Gefragt waren ehrliche Antworten

Wie kann man rückblickend die arabische Beteiligung auf der Buchmesse und den deutsch-arabischen Dialog bewerten? Youssef Hijazi fragte den libanesischen Journalisten und Schriftsteller Abbas Beydoun.

Die Einladung der Arabischen Liga als Ehrengast zur Frankfurter Buchmesse war ein weiterer Schritt im deutsch-arabischen Dialog. Youssef Hijazi fragte den libanesischen Journalisten und Schriftsteller Abbas Beydoun, wie er diesen Dialog und die arabische Beteiligung auf der Buchmesse bewertet.

Abbas Beydoun, Foto: Larissa Bender
Abbas Beydoun

​​Herr Beydoun, wie beurteilen Sie die offizielle arabische Beteiligung an der diesjährigen Frankfurter Buchmesse?

Abbas Beydoun: Ich glaube nicht, dass diejenigen, die sich das Programm ausgedacht haben, immer ein Bild oder eine Idee von dem deutschen Gegenüber hatten. Wir waren hier in Frankfurt, um mit dem Westen in einen Dialog zu treten, gleichsam vermittelt durch die Deutschen.

Wir hätten aber auch wissen sollen, was in diesem Zusammenhang die Fragen der Deutschen sind und wie wir sie hätten ansprechen sollen. Den Sinn einer Veranstaltung wie "Tendenzen der zeitgenössischen arabischen Poesie" verstehe ich nicht, und ich vermute zugleich, dass kein Deutscher sich durch solch einen Titel angesprochen fühlt.

Das Interesse liegt doch eher in der Präsens der Deutschen in der arabischen Kultur, doch keine einzige Veranstaltung ging dieser Frage nach. Eine Veranstaltung wie "Rilke in der zeitgenössischen arabischen Poesie" oder "Die zeitgenössische arabische Poesie in ihrer Beziehung zur deutschen Poesie" oder ähnliche thematische Veranstaltungen, die die Erzählkunst aber auch andere Künste betreffen, wären interessanter für die Deutschen gewesen.

Die Neugier der Deutschen orientiert sich in Richtung der möglichen Wirkung der deutschen Kultur auf die arabische Kultur. Diese Seite wurde im Programm völlig vernachlässigt, aus Kurzsichtigkeit und mangelnder Phantasie und weil diejenigen, die das Programm organisiert haben, mehr mit sich selbst beschäftigt waren.

Haben Sie das Gefühl, dass die brennenden arabischen Themen thematisiert wurden?

Beydoun: Es gab wichtige Themen, doch sie wurden ungenügend behandelt. Es war wichtig, über die muslimische Frau zu sprechen, aber nicht unbedingt notwendig, die Situation der Frau im Islam zu verteidigen.

Es war wichtig, über die Verwicklung Saudi Arabiens in die Unterstützung des weltweiten Terrors zu sprechen, natürlich nicht Saudi Arabien als Nation, sondern als Ideologie. Und so war es töricht, hierher zu kommen, um Saudi Arabien zu verteidigen, das natürlich als Staat nichts mit Terror zu tun hat. Die Schulen jedoch, die dieser Staat überall auf der Welt gegründet und mit Geld unterstützt hat, haben dann die Ideologie des Terrors später verbreitet.

Dazu kommt, dass der Deutsche, der nach dem Zweiten Weltkrieg eine feste Tradition der Selbstanklage und Selbstkritik entwickelt hat, eine Kultur, die sich nun selbst verteidigt und beschönt, nicht versteht. Die deutsche Nachkriegskultur baut bekanntlich nicht nur auf diesem Selbsttadel, sondern teilweise auch auf einem gewissen Selbsthass auf.

Ich glaube nicht, dass das Programm seine Aufgabe wirklich erfüllt hat. Uns Arabern wäre es möglich gewesen, mit dem Wenigen, was wir haben, mehr zu erreichen, hätten wir bessere Vorstellungskraft und Verständnis besessen. Denn ich glaube, dass die Deutschen nicht notwendigerweise außerordentliche Literatur oder sogar großartige Ideologien erwarteten, sondern ehrliche Antworten.

Sie interessieren sich nach dem 11. September dafür, wer die Araber sind, und Sie wollen von diesen Arabern und Muslimen ehrliche, realistische und diskursive oder kritische Antworten in einem verständlichen Dialog.

Diese Fragen werden seit einer Weile diskutiert. Finden Sie nicht, dass der arabische Intellektuelle noch mehr gefordert war?

Beydoun: Ich glaube, dass die Deutschen erfahren wollten, dass es andere arabische Intellektuelle gibt und dass die offiziellen und nationalistischen Ideologien nicht alle arabischen Intellektuellen einschließen. Sie wollten mehrere arabische Nuancen sehen. Sie wollten hören, was die Araber über die durch Tyrannei geprägte Geschichte, über all die totalitären Regime und über die nationalistischen Ideologien denken.

Sie wollten etwas erfahren über den genauen Status der Frau im Islam und in der arabischen Welt. Sie wollten wissen, was wirklich im Irak und in Palästina vor sich geht und sie wollten dies kritisch und diskursiv erfahren.

Sie wollten einen wahren Diskurs mit dem Islam und der islamischen Geschichte aufbauen. Sie wollten wissen, welche Fragen sich die arabischen Intellektuellen stellen und wie die Araber über ethnische Minderheiten denken. Das gesamte arabische Programm der Buchmesse mied z.B. das Thema der Selbstmordattentate, obgleich es zu einem alltäglichen Thema geworden ist.

Und es wäre wichtig, wenn die Deutschen die verschiedenen Meinungen über diese Geschehnisse erfahren würden. Diese Beispiele zeigen, dass wir nicht in der Lage waren, all diese Fragen zu beantworten.

