Von der Asymmetrie zur Apathie

Auch 15 Jahre nach Unterzeichnung des Oslo-Abkommens ist ein umfassender Friede im Nahen Osten noch immer in weiter Ferne. Über die Gründe hierfür und das Vermächtnis von Oslo hat sich Hisham Adem mit Politikern und Nahost-Experten unterhalten.

Vor 15 Jahren, am 13. September 1993, besiegelten PLO-Chef Arafat und Premierminister Rabin per Handschlag im Garten des Weißen Hauses in Washington die Osloer Prinzipienerklärung.

Das Oslo-Abkommen, die Frucht langer, zäher Geheimverhandlungen in der norwegischen Hauptstadt, galt als historische und politische Wende.

Erstmals wurde hier ein Prozess zur Lösung der "zentralen Nahostproblematik" initiiert, der einen unabhängigen palästinensischen Staat und einen gerechten, umfassenden Frieden zum erklärten Ziel hatte. Jahrzehntelang hatten sich Israelis und Palästinenser gegenseitig das Existenzrecht abgesprochen, jetzt erkannten sie sich gegenseitig an.

Doch auch 15 Jahre nach diesem bedeutenden Augenblick bleiben viele Fragen offen: Was wurde infolge des Abkommens erreicht? Hätte es nicht eigentlich die Beziehungen zwischen Israelis und Palästinensern auf eine ganz neue Basis stellen müssen?

"Oslo liegt im Koma"

Hierzu erklärte Jibril Rajoub, Mitglied des Revolutionsrats der Fatah-Bewegung und nationaler Sicherheitsberater unter den Palästinenserpräsidenten Arafat und Abbas:

"Oslo lebt zwar noch, ist jedoch infolge der israelischen Politik ins Koma gefallen. Forcierter Siedlungsbau, systematische Verhaftungen und Abriegelungen sowie die auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschobene, konkrete Umsetzung haben dem Geist von Oslo so schwer zugesetzt, dass er nur noch künstlich am Leben gehalten werden kann."

Rajoub führt dies auf die sehr allgemein gehaltene Formulierung des Oslo-Abkommens zurück, insbesondere zur Frage der Siedlungen. Den Israelis böten sich darin genügend Schlupflöcher, den Siedlungsbau trotz breit angelegter internationaler Proteste voranzutreiben.

Margret Johannsen vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg äußert sich im Interview ebenfalls pessimistisch: "Konkret hat Oslo gar nichts bewirkt. Die Besatzung besteht unverändert weiter, bei den Palästinensern grassiert Korruption. Beide Seiten hassen sich mehr denn je."

Johannsen kommt zu einem ähnlichen Schluss wie Rajoub, wenn sie betont, dass "klare, rechtlich bindende Vorgaben zu den Siedlungen im Oslo-Abkommen fehlen, wodurch deren Ausbau klar begünstigt werde."

Auch Akiva Eldar, politischer Kolumnist der israelischen Tageszeitung "Ha'aretz", spricht in diesem Zusammenhang von "den Schwierigkeiten, in die die israelische Siedlungspolitik den Friedensprozess gebracht hat. Das Oslo-Abkommen ist ein rein theoretisches Konstrukt ohne praktische Auswirkungen geblieben."

Krise als idealer Nährboden für die Hamas

Auf die Frage, ob es noch vor Ende dieses Jahres zu einem Friedensvertrag kommen könne, erwidert Rajoub wenig optimistisch: "Die Israelis behandeln uns nicht wie einen ernstzunehmenden Partner im politischen Prozess."

Diesem Urteil schließt sich Eldar an: "Angesichts des fehlenden politischen Willens der Israelis, eine umfassenden Lösung zu erzielen, ist ein baldiger Friede nur ein frommer Wunsch."

Jibril Rajoub; Foto: AP
Die konkrete Umsetzung der Ziele von Oslo hat dem Geist des Abkommens so schwer zugesetzt, dass er nur noch künstlich am Leben gehalten werden kann, meint Jibril Rajoub.

​​Gleichzeitig verweist Eldar jedoch auf die Mitverantwortung der Palästinenser für das Scheitern. "Auch auf palästinensischer Seite gibt es Kräfte, die nicht am Friedensprozess interessiert sind. Zum Beispiel weigert sich die Hamas-Bewegung weiter, Israel anzuerkennen. Und auf regionaler Ebene würde eine friedliche Einigung den Interessen der Hisbollah zuwiderlaufen."

