützung aus Iran, Japan, Deutschland, Frankreich oder den Niederlanden vermutlich nicht zu Stande gekommen wären.

Obwohl sich das afghanische Kino in einer Aufbauphase befindet, ist der Einfluss des europäischen Autorenkinos sowie die Bildsprache und der Rhythmus der iranischen Cineasten (vor allem Shahid Sales und Mohsen Makhmalbaf) unübersehbar:

Die romantische Darstellung der Natur (Erde und Asche von Atiq Rahimi), die surreal anmutenden Metaphern (The Tradition of Soil von Hakima Arefi) und nicht zuletzt die märchenhafte Subjektivität (Osama von Siddiq Barmak) kennzeichnen den neuen Aufbruch des afghanischen Kinos. Selbst die Filme, die von einer Aura der Authentizität leben (Three Dots von Roya Sadat) spiegeln diese ästhetischen Elemente wider.

"Ohne den Film 'Ein simples Ereignis' von Shahid Sales gesehen zu haben, hätte ich nicht gewagt, 'Erde und Asche' zu drehen", sagt der Regisseur Atiq Rahimi, der während des Festivals zu Gast war.

Zu Gast waren noch acht afghanische Cineasten und im Ausland lebende Afghaner, die aktiv dafür sorgten, dass der Anspruch der Veranstalter nach Begegnung und Dialog eingelöst wurde.

Die Förderpreise erhielten Roya Sadat, Mirwais Rekab und Mary Ayubi, drei Nachwuchsregisseure, die hoffentlich bald, Sadats Wunsch entsprechend, nicht nur die Wirklichkeit zeigen, sondern sie auch inszenieren werden.

Fahimeh Farsaie

© Qantara.de 2005

Qantara.de
Interview
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Siba Shakib
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