Wird der IWF-Kredit zur vertanen Chance?

Bei der Aushandlung des IWF-Kreditabkommens mit Ägypten ist die Chance vertan worden, politische Reformen einzufordern. Ohne diese wird das Land nicht zu langfristiger wirtschaftlicher Stabilität zurückfinden, meinen Stephan Roll und Matthias Sailer.

Von Stephan Roll und Matthias Sailer

Nach knapp zweiwöchiger Verhandlung haben sich ägyptische Regierungsvertreter mit einer Delegation des Internationalen Währungsfonds (IWF) auf die Grundzüge eines Kreditabkommens geeinigt, das aller Voraussicht nach von der ägyptischen Staatsführung und dem Exekutivrat des IWF gebilligt werden dürfte.

Unter der Voraussetzung, dass Ägypten zusätzliche Kredite in Höhe von fünf bis sechs Milliarden US-Dollar von weiteren Gebern einwerben kann, erhält es einen IWF-Kredit über zwölf Milliarden. US-Dollar. Das über drei Jahre gestreckte Programm soll dem bevölkerungsreichsten arabischen Land helfen, sein Wechselkursregime zu reformieren, Budgetdefizit und Staatsverschuldung zu reduzieren und vor allem das Wirtschaftswachstum anzukurbeln.

Zwar sind die genauen Auflagen des IWF für die Kreditvergabe noch nicht im Detail bekannt, allerdings scheint der Fonds vor allem auf Subventionskürzungen, die Einführung einer Mehrwertsteuer und die Flexibilisierung des Wechselkurses zu drängen.

Dramatische Zuspitzung der Wirtschaftskrise

In den vergangenen fünf Jahren war es bereits zweimal zu einem solchen "Staff-Level-Agreement" mit dem IWF gekommen. Die auf Arbeitsebene ausgehandelten Abkommen waren bisher allerdings immer an den Vorbehalten der ägyptischen Staatsführung gescheitert, die die mit einem IWF-Kredit verbundenen wirtschaftlichen Reformauflagen als mögliche Auslöser weiterer Proteste sah. Dass die Annahme des jetzigen Abkommens durch die Staatsführung unter Präsident al-Sisi mehr als wahrscheinlich ist, erklärt sich durch die dramatische Zuspitzung der Wirtschaftskrise des Landes.

Mit einer Pro-Kopf-Wachstumsrate des Bruttoinlandsproduktes (BIP) von mageren zwei Prozent, Inflationsraten von bis zu 14 Prozent und einer steigenden Arbeitslosigkeit, die bei jungen Erwachsenen auf über 50 Prozent geschätzt wird, hat sich die Situation für den Großteil der Bevölkerung seit dem politischen Umbruch 2011, vor allem aber seit dem Militärputsch 2013 erkennbar verschlechtert.

Ägyptisches Pfund, Foto: dpa/pictue-alliance
Am finanziellen Abgrund: Ägypten leidet unter Inflation, schwachem Wachstum und hoher Arbeitslosigkeit. Die Devisenreserven schmelzen weiter ab, dem Land droht der Staatsbankrott, sollte diese Entwicklung weiter anhalten. Ende 2012 hatte Ägypten mit dem IWF eine Grundsatzvereinbarung über ein Kreditprogramm im Umfang von 4,8 Milliarden Dollar erzielt. Es wurde aber nicht umgesetzt.

Besonders der Zustand der Staatsfinanzen setzt die Regierung unter Handlungsdruck: Trotz massiver Finanzhilfen aus den Golfstaaten war das Budgetdefizit im Haushaltsjahr 2015/16 abermals deutlich über zehn Prozent, die Staatsverschuldung auf nahezu 100 Prozent des BIP gestiegen. Zudem musste die Zentralbank im Juli ein weiteres Abschmelzen der Devisenreserven auf rund 15 Mrd. US-Dollar verkünden. Eine Fortsetzung dieses Trends würde die Zahlungsfähigkeit des Landes bedrohen.

Der Staatsbankrott dürfte durch das Abkommen mit dem IWF kurzfristig abgewendet werden. Bei abschließender Bewilligung des Kredits könnte das Land bereits im September eine Abschlagszahlung von 2,5 Milliarden US-Dollar erhalten. Ob allerdings das übergeordnete Ziel des IWF-Kredits gelingen kann, nämlich Ägyptens Einnahmen- und Ausgabensituation mittelfristig in ein solides Gleichgewicht zu bringen und das Land auf einen wirtschaftlichen Wachstumspfad zu führen, ist mehr als fraglich. Hierfür müssten zunächst die politischen Rahmenbedingungen verbessert werden.

Politische Rahmenbedingungen behindern wirtschaftliche Entwicklung

An erster Stelle ist hier die fehlende Rechtssicherheit angesichts eines willkürlich arbeitenden Polizei- und Justizapparats zu nennen. Vor allem kleine und mittelgroße Unternehmen, die nicht über persönliche Verbindungen auf höchster politischer Ebene verfügen, werden hierdurch benachteiligt. Aber auch jene mit entsprechenden Verbindungen laufen Gefahr, in Ungnade zu fallen und in die Fänge der willkürlich agierenden Justiz- und Sicherheitsbehörden zu geraten.

Fehlende Rechtssicherheit begünstigt auch die von der Staatsführung angeordnete Repression gegen jegliche Opposition und kritische Zivilgesellschaft. Polizeigewalt und Willkürjustiz befördern die Radikalisierung in Teilen der Bevölkerung und spielen somit gewaltbereiten Islamisten in die Hände. Die damit einhergehende Verschlechterung der Sicherheitslage wirkt sich negativ auf Investitionsentscheidungen und den Tourismussektor aus.

Ägyptens Präsident Abel Fattah al-Sisi zu Besuch auf dem Sinai; Foto: picture-alliance/Office of The Egyptian President
Ägyptens übermächtiges Militär: "Letzteres ist ein Staat im Staat, dessen eigene Wirtschaftsaktivitäten unter Präsident Sisi auch auf Kosten des privaten Sektors ausgebaut wurden", schreiben Stephan Roll und Matthias Sailer.

Ferner unterminieren die ausufernde Korruption und Vetternwirtschaft einen fairen Wettbewerb. Wie wenig ihre Bekämpfung derzeit erwünscht ist, zeigte kürzlich die Entlassung und Verurteilung des Chefs des ägyptischen Rechnungshofs, nachdem dieser öffentlich Korruption angeprangert hatte. Doch nicht nur das Fehlen effektiver und unabhängiger Marktaufsichtsinstitutionen begünstigt Intransparenz im staatlichen Wirtschaftshandeln. Auch die systematische Unterdrückung der Presse- und Meinungsfreiheit trägt ihren Teil dazu bei.

Schließlich steht das Eigenleben staatlicher Institutionen unternehmerischem Handeln im Wege. Dem Ease-of-Doing-Business-Index der Weltbank zufolge befand sich Ägypten in Bezug auf unternehmerfreundliche Regulierungen im internationalen Vergleich 2015 im unteren Drittel. Das liegt nicht nur an der ineffizienten Bürokratie, sondern im Wesentlichen an den in nahezu allen administrativen und politischen Entscheidungen involvierten Sicherheitsbehörden, allen voran dem übermächtigen Militär. Letzteres ist ein Staat im Staat, dessen eigene Wirtschaftsaktivitäten unter Präsident Sisi auch auf Kosten des privaten Sektors ausgebaut wurden.

Keine Alternativen zum IWF-Kredit?

Angesichts dieser ungünstigen Rahmenbedingungen müsste jegliche Finanzhilfe an Ägypten mit konkreten Forderungen nach einem Abbau der allumfassenden Repression gegenüber Opposition und Zivilgesellschaft, mehr staatlicher Transparenz bei Entscheidungen in Politik und Verwaltung sowie Rechtsstaatlichkeit einhergehen. Das oftmals vorgebrachte Argument, eine solche politische Konditionierung wäre von der Führung in Kairo niemals akzeptiert worden, da sie hierdurch ihre eigene Herrschaft gefährden würde, ist dabei keineswegs plausibel.

Tatsächlich hat die Sisi-Administration aufgrund der prekären Finanzsituation und der zurückgegangenen Bereitschaft der Golfstaaten, in ein Fass ohne Boden zu investieren, derzeit keine Alternativen zum IWF-Kredit. Die Möglichkeit, dem Regime zumindest partielle Zugeständnisse in Bezug auf den autoritären politischen Rahmen abzuringen, ist wohl so groß wie seit Jahren nicht mehr.

Deutschland und seine EU-Partner sollten dem IWF-Kredit in seiner jetzigen Form daher nicht zustimmen. Mit seinen makroökonomischen Auflagen kann er allenfalls kurzfristig zur Verbesserung der Finanzsituation Ägyptens beitragen, langfristig wird er die Wirtschaft des Landes nicht stärken können.

Stattdessen sollte der Kredit in ein umfangreicheres internationales Hilfspaket für Ägypten eingebunden werden, das eine Reform des politischen Rahmens einfordert. Ansonsten steht zu befürchten, dass die wirtschaftliche und soziale Situation zukünftiger Generationen durch die dramatische Erhöhung der Schuldenlast noch misslicher wird.

Stephan Roll & Matthias Sailer

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