Witwe von NSU-Mordopfer enthüllt Treffen mit Terrorhelfer

Das letzte Plädoyer der Nebenkläger im NSU-Prozess hat es in sich. Die Witwe eines Mordopfers verzeiht einem der Angeklagten, nicht aber Beate Zschäpe. Erneut gibt es massive Vorwürfe gegen Behörden. Im Prozess fehlen jetzt nur noch die Plädoyers der Verteidiger. Von Christoph Lemmer

Es ist ungewöhnlich still im Saal 101 des Münchner Oberlandesgerichts, als Yvonne Boulgarides am vergangenen Donnerstag im NSU-Prozess ihren Schlussvortrag hält. Ihr Ehemann Theodoros war am 15. Juni 2005 in seinem Geschäft in München erschossen worden, mit der üblichen Mordwaffe des «Nationalsozialistischen Untergrunds», einer Ceska 83 mit Schalldämpfer. Die Mörder waren nach Überzeugung der Anklage Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und - in Mittäterschaft - Beate Zschäpe. Und jetzt plädiert Yvonne Boulgarides als letztes der NSU-Opfer und enthüllt, dass sie gemeinsam mit ihren beiden Töchtern erst vor Kurzem einen der Angeklagten traf - und ihm verzeiht.

Kurz vor Weihnachten fand das Treffen nach ihren Worten statt, an einem geheimen Ort, weil Carsten S. als gefährdet gilt und im Zeugenschutz lebt. Angeklagt ist er im NSU-Prozess wegen Beihilfe zum Mord. S. hatte zugegeben, die Ceska-Pistole in einem Jenaer Szeneladen gekauft und nach Chemnitz gebracht zu haben, wo er sie Mundlos und Böhnhardt übergab. S. hatte auch geltend gemacht, sich schon lange von der rechtsextremen Szene gelöst zu haben.

Das Treffen mit ihm «war einer der schwierigsten und emotionalsten Momente in unserem Leben», sagt Yvonne Boulgarides. Sie und ihre Töchter hätten ihn «als Menschen erlebt, der zutiefst bereut und dem das Gewissen den größten Teil seiner Strafe auferlegt». Bei den anderen vier Angeklagten, auch Beate Zschäpe, sehe sie dagegen keine Reue.

Dann spricht sie über ihre Familie und dass «mein Mann gern gesehen hätte, wie seine Töchter zu jungen Frauen heranwuchsen» und stolz gewesen wäre, als das erste Enkelkind geboren wurde. An dieser Stelle stockt sie und kämpft gegen Tränen an. «Ich weiß, dass wir die Zeit nicht zurückdrehen können.»

Wie fast alle Nebenkläger vor ihr richtet auch Yvonne Boulgarides massive Vorwürfe gegen die Behörden. Sie zählt auf: Fehlende Aussagegenehmigungen für Geheimdienstler, kollektiver Gedächtnisverlust auch bei Behörden-Zeugen, Akten geschreddert, kein einziger Verantwortlicher zur Verantwortung gezogen - das sei «komplettes Organversagen» des Staates.

Ein Ermittler der Münchner «Soko Theo» habe sie sogar wenige Monate vor dem Auffliegen des NSU im November 2011 zu Hause aufgesucht und ihr geraten, sich von ihrem Anwalt, Yavuz Narin, zu trennen. Ausgerechnet der aber sei es gewesen, der selber ermittelt und sie erstmals auf einen gruseligen Zusammenhang hingewiesen habe: Dass nämlich die Mörder ihres Mannes dieselben sein könnten, die 2004 eine Nagelbombe auf der Kölner Keupstraße zündeten.

Das war zu einem Zeitpunkt, als öffentlich noch niemand einen Zusammenhang zwischen «Ceska»-Morden und Keupstraße geahnt haben will. Die Polizei habe ihren Anwalt unter Druck gesetzt und wegen Geheimnisverrats gegen ihn ermittelt - noch eine Enthüllung. «Geheimnisse, die dazu dienen, Verbrechen zu vertuschen, sind nicht schützenswert», befindet Boulgarides.

Vergangenen November hatten die Nebenklage-Plädoyers begonnen. Rund 50 Opfer, Angehörige und ihre Anwälte haben seitdem gesprochen. Bis auf wenige Aufnahmen beklagten sie alle mangelnden Willen der Behörden, Hinweise auf die wirklichen Täter überhaupt ernstzunehmen.

Stattdessen seien die Familien gepiesackt worden. Den Opfern und ihren Familien seien Zuhälterei, Drogengeschäfte, Mafiahändel, Menschenschmuggel, Schutzgelderpressung oder Frauengeschichten angedichtet worden.

Anwalt Narin resümiert nach dem Plädoyer seiner Mandantin: «Heute haben wir die Gewissheit, dass man in der Lage gewesen wäre, die Taten des NSU zu verhindern.» Und er wiederholt, was sich als Vorwurf durch alle Nebenklägeplädoyers zog: «Wir haben die Gewissheit, dass wir und dieses Gericht bis zum heutigen Tag von den Verfassungsschutzbehörden belogen werden.»

Jetzt tritt der Prozess in die letzte Etappe ein - bald fünf Jahre nach seinem Beginn. Bis zum Urteil fehlen nur noch die Plädoyers der Verteidiger. Die sollen für die Angeklagten Ralf Wohlleben, André E., Holger G. und Carsten S. je rund einen Tag dauern.

Die beiden zerstrittenen Verteidigergruppen von Beate Zschäpe wollten sich am Donnerstag noch nicht festlegen. Das Gericht ordnete als nächsten Verhandlungstermin den 20. Februar und als ersten Tag des Zschäpe-Plädoyers den 13. März an, vorbehaltlich eventueller Änderungen. (dpa)