Rufmord als politische Waffe

Um politische Gegner zum Schweigen zu bringen oder Rivalen aus den eigenen Reihen zu diskreditieren, setzt das ägyptische Regime gezielt auf Rufmordkampagnen, meint die renommierte Aktivistin Esraa Abdel Fattah in ihrem Kommentar.

Von Esraa Abdel Fattah

Die gegenwärtige ägyptische Regierung setzt alle ihr zur Verfügung stehenden Medien ein, um ihre Gegner systematisch zu diskreditieren und zum Hass gegen sie aufzurufen. Dabei macht sie keinen Unterschied zwischen Revolutionären, Mitgliedern früherer Regimes oder Angehörigen der militärischen Elite: Zur Zielscheibe werden alle, die sich kritisch äußern, abweichende Meinungen vertreten oder das Regime herausfordern.

Daher sperrt die Regierung ihre Kritiker nicht nur ein, lässt sie verschwinden, belegt sie mit Reiseverboten oder friert ihre Vermögen ein, sondern überzieht sie auch mit Diffamierungskampagnen. Sie lässt Informationen "durchsickern" und veröffentlicht persönliche Telefongespräche. Diese werden dann von ihren Verbündeten in den Medien aufgegriffen und dazu verwendet, gegen die Zielpersonen zum Hass aufzurufen und sie zu diskreditieren.

Warum greift das Regime seine Gegner auf solche Weise an? Und nach welchen Kriterien werden die Opfer ausgewählt? Auf diese wichtige Frage gibt es unterschiedliche Antworten:

Zum einen sieht die Regierung beflissentlich davon ab, manche einflussreichen Regimekritiker einzusperren, da sie auf internationaler Ebene zu bekannt sind. Kämen sie ins Gefängnis, würde dies im Ausland zu viel Aufmerksamkeit erregen. Die Unruhe, die die internationalen Medien im Fall ihrer Verhaftung verbreiten würden, könnte dem Regime lästig werden.

Zweitens könnte es sein, dass die Regierung keine andere Möglichkeit mehr sieht, als ihre Kritiker mit derart unmoralischen Mitteln zu tyrannisieren. Vielleicht hat sie keine ausreichenden Beweise, die eine Verhaftung rechtfertigen würden – auch wenn viele glauben, sie sei durchaus in der Lage, gegen jeden Gegner, den sie einsperren will, eine beliebige Anklage zu erfinden.

Khaled Ali ist einer der bekanntesten Menschenrechtsanwälte Ägyptens; Foto: MOHAMED ABD EL GHANY/REUTERS
Politisch unerwünscht und im Visier des Regimes: Der bekannte Menschenrechtsanwalt Khaled Ali ist derzeit der einzige Gegenkandidat Abdel Fattah al-Sisis bei den bevorstehenden Präsidentschaftswahlen und könnte daher dem Regime gefährlich werden. Doch Alis Kandidatur steht auf der Kippe. Ende September hat ihn ein Gericht in Kairo zu drei Monaten Gefängnis auf Bewährung und einer Geldstrafe von 50 Euro verurteilt. Der ägyptische Präsidentschaftskandidat Sami Annan wurde am 23.01. festgenommen. Er sei wegen eines Fehlverhaltens einbestellt worden, hieß es aus Militärkreisen. Und erst vor wenigen Wochen hatte Ex-Ministerpräsident Ahmed Shafiq seine angekündigte Kandidatur zurückgezogen.

Kein Spielraum für politischen Dissens

Drittens ist Rufmord gegen Verteidiger der Menschenrechte und die ägyptische Opposition – insbesondere gegen Frauen – eine sehr effektive Waffe. In einer konservativen Gesellschaft führen solche Diffamierungskampagnen dazu, dass die Glaubwürdigkeit des Opfers beeinträchtigt oder herabgesetzt wird – sogar wenn es sich bei den publik gemachten, angeblichen Verfehlungen um reine Privatangelegenheiten handelt.

Sperrt man solche Aktivisten einfach rigoros ein, könnte sie das zu Helden oder Märtyrern machen. Stellt man hingegen ihren Ruf systematisch in Frage, zerstört das ihre Legitimität und mit ihr diejenige der gesamten Aktivisten der ägyptischen Januar-Revolution.

Um zu verhindern, dass die zentralen Symbole und Führungspersonen der Januar-Revolution die Gesellschaft zu stark beeinflussen, eröffnet ihnen die Regierung keinerlei Spielraum. Dies ist eine wichtige Lektion, die das Regime aus den damaligen Aufständen und der relativ nachgiebigen Reaktion Mubaraks im Verlauf des Aufstands von 2011 gelernt hat.

Esraa Abdel Fattah; Foto: youtube
Esraa Abdel Fattah ist Social Media Managerin der Zeitung „Tahrir News“. Sie war eine der Initiatorinnen des von der Bewegung 6. April organisierten Generalstreiks im Jahr 2008. Als politische Aktivistin spielte sie eine führende Rolle bei den Massenprotesten gegen Mubarak im Januar 2011 auf dem Tahrir-Platz in Kairo. Im gleichen Jahr wurde sie für ihr Engagement für den Nobelpreis nominiert.

Daher wird sie auch solche Stimmen nicht zulassen, die ein freies politisches Klima fordern, wie während und kurz nach den Aufständen vom Januar 2011. In den diversen staatlich kontrollierten Medien kommen stattdessen nur heuchlerische Stimmen zu Wort, die im Dienste des Regimes Informationen verfälschen und die öffentliche Meinung gezielt beeinflussen.

Anschwärzen mit System

Aus welchen Gründen auch immer: Noch nie zuvor wurde in Ägypten die Waffe des Rufmords und der Diskreditierung politischer Opponenten von einer Regierung so bewusst eingesetzt wie heute. Dies lässt die politische Führung in einem äußerst schlechten Licht erscheinen. Es ist kein Zeichen von Stärke, sondern von Schwäche. Seine Kritiker auszuspionieren oder private Telefonate aufzuzeichnen und zu veröffentlichen, ist ein äußerst miserabler Stil.

Die letzte Frage ist, ob die ägyptische Öffentlichkeit diese Taktiken eines Tages wirklich durchschauen kann. Wird sie erkennen, dass solche Regimes, die in die Privatsphäre ihrer Gegner eindringen und sie ausspionieren, verachtenswert sind –  und unfähig, die Opposition mit ehrenhaften Mitteln herauszufordern, nämlich auf der Grundlage von Logik und Fairness? Es wäre zu wünschen, dass die Regierung den politischen Einwänden ihrer Kritiker auf vernünftige, respektvolle und direkte Weise begegnen würde, ohne auf Täuschung oder Fälschung zurückgreifen zu müssen.

Esraa Abdel Fattah

© Open Democracy 2018

Übersetzt aus dem Englischen von Harald Eckhoff