"Zweifel und Argwohn" beider Konfliktparteien gegenüber der jeweils anderen Seite, so Johannsen, hätten sich negativ auf die Umsetzung des Abkommens ausgewirkt. Infolgedessen habe sich nichts spürbar verändert – ein "idealer Nährboden" beispielsweise für den wachsenden Einfluss der Hamas, die zu Selbstmordanschlägen in Israel ermutigt werde.

Verhandelt werde inzwischen nicht mehr um "Frieden im Austausch für Frieden, sondern um Frieden im Austausch für ein Ende des Terrors."

"Asymmetrie der Konfliktparteien"

Rajoub sagt es deutlich: "Der wesentliche Vorteil" des Oslo-Abkommens, nämlich "dessen Kernprinzip der Gründung eines unabhängigen palästinensischen Staates, war zwar der richtige Ansatz", doch zögere die internationale Gemeinschaft weiterhin, die Umsetzung dieser Vision ernsthaft zu unterstützen.

Treffen des Nahostquartetts in Washington; Foto: AP
Zahlreiche Friedensinitiativen, jedoch mit geringer politischer Signalwirkung - Treffen des Nahostquartetts im Februar 2007 in Washington

​​Sicher, es gebe internationale Initiativen hierzu, wie zum Beispiel die "Roadmap", das Nahost-Quartett oder die Konferenz von Annapolis, doch auf palästinensischer Seite mangele es an dem nötigen "gemeinsamen Nenner", um die Umsetzung dieser sich aus dem Oslo-Abkommen abzuleitenden Rechte auch konkret einzufordern.

Johannsen wiederum bilanziert, dass "das ungleiche Kräfteverhältnis" zwischen Palästinensern und Israelis ein umfassendes Friedensabkommens unter den gegenwärtigen Umständen quasi unmöglich gemacht habe.

Außerdem sei einer "Zweistaaten-Lösung" sowohl durch die andauernde Besatzung als auch durch die andauernde Gewaltanwendung der Palästinenser "jegliche Grundlage entzogen worden."

Die Rolle der EU

Auch Vertretern der EU liegt der Nahost-Friedensprozess am Herzen. Die Mitgliedsstaaten fürchten eine Explosion der Lage mit all ihren möglichen Auswirkungen auf regionaler und internationaler Ebene.

Und so hat sich die EU nach Kräften bemüht, den Friedensprozess zu unterstützen. Allerdings, betont Eldar, waren diese Bemühungen bisher aufgrund "des Fehlens einer gemeinsamen europäischen Nahost-Politik und zahlreicher Interessenskonflikten zwischen den Mitgliedsstaaten" nicht vom gewünschten Erfolg gekrönt.

Johannsen sieht noch ein weiteres Hindernis für eine aktive Rolle der Europäer im Nahostkonflikt: "Gemessen an den Amerikanern sind die Europäer nicht ausreichend in der Lage, Israels Existenz auch künftig zu garantieren."

Nach Ansicht Rajoubs dagegen scheitern die europäischen Bemühungen im Nahen Osten an "der Ablehnung der Israelis und dem Alleinführungsanspruch der Amerikaner".

Er fordert daher, dass sich die EU nicht nur auf "finanzielle Zuwendungen" beschränken dürfe, sondern auch "politisch aktiv intervenieren, eigenständig agieren und unabhängig von den USA Position beziehen müsse."

Angesichts dieser Ausführungen fällt es schwer, ein endgültiges Urteil über das Oslo-Abkommen zu fällen. Ein solches steht und fällt mit den Rahmenbedingungen der schwankenden regionalen Kräfteverhältnisse und der jeweiligen Situation der Palästinenser.

Was bleibt aber dann vom Vermächtnis Oslos? Zumindest dies: Den Palästinensern hat es die offizielle Anerkennung durch Israel eingebracht, die Palästinenserfrage wird nicht länger nur auf die Flüchtlingsproblematik reduziert, und umgekehrt hat die PLO Israel das Existenzrecht innerhalb international anerkannter Grenzen zugesprochen.

Hisham Adem

© Qantara.de 2008

Aus dem Arabischen von Nicola Ben Said

Qantara.de

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