Vielfalt als Vorteil

Mit dem Europäischen Jahr des interkulturellen Dialogs will die EU ein Zeichen setzen und die kulturelle Vielfalt ins Bewusstsein der Europäer rücken. Doch: Kulturpluralismus und Abschottung vor illegalen Flüchtlingen – geht das zusammen? Von Daniela Schröder

Mit dem Europäischen Jahr des interkulturellen Dialogs will die EU ein Zeichen setzen und die kulturelle Vielfalt Europas ins Bewusstsein der europäischen Identität rücken. Doch: Kulturpluralismus und Abschottung vor illegalen Flüchtlingen – geht das zusammen? Daniela Schröder berichtet aus Brüssel.

​​Europa ist schon lange multikulturell. Sich selbst hat die Europäische Union bisher jedoch nicht so definiert. 2008, das Jahr des europäischen interkulturellen Dialogs, steht unter dem Motto "Vielfalt gemeinsam erleben".

Mit der Initiative will die EU zeigen, dass kulturelle Vielfalt nicht ein Problem für Europa darstellt, sondern Reichtum und Vorteil. Auf diesem Weg soll sich das Verständnis der Kulturen, Völker und Religionen füreinander verbessern und ein "Wir"-Gefühl wachsen.

Kultur, Bildung, Migration und Jugendarbeit stehen beim europäischen Dialog der Kulturen im Mittelpunkt. Sieben länderübergreifende Aktionen und 30 Veranstaltungen in den Mitgliedstaaten drehen sich um Medien, Musik, Literatur, Sprache, Religion und Arbeitswelt.

Auch Projekte mit Israel, Ägypten, Jordanien und Palästina gehören zum Programm. Eine Diskussionsreihe in Brüssel soll Ideen für neue Politik-Strategien zum Zusammenleben der Kulturen in Europa hervorbringen. Prominente Künstler aus der europäischen Kulturszene treten als Botschafter für das mit zehn Millionen Euro aus dem EU-Haushalt finanzierte Dialog-Jahr auf.

"Schlichte Toleranz genügt nicht mehr"

Jan Figel, EU-Kommissar für Bildung, Kultur und Jugend, hofft, dass durch die Initiative "ein interkulturelles Europa entstehen kann, in dem die verschiedenen Kulturen sich konstruktiv austauschen und interagieren und der Respekt der Menschenwürde Allgemeingut ist."

Europa stehe vor der großen Herausforderung, sich zu einer interkulturellen Gesellschaft zu entwickeln, so Figel. "Wir wollen über die multikulturelle Gesellschaft hinauswachsen, schlichte Toleranz genügt heute nicht mehr."

Afrikanische Migrantinnen in Amsterdam, Foto: picture-alliance
Die interkulturelle Vielfalt ist in fast allen EU-Staaten, wie hier in Holland, längst Realität.

​​Die Erweiterung der EU auf derzeit 27 Staaten, die Liberalisierung der Arbeitsmärkte und die Globalisierung haben in vielen europäischen Ländern zu einem Mehr an Multikulturalität, einer höheren Zahl an Sprachen und Glaubensbekenntnissen sowie zu verschiedenen ethnischen und kulturellen Hintergründen geführt.

Europa ist alles andere als eine homogene Gesellschaft, eine gemeinsame europäische Identität nicht mehr als ein frommer Wunsch, genau wie die Vorstellung von einer EU-Staatsbürgerschaft.

Auch wenn das Zusammenwachsen der Menschen in Europa schwierig erscheine, utopisch sei es dennoch nicht, meint Jan Figel. "Vor 50 Jahren erschien es ebenfalls unerreichbar, die unterschiedlichen Völker unseres Kontinents unter einem Dach – dem der Europäischen Union – zusammenzubringen", so der Kommissar.

Heute aber sei die EU (und mit ihr die Zusammenführung der Länder Europas) längst Realität. "Deshalb können und sollten wir uns den Herausforderungen stellen, die sich aus unserer kulturellen und religiösen Vielfalt ergeben."

Kulturpluralismus trotz Abschottung?

Es gibt aber auch Stimmen, die davor warnen, im angestrebten Dialog der Kulturen ein Allheilmittel für Probleme, Konflikte und Spannungen in der Gesellschaft zu sehen: "Wir laufen Gefahr, 'Kultur' und 'interkulturellen Dialog' zur Verschleierung von sozialen und wirtschaftlichen Unterschieden zu missbrauchen und diese Unterschiede als 'kulturell' zu stigmatisieren", sagt Odile Chenal, Vizedirektorin der Europäischen Kulturstiftung.

Dass sich die EU in diesem Jahr für die Vielfalt der Kulturen einsetzen will, wird auch in Brüssel selbst kritisch beobachtet. Die europäische Flüchtlingspolitik etwa oder das Abschotten der EU-Außengrenzen aus Angst vor illegalen Einwanderern aus Afrika passten nicht zu dem jetzt beschworenen Kulturpluralismus, sagt Helga Trüpel (Grüne), Vizevorsitzende im Kulturausschuss des Europa-Parlaments.

Nicht über, sondern mit Muslimen reden

"Auch dass wir nicht mit den Muslimen in Europa reden, sondern in erster Linie über sie" widerspreche dem Anspruch des Dialog-Jahres. "Anstatt nur religiöse Führer ins Parlament zu holen, müssten wir auch kritische Intellektuelle einladen", fordert die deutsche EU-Abgeordnete.

Shada Islam vom "European Policy Centre" sieht die Bedeutung der 2008 laufenden Initiative vor allem in ihrer Symbolik. In der EU spiele das Zeichen-Setzen eine große Rolle, sagt sie: "Europa hat sich nie als multikulturelle Gesellschaft gesehen, jetzt öffnet es seine Augen gegenüber der Realität."

Im europäischen Politik-Alltag seien die Themen des Dialog-Jahres noch weitgehend unerschlossenes Feld. "Dies hier ist ein Startschuss, und wir haben einen Marathon vor uns", so die EU-Expertin. Immerhin gehe es darum Denkweisen und Einstellungen zu ändern – eine Aufgabe für mindestens ein Jahrzehnt.

Daniela Schröder

© Qantara.de 2008

Daniela Schröder arbeitet als freie EU-Korrespondentin in Brüssel.

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Webseite "Europäisches Jahr des interkulturellen Dialogs"