Im Westen nichts Neues

Seit mittlerweile vier Jahrzehnten gärt der Konflikt um den Status der Westsahara zwischen dem Königreich Marokko und der sahrauischen Befreiungsbewegung "Frente Polisario". Dass eine Einigung noch immer in weiter Ferne ist, dürfte auch der mangelnden internationalen Aufmerksamkeit geschuldet sein. Von Annett Hellwig

Von Annett Hellwig

Beinahe sah es so aus, als käme etwas Bewegung in den festgefahrenen Konflikt um die "letzte Kolonie Afrikas", als im April 2013 im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen der Vorschlag diskutiert wurde, das Mandat der UN-Mission für ein Referendum in der Westsahara (MINURSO) wenigstens um eine Komponente zur Überwachung der Menschenrechtslage zu erweitern.

MINURSO ist die einzige UN-Mission weltweit, zu deren Aufgabenbereich es nicht gehört, die Einhaltung der Menschenrechte zu überwachen. Und dieser vorsichtige Versuch, das seit 1991 unverändert bestehende Mandat auszudehnen, hätte das angestrebte Unabhängigkeits-Referendum letztendlich auch nicht näher gebracht. Dennoch scheiterte der Vorstoß am hartnäckigen Widerstand Marokkos sowie der französischen und russischen Ablehnung. Eine dauerhafte Lösung des Konflikts in der Westsahara rückt damit in immer weitere Ferne.

Der Westsahara-Konflikt hatte bereits 1976 nach dem Abzug der spanischen Kolonialmacht und der anschließenden Annexion des Gebietes durch Marokko und Mauretanien begonnen. Die nachfolgenden Kampfhandlungen zwischen Marokko und der sahrauischen Befreiungsbewegung "Frente Polisario" zwangen hunderttausende Sahrawis zur Flucht nach Algerien, wo sie bis heute in Flüchtlingslagern leben.

UN-Friedensplan und Referendum

Karte der Westsahara; Foto: DW
Ein nicht endender Konflikt: Die Westsahara wurde 1975 von Marokko besetzt, als die spanische Kolonialherrschaft dort zu Ende ging. Die Befreiungsbewegung Polisario wollte eine Unabhängigkeit von Marokko erreichen. Erst 1991 wurde ein Waffenstillstand geschlossen. Bis zu 90.000 Menschen leben wegen des Konflikts bis heute in Flüchtlingslagern in Algerien.

​​1991 wurde die militärische Austragung des Konfliktes durch einen UN-Friedensplan beigelegt, der die Durchführung eines Referendums über die Unabhängigkeit der Westsahara vorsah und Blauhelmtruppen zur Überwachung des Waffenstillstandes entsandte.

Eine Vorbereitung dieses anvisierten Referendums scheiterte bis zuletzt vor allem an der Frage, wer überhaupt im Falle einer Abstimmung wählen dürfe. Lange herrschte Uneinigkeit darüber, ob nur Angehörige von Familien wahlberechtigt sein dürfen, die schon unter spanischer Kolonialverwaltung in der Westsahara lebten, oder alle Personen, die eine bestimmte Anzahl von Jahren in dem Gebiet zugebracht haben.

Derweil nutzte die marokkanische Regierung diese Zeit der Klärung, um vollendete Tatsachen in ihrer "Südprovinz" zu schaffen. Mit Steuervorteilen und gut bezahlten Jobs wurden tausende Marokkaner, und damit potentielle Wähler, aus dem Norden angelockt, um sich in der Westsahara niederzulassen und die wirtschaftliche Entwicklung der Region voranzutreiben.

Marokko investierte für dieses Vorhaben gigantische Summen, mehr als eine Milliarde US-Dollar jährlich. Doch nicht nur die Ausbeutung von Ressourcen, allen voran Phosphat und Fischerei, stand dabei im Mittelpunkt.

Eine Phosphatmine in der Nähe von Boukraa; Foto: Annett Hellwig
Rohstoffausbeutung im großen Stil: Trotz Anerkennung des Selbstbestimmungsrechtes des Volkes der Sahara durch die UN und mehr als 50 Staaten plündere Marokko das besetzte Gebiet nach wie vor aus, kritisieren Vertreter der Frente Polisario.

​​Bis heute fließt nicht wenig Geld in die Realisierung teils aberwitziger Infrastrukturprojekte und den Ausbau der Städte in der Westsahara. Laayoune, die 1938 aus dem Wüstensand gestampfte alte Provinzhauptstadt der Spanischen Sahara, säumen heute breite Boulevards und mit Fontänen geschmückte Plätze. Für die 200.000 Einwohner Laayounes, von denen noch gerade mal ein Fünftel Sahrauis sind, sollen bald noch weitere Theater, Sportanlagen und Einkaufszentren entstehen.

Bürger zweiter Klasse

Tatsächlich ist das Gebiet der Westsahara damit besser entwickelt, als "Nordmarokko", auch die Alphabetisierungsrate liegt hier über dem Landesdurchschnitt. Dennoch bleiben die einheimischen Sahrauis zum größten Teil Bürger zweiter Klasse, von Behörden benachteiligt und diskriminiert.

Die regelmäßig stattfindenden Demonstrationen gegen die Besatzung treffen nicht selten auf gewaltsame Gegenwehr der mittlerweile marokkanischen Mehrheit der Region und enden für die Beteiligten Sahrauis oft mit Polizeigewalt und drakonischen Haftstrafen.

Menschenrechtsorganisationen prangern immer wieder die katastrophale Situation in Internierungslagern und Gefängnissen der Westsahara an, in denen systematische Folter und Misshandlungen auf der Tagesordnung stehen.

