Was bleibt vom 11. September?

Hat der Kampf gegen jene, die meinen, die Wahrheit für sich allein beanspruchen zu können (und das auf beiden Seiten), den Westen und die muslimische Welt einander näher gebracht? In den letzten Jahren schien es oft, als könne das gegenseitige Miss-Verstehen nicht mehr größer werden, meint Jordaniens Prinz Hassan bin Talal.

Dossier von Prince El Hassan bin Talal

Viel wurde in den letzten zehn Jahren geschrieben, um zu ergründen, welche Bedeutung dem 11. September 2001 tatsächlich zukommt. Das ist eine schwierige Aufgabe, denn das Böse zu analysieren ist niemals leicht. Dem rationalen Denken erschließt sich der Terror nicht.

Das Einzige, was klar zu sein scheint, ist, dass die Ereignisse dieses Tages für Millionen von Amerikanern und für die gesamte Welt nie nur irgendeine Erinnerung bleiben werden, sondern etwas, das sie für den Rest ihres Lebens mit sich tragen werden.

Es war kein glückliches Jahrzehnt – und ein "amerikanisches Jahrzehnt" schon gar nicht: Wirtschaftlicher Niedergang, soziale Immobilität, kulturelle und künstlerische Depression und für viele kleine Leute ein Verlust an Aufstiegsmöglichkeiten – dies alles ließ eine Perspektive erkennen, die sich nicht mehr so rosig darstellte wie in den Jahren zuvor.

Kein Ende des Kriegs in Sicht

Der Optimismus ist uns abhanden gekommen. Dafür gibt es viele Faktoren und die Gründe sind komplex – aber als jemand, der in einer unbeständigen Region aufgewachsen ist, komme ich nicht umhin, diese Stimmung zu einem gewissen Grad als Nebenprodukt des so genannten "Kriegs gegen den Terror" anzusehen – eines Krieges, dessen Ende noch nicht in Sicht ist.

Prinz Hassan Bin Talal; Foto: DW
Prinz Hassan Bin Talal: "Die Angriffe des 11. September waren ein kalkulierter und feiger Versuch, einen ebenso tiefen wir breiten Graben in die Zivilisation zu sprengen."

​​Hat der Kampf gegen jene, die meinen, die Wahrheit für sich allein beanspruchen zu können (und das auf beiden Seiten), den Westen und die muslimische Welt einander näher gebracht?

In den letzten Jahren schien es oft, als könne das gegenseitige Miss-Verstehen nicht mehr größer werden. Christliche Minderheiten im Nahen Osten sehen sich vielen Schwierigkeiten gegenüber. In vielen westlichen Staaten wurden die muslimischen Minderheiten an den Rand der Gesellschaft gedrängt, zerrieben zwischen widerstreitenden Ideologien und missbraucht zur Steigerung von Quoten und Auflagen.

Und doch, seit ein abgestumpfter Staatsmann aus seinem Heimatland Tunesien geflohen ist und ein seit 30 Jahren bestehendes Regime innerhalb von nur 30 Tagen gestürzt wurde, scheint die menschlich verständliche Angst vor "dem Anderen" und auch das gegenseitige Fremdheitsgefühl abgelöst zu werden durch etwas anderes. Das Gespenst des religiösen Extremismus – auch wenn es tragischerweise noch immer existiert – findet nicht mehr den Widerhall, den es zuvor gefunden hatte.

Bilder der Hoffnung

Die Klischees, mit denen die Region so lange bedacht wurde, sehen sich nun im Widerstreit mit Bildern der Hoffnung. Immer weniger Amerikaner geben sich inzwischen damit zufrieden, über den Nahen Osten zu urteilen, sie wollen ihn verstehen. Das ist genauso kühn wie es unerwartet ist. Und es ist genau das, was die Leute vom Schlag der Al-Qaida nicht wollen.

Auch wenn die Amerikaner und die Menschen im Nahen Osten weit voneinander entfernt sind, sind doch ihre Schicksale eng miteinander verwoben. Es wäre zu einfach, zu behaupten, dass die jungen Jordanier, Tunesier, Ägypter, Bahrainis und Iraner mit einem Gefühl der Feindschaft gegenüber Amerika aufwachsen. Dieses Verhältnis ist um einiges komplexer. Die jungen Menschen in Jordanien und im ganzen Nahen Osten beobachten aber sehr wohl die Situation in Palästina.

Sie haben sich daran gewöhnt, enttäuscht zu werden und sind sehr verlässlich darin, auf jedwede Diskrepanz zwischen Wort und Tat hinzuweisen. Gleichzeitig aber mögen sie amerikanische Filme und sind voller Bewunderung für die amerikanische Kultur, für die Ideen von Freiheit und Individualität, für Aufstiegsmöglichkeiten und die Leistungsgesellschaft.

Demonstration gegen Mubarak; Foto: AP
Druck der "arabischen Straße": Trotz Repressionen, Folter und Inhaftierungen wurde die Mubarak-Diktatur von den vor allem jungen Protestierenden in Ägypten hinweggefegt.

​​So schizophren dies erscheinen mag, so ist es doch wahr. Das Recht jedes Einzelnen, "nach dem Glück zu streben" ist eine Formel, die überall verstanden wird und mit der sich alle identifizieren können. Aber einfach zu erlangen ist dieses Recht nicht.

Im Nahen Osten sind es die einfachen Leute, die letztlich den Preis dafür zahlen, das Recht durchzusetzen, Rechte zu haben. Die "arabische Straße" steht einem modernen staatlichen Sicherheitsapparat gegenüber und das Ergebnis lautet allzu häufig: Repression, Gewalt, Einschüchterung und Brutalität.

Zwei Botschaften

Zur gleichen Zeit kämpft, wohin man auch sieht, die einst schweigende Mehrheit für mehr oder weniger ähnliche Ziele: ein Gefühl von Würde, Kontrolle über das eigene Schicksal und für größere Chancen auf den sozialen Aufstieg. Die Aufstände verliefen nicht überall gleich und werden nicht überall gleich enden. Und doch werden sie sich letztlich als ebenso revolutionär wie evolutionär erweisen, senden sie doch zwei wichtige Botschaften aus:

Die erste Botschaft lautet, dass der Nahe Osten anders sein kann. Die zweite ist, dass er sich verändert und das in atemberaubendem Tempo.

Wie wir es in dieser Region erlebt haben, ist es nicht leicht, mit der Vergangenheit abzuschließen und mit ihr ins Reine zu kommen. Die Angriffe des 11. September waren ein kalkulierter und feiger Versuch, einen ebenso tiefen wir breiten Graben in die Zivilisation zu sprengen. Nicht selten schien es so, als sollte dieses groß angelegte und wahnwitzige Projekt gelingen. Das dürfen wir keinesfalls zulassen.

Was die Terroristen am meisten fürchten, ist die Akzeptanz von Unterschieden, gehört hierzu doch auch die Abwesenheit von Angst. Anstatt gegen den "Terror" zu kämpfen, sollten wir für Optimismus und Hoffnung kämpfen.

© Common Ground News Service 2011

Prinz Hassan bin Talal ist Gründer und Vorsitzender des "Arab Thought Forum" (ATF) und des "West-Asia North-Africa Forum".

Übersetzt aus dem Englischen von Daniel Kiecol

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de