Seismograph für Trends und Themen

Das Nürnberger "Filmfestival Türkei Deutschland" ist nicht nur hierzulande vielen Regisseuren ein Begriff, sondern auch am Bosporus, wo die Medien ausführlich über das alljährliche "Get-Together" der türkischen Filmszene berichten. Von Amin Farzanefar

Das Nürnberger "Filmfestival Türkei Deutschland" ist nicht nur hierzulande zahlreichen Regisseuren und Darstellern ein Begriff, sondern auch am Bosporus, wo die Medien ausführlich über das alljährliche "Get-Together" der türkischen Filmszene berichten. Von Amin Farzanefar

Plakat des 15. Filmfestivals Türkei Deutschland in Nürnberg
Das Nürnberger Filmfestival gilt als wichtigstes Forum für den interkulturellen Dialog bei Cineasten und in der Filmbranche. Das Event brachte zum fünfzehnten Mal das Beste aus deutscher, türkischer und deutsch-türkischer Filmkunst zusammen.

​​In Nürnberg tickt die Jury etwas anders als bei den meisten anderen Festivals: "Die Fremde" beispielsweise, Feo Aladags viel gelobter Debütfilm, der detailliert die Umstände eines "Ehrenmordes" erzählt, hatte wenig Chancen auf den Hauptpreis.

Publikum wie Jury sind traditionell skeptisch gegenüber Filmen, die beim voreingenommenen Betrachter negative Klischees über Migranten verfestigen könnten. Selbst Fatih Akins Berlinale-Sieger "Gegen die Wand", eigentlich der triumphale Durchbruch für das deutsch-türkische Kino, hatte 2004 wider Erwarten nicht den Hauptpreis erhalten.

Die Festival-Mitbegründer Ayten Akyildiz und Adil Kaya verstehen die Positionierung zwischen der Türkei und Deutschland weniger als Kluft denn als Brücke. 1992 hoben sie die türkischen Filmtage aus der Taufe, in dem Bestreben, den Blick der Deutschen auf die Türkei zu erweitern und bereichern.

Probleme mit Menschenrechten, Minderheiten und Demokratie sollten nicht ausgespart werden, es sollte aber eben auch auf die kulturelle Vielfalt im deutsch-türkischen Verhältnis hingewiesen werden. Kaya nennt darüber hinaus auch einen persönlichen Ansporn.

"Anfang der 1990er Jahre hat man uns nicht als Teil der deutschen Gesellschaft angesehen, sondern als ein Teil der türkischen Kultur, die zu Gast in Deutschland war." Sichtbarkeit, Respekt und eine Diskussion auf Augenhöhe – das sind im Einwanderungsland Deutschland bis heute aktuelle Forderungen.

Forschungslabor Filmfestival

Dennoch haben die Zeiten sich geändert: Während die Grünen sich seinerzeit als einzige Partei für Migranten engagierte, schreibt sich inzwischen sogar die Volkspartei CSU Interkulturalität auf die Fahne. Und auch das "Filmfestival Türkei Deutschland" hat sich nach anfänglichen Startschwierigkeiten in den letzten zehn Jahren zu einem Publikumsfestival gemausert, das in ausverkauften Sälen stattfindet; die aktuelle Ausgabe sah mehr als 11.000 Zuschauer.

Waren es anfangs 80 Prozent türkische Zuschauer, ist heute die Hälfte des Publikums deutscher Herkunft. Und entsprechend dem Ziel des Festivals, die Kulturen aus Deutschland und der Türkei wechselseitig füreinander zu öffnen und zu interessieren, war das "fftd" auch ein Entwicklungshelfer für das heute erfolgreiche deutsch-türkische Kino:

Fatih Akin; Foto: AP
Fatih Akin sammelte auf dem Filmfestival in Nürnberg mit Kurzfilmen erste Erfolge, ähnlich ging es Ayse Polat, Thomas Arslan sowie vielen anderen türkischen und deutsch-türkischen Regisseuren.

​​Galionsfigur Fatih Akin sammelte hier mit Kurzfilmen erste Erfolge, ähnlich ging es Ayse Polat, Thomas Arslan und vielen anderen, die seit Ende der 1990er Jahre ein deutsches "Kino mit Migrationshintergrund" etablierten. Inzwischen sind viele von ihnen selber "Paten" für den filmischen Nachwuchs – Akin etwa gibt mit seiner Firma "Corazon" Starthilfe: gerade erhielt seine im kurdischen Diyarbekir gedrehte Koproduktion "Min Dit" den wichtigen Publikumspreis; auch ihr Regisseur, Miraz Bezar, hatte seinen allerersten Filmpreis in Nürnberg erhalten, vor 14 Jahren.