Das hält die Regierung in Rabat allerdings nicht davon ab, die wirtschaftlichen Standortvorteile der Region sowie auch deren touristische Attraktionen weiter zu bewerben. Es gibt Hochglanzreiseführer für die "Marokkanische Sahara", Folklorefestivals mit Nomaden und Kamelrennen. Erst 2012 wurde die Region um Dakhla gar von der "New York Times" als eines der Top-Reiseziele weltweit gelistet. Offiziell ist Marokko stolz auf die reiche Kultur und Tradition der Bewohner der Westsahara.

Ohnmacht der Vereinten Nationen

Diese zwei Seiten der Medaille, noch dazu vor dem Hintergrund der unumstößlichen Haltung der Regierung, dass die Westsahara selbstverständlich ein natürlicher Teil des Königreichs sei, machen es internationalen Organisationen wie den Vereinten Nationen schwer, im Konflikt zu vermitteln.

Marokkanische Sicherheitskräfte räumen ein Zeltlager am Rande Laayouns am 8. November 2010; Foto: dpa
Menschenrechtsorganisationen verurteilen immer wieder die katastrophale Situation in Internierungslagern und Gefängnissen in der Westsahara, wo systematische Folter und Misshandlungen an der Tagesordnung sind, schreibt Annett Hellwig.

​​Die Vorbereitung eines Referendums steht allerdings seit 2004 nicht mehr zur Debatte, da man sich nicht über einen entsprechenden Rahmen verständigen konnte. Neben der Überwachung des Waffenstillstandes beschränken sich die Vereinten Nationen nur noch auf Appelle an die beteiligten Parteien, eine gemeinsame und dauerhafte Lösung des Konflikts zu finden.

Die Akteure sind jedoch nicht nur Marokko und die "Frente Polisario", sondern vor allem auch Algerien. Das nordafrikanische Nachbarland Marokkos unterstützt die Forderungen der Sahrauis nach einem eigenen Staat und bietet ihren Flüchtlingen seit über 30 Jahren Unterschlupf. Der Grund für sie Politik liegt auch in de historisch bedingten Rivalitäten mit Marokko.

Was bleibt, ist dennoch die Frage, ob eine selbständige Westsahara überhaupt als Staat überlebensfähig wäre. Der Möglichkeit eines von den Vereinten Nationen begleiteten Übergangsprozesses steht das von vielen befürchtete Szenario eines nicht überlebensfähigen failed state gegenüber.

Allen voran zeichnet Marokko das Schreckensbild eines El Dorados für Waffenschmuggel und Al-Qaida-Aktivitäten. Die Regierung in Rabat betont, dass bisher nur dank der eigenen Armeestärke die Westsahara die einzige Region der gesamten Sahara darstelle, die man noch sicher betreten könne. Zudem sei die "Frente Polisario" inzwischen von Al-Qaida infiltriert und von Algerien einer Gehirnwäsche unterzogen.

Diese Argumentation wird auch in Gesprächen mit Vertretern europäischer Staaten immer wieder hervorgebracht, um Marokko als Garant für Sicherheit und Schutz vor Terrorismus in der Region zu präsentieren. Das Land ist sich seiner Brückenfunktion zwischen Europa, dem arabischen Raum beziehungsweise Afrika nur zu bewusst und sieht auch aus diesem Grund keinen Anlass, seine Position im Westsahara-Konflikt zu ändern.

Fehlender europäischer Druck auf Marokko

Umgekehrt fehlt an dieser Stelle der Druck der europäischen Staaten auf die marokkanische Regierung, die Menschenrechtssituation in ihrem Machtbereich zu verbessern und Kompromissbereitschaft gegenüber der sahrauischen Bevölkerung zu signalisieren.

Porträt des marokkanischen Königs Mohammed VI. vor der Kaserne der Royal Moroccan Army in Smara; Foto: Annett Hellwig
Das marokkanische Militär als Bollwerk gegen den internationalen Terrorismus: Marokko beschwört nicht selten das Schreckensbild von Al-Qaida und Co. in der Westsahara, um letztlich seine Militärpräsenz und Kontrolle der Region politisch zu rechtfertigen.

​​Die Terror-Vorwürfe gegen die "Frente Polisario" und die Angst vor einem Überschwappen der islamistischen Gewalt aus Mali scheinen unbegründet, da es zwischen beiden Seiten keine offensichtliche Verbindung gibt. Die "Frente Polisario" und die Terroristen in Mali verfolgen weder gemeinsame Ziele noch haben sie den gleichen Gegner.

Es sieht damit nicht so aus, als würden Algerien oder Marokko – d.h. die Parteien, denen die UN faktisch die Regelung des Konflikts überlassen haben – in nächster Zeit wirklichen Schwung in den festgefahrenen Streit um die Westsahara bringen.

Alle Seiten setzten derzeit große Hoffnungen in den Sondergesandten des UN-Generalsekretärs, Christopher Ross, der von den Beteiligten akzeptiert wird und gute Chancen hat, die Zusammenarbeit zu verbessern.

Doch letztendlich wird sich der Westsahara-Konflikt nicht allein auf Grundlage dieses Dialogs lösen lassen. Vielmehr ist außenpolitischer Druck gefragt und ein verstärktes mediales Interesse, um den vergessenen Westsahara-Konflikt wieder ins öffentliche Bewusstsein zu rücken. Solange keine wirklich nachhaltige Auseinandersetzung mit dem Konflikt stattfindet, wird es für die Westsahara keine dauerhafte Lösung und politische Zukunft geben.

Annett Hellwig

© Qantara.de 2013

Redaktion. Arian Fariborz/Qantara.de