Wellen machen - Wie der erste afghanische Surfer zur WM kam

Der Deutsch-Afghane Afridun Amu tritt für Afghanistan bei der Surf-WM in Frankreich an. Er stellt die allererste afghanische «Mannschaft» überhaupt. Aber Amus Geschichte ist mehr als die eines Wellenreiters aus einem Land ohne Meer. Von Christine-Felice Röhrs

Die afghanische Mannschaft bei den Weltmeisterschaften der Wellenreiter in Frankreich ist klein. Sie besteht aus genau einem Mann: Afridun Amu, 29 Jahre alt, rechtlich Deutscher, für die WM Afghane und im Herzen «so zwischen den Stühlen».  Amu ist nicht nur der einzige afghanische Wellenreiter bei der sogenannten Surf-WM, die am Samstag in Biarritz beginnt - er ist der erste überhaupt. «So gut bin ich eigentlich gar nicht. Ich bin nur für einen Afghanen sehr gut, und da ist nicht viel Konkurrenz», sagt er. Man merkt, da hat einer Freude an Selbstironie. Wichtig sei halt, dabei zu sein, sagt er.

Für das junge afghanische Surfen. Qualifiziert hatte Afridun Amu sich vor zwei Jahren, bei den ersten und bisher einzigen afghanischen Meisterschaften. Die wurden in Portugal abgehalten, weil es in Afghanistan ja kein Meer gibt. 15 Surfer afghanischen Ursprungs mit Pässen aus Kanada, Australien und ganz Europa nahmen teil. Afridun Amu wurde Erster.

Amus Geschichte ist mehr als ein ironischer Kommentar auf einen Wellenreiter aus einem gebirgigen Land ohne Meer, in dem das Klischee die Männer nicht mit Surfbrettern, sondern Koran oder Kalaschnikov sieht. Sie erlaubt unter anderem einen Blick auf Deutschlands