Sind Sie pessimistisch? Was können die Araber tun, um von den Lehren aus Frankfurt in der Zukunft zu profitieren?

Beydoun: Es war sicherlich eine größere Aufmerksamkeit im Hinblick auf die arabische Kultur gegeben. Wir fanden die Bücher arabischer Schriftsteller nicht nur auf der Buchmesse, sondern auch in den Schaufenstern der Buchläden ausgebreitet, die Lesungen der arabischen Literaten waren gut besucht und einige Bücher trafen auf großes Interesse, wie der Roman "Das Tor zur Sonne" von Elias Khoury.

Dazu kommt, dass die arabischen Themen für eine etwas längere Zeit im Mittelpunkt der Diskussion standen, und dies war wichtig und nützlich. Ich glaube, dass die Situation nach Frankfurt besser sein wird als vorher. Wenn die Araber ihre Erfahrungen in Frankfurt diskutieren, werden sie daraus wertvolle Lehren in Zusammenhang mit ihrer Art der Auseinandersetzung und ihres Images ziehen.

Ich glaube, die Erfahrung war vielschichtig, und ich bin nicht pessimistisch, denn die Verantwortung liegt hier nicht bei den Politikern, sondern bei den Intellektuellen selbst; und da bin ich zuversichtlich, dass sie die Fähigkeit zum Verständnis und Lernen besitzen.

Wo sehen Sie die positive Entwicklung? In der Übersetzung oder im Kulturaustausch im Allgemeinen?

Beydoun: Obgleich Gründe nicht zu erkennen sind, glaube ich, dass die deutschen Absichten gegenüber der arabischen Kultur und der arabischen Welt ehrlich sind. Natürlich auch aus eigenen Interessen, was ganz normal ist. Doch ich glaube, dass weitere Faktoren existieren, die die deutschen Intellektuellen einladen, der arabischen Kultur und der arabischen Welt mehr Aufmerksamkeit zu schenken.

Einer der wichtigsten Faktoren ist die besondere Situation der Deutschen nach dem Krieg. Die deutsche Kultur neigte für eine längere Phase bewusst oder unbewusst dazu, die arabische Kultur zu ignorieren. Eine besondere Art der Vermeidung und Vorsicht gegenüber allem, was in der arabischen Welt vor sich geht.

Ich denke, dass die deutschen Intellektuellen dieser Vermeidungsstrategie überdrüssig geworden sind, dass sie in diesem Ausweichen eine Menge Ungerechtigkeit gegenüber der arabischen Kultur empfinden.

Sie machen sich mehr oder weniger einen Vorwurf, weil sie nicht genug Interesse an dieser Kultur gehabt haben, insbesondere nachdem sie sahen, dass die Hamburger Zelle, die den 11. September geplant hat, mitten in Deutschland wirkte, und sie somit nicht mehr weit entfernt sind von den Problemen. Und nun erkennen sie, dass sie nicht mehr so tun können, als lebten die Araber in einer anderen Welt.

Ich merke, dass Sie ihre Hoffnung auf die deutsche und nicht auf die arabische Seite legen?

Beydoun: Auf die deutsche Seite ist Verlass. Wenn sich die deutsche Seite bewegt, wird die arabische Seite reagieren. Wir können keine arabische Initiative erwarten, denn wir können unser ganzes kulturelles oder politisches Leben in einen positiven oder negativen Dialog mit dem Westen zusammenfassen. Wenn ich über den deutsch-arabischen Dialog spreche, dann meine ich vor allem die Öffnung des Westens gegenüber der arabischen Welt.

Die Deutschen wissen nicht viel über die arabische Literatur, die Kultur oder über die Araber im Allgemeinen, und ich glaube, es ist nun an der Reihe, dass sie diese Lücke füllen. Gründe, dies zu tun, liegen wahrscheinlich im System, und mit System meine ich die Institutionen, die Initiative ergreifen und die Fähigkeit der Planung und Finanzierung besitzen.

Zugleich könnten die Deutschen mit diesen Möglichkeiten umgekehrt der arabischen Welt helfen, sie besser kennen zu lernen. Sie könnten deutsche Literatur ins Arabische übersetzen lassen und nicht nur arabische Literatur ins Deutsche.

Finden sie nicht, dass Sie die ganze Verantwortung auf die andere Seite übertragen?

Beydoun: Jetzt sind die Deutschen an der Reihe. Die Öffnung der arabischen Seite gegenüber der westlichen Kultur besteht seit zwei Jahrhunderten. Der westlich-arabische Dialog bedeutet nun Öffnung der westlichen Seite gegenüber der arabischen Welt. Unser gesamtes arabisches Leben veränderte sich faktisch durch den Westen.

In den letzten zwei Jahrhunderten taten die Araber nichts, außer auf einen aufgezwungenen und aufoktroyierten Dialog, einen freiwilligen und einen verhassten, einen gewollten und einen bevorzugten Dialog mit dem Westen zu reagieren.

Wenn wir über einen deutsch-arabischen Dialog sprechen, meinen wir, ohne Einwände zu haben, dass die Deutschen an der Reihe sind. Der arabisch-westliche Dialog und selbst der arabisch-deutsche Dialog ist seit Jahrhunderten ein einseitiger Dialog in Richtung der arabischen Welt.

Es genügt, einem arabischen Intellektuellen zu begegnen, um festzustellen, dass er Goethe und Schiller, Hölderlin und Benjamin, sowie Hegel, Heidegger und Habermass usw. kennt. In einer ihrer Lebensphasen war ein überwiegender Teil der arabischen Intellektuellen Marxisten, in einer anderen Brechtianer, also finden wir in jedem arabischen Intellektuellen auch eine deutsche Seite.

Interview: Youssef Hijazi

© Qantara.de 2004