Dass Bezar, ein deutsch-türkischer Regisseur mit seinem politisch angehauchten, größtenteils auf kurdisch gedrehten "Min Dit" erst in der Türkei dann in Deutschland prämiert wird, veranschaulicht auf mehreren Ebenen, wie sehr sich die Verhältnisse seit den schwerfälligen 1980er Jahren geändert haben.

"Expanded Cinema"

An der historischen Veränderung haben die Nürnberger im Rahmen ihrer Möglichkeiten mitgewirkt, indem sie seismographisch neuen Trends und Themen im Kino nachgespürt und Wege für den filmischen Nachwuchs geebnet haben.

Auch viele der türkischen Regie-Stars waren lange vor ihrem internationalen Durchbruch in Nürnberg eingeladen: der in Cannes mit Preisen überhäufte Nuri Bilge Ceylan, die ähnlich erfolgreichen Arthouse-Regisseure Reha Erdem, Zeki Demirkubuz, und auch Semih Kaplanoglu, der gerade den Goldenen Bären der Berlinale erhielt – sie alle waren bereits mit ihren Frühwerken vertreten.

Neben diesem seit jeher engagierten Autorenfilm ist auf dem Festival auch das türkische Popcornkino immer präsenter geworden, parallel zu seiner wachsenden Bedeutung in der Kinolandschaft: Dauerte es früher eine halbe Ewigkeit, bis ein populärer türkischer Titel schließlich auf einer verrauschten VHS seinen Weg nach Deutschland fand, laufen heute in einem durchschnittlichen deutschen Multiplex-Kino gleich zwei, drei oder vier türkische Filme nebeneinander zeitgleich mit dem Starttermin in Istanbul an.

Unterschätztes Potenzial

​​Am Bosporus ist das Festival längst schon ein Begriff, und die Boulevardmagazine, die großen Tageszeitungen und das Fernsehen berichten ausführlich über das alljährliche Get-Together der türkischen Filmszene in der mittelfränkischen Stadt, die mit ihren 21.000 türkischstämmigen Mitbürgern (von 500.000 Einwohnern) als repräsentativ für die deutsche Gesellschaft gesehen werden kann. Adil Kaya sieht diese Aufmerksamkeit einerseits ökonomisch begründet:

"Die türkischen Künstler haben ein größeres Interesse an internationalen Begegnungen als die deutschen Kollegen, die mit dem deutschen Markt – 150 bis 200 Millionen Zuschauer pro Jahr und tausende von Filmförderfonds – zufrieden sind."

Andererseits erkennt Kaya auch eine tiefere Ursache: "Insgesamt sind die türkischen Künstler offener für den internationalen Austausch. Auf der deutschen Seite spielt immer noch eine Arroganz anderen Kulturen gegenüber eine Rolle, man will denen ungern auf gleicher Augenhöhe begegnen. Es sei denn, es handelt sich um Frankreich, England oder USA."

Tatsächlich scheinen die deutschen Medien die überregionale Bedeutung des "fftd" als Brücke, Schmelztiegel und Experimentierfeld zwischen Kunst, Politik und Gesellschaft noch nicht erkannt zu haben.

Dabei werden Prominente als Jurymitglieder und Ehrengäste geladen, die in ihrem Sein und Wirken bedeutsame Repräsentanten deutscher Migrationsgeschichte sind: der Deutschitaliener Mario Adorf etwa, oder – dieses Jahr – der deutschtürkische Bundestagsabgeordnete Cem Özdemir.

Neben diesen Honoratioren zählt auch die 29jährige Sibel Kekilli dazu, und in ihrer Person erfahren die beiden eingangs genannten, verschmähten Favoriten dann doch eine Würdigung:

Für "Gegen die Wand" erhielt Kekilli 2004 ebenso den Darstellerpreis wie jetzt für "Die Fremde". In diesem Drama überzeugte ihre nuancenreiche Darstellung der jungen Umay, einer mutigen und sensiblen Deutsch-Türkin, die gegen die patriarchalischen Strukturen ihrer türkische Familie rebelliert, für ihre Freiheit in Deutschland kämpft und doch nicht beide gegeneinander ausspielen will.

Dass für vieles nebeneinander Platz sein darf, für Tradition und Rebellion, auch dafür steht das "Filmfestival Türkei Deutschland".

Amin Farzanefar

© Qantara.de 2010

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de

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