Abdullah Frank Bubenheim, 25. Oktober 2012

zu "Gott ist kein Diktator" - Interview mit Mouhanad Khorchide

Im Grunde hat Herr Khorchide Recht, aber er sollte sich vorsehen, nicht ebenso wie die „Salafisten“ zu einseitig zu sein, nämlich zum anderen Extrem hin. Ein liebender Vater muß auch Strafen verhängen und seine Kinder dazu veranlassen, sich an Regeln zu halten. Paradies und Hölle existieren nicht im übertragenen Sinn, sondern werden im Jenseits die einzig realen Welten sein, auch wenn sie das Ergebnis der Handlungen der Menschen sind.
In Wien lebt der aus Gaza stammende Dr. Adnan Ibrahim, der dort Imam einer Moschee ist und von dem zahlreiche Predigten und Vorträge im Netz zu finden sind, allerdings alle auf Arabisch. Aus diesem Grunde ist er bisher in den arabischen Ländern bekannter als in der BRD oder Österreich, obwohl er den im Westen lebenden Muslimen und Nichtmuslimen Denkanstöße zu geben hat, die von ihnen vielleicht eher angenommen werden könnten. Was er zu sagen hat, ist sehr interessant, und er gilt als „Erneuerer“, obwohl er sich nicht in liberaler Weise von vom traditionellen Islam gelöst hat. Er fordert in einigen Bereichen zu einem radikalen Umdenken auf und fordert die Loslösung von über Jahrhunderten angewöhnten kulturellen Denkstrukturen, wie derjenigen, die es repressiven Herrschaftsformen ermöglicht hat und immer noch ermöglicht, sich in der Islamischen Welt zu etablieren. Für ihn sind eine islamische und eine demokratische Ordnung keine Gegensätze, und im Islam gibt es keine Theokratie im christlich-abendländischen Sinn. Auch er stellt, wie Khorchide, die Mündigkeit und die Vernunft des Menschen in den Mittelpunkt, aber nicht auf Kosten der Grundlagen der Religion und deren Normen.
Im Vergleich erscheint mir Adnan Ibrahim genialer und ausgewogener als Mouhanad Khorchide und eher geeignet, der Pionier einer islamischen Erneuerung zu sein, und es wäre wünschenswert, wenn seine zahlreichen Vorträge und Predigten ins Deutsche und Englische übersetzt würden, um sein Wissen und seine Gedanken auch Nichtarabern zugänglich zu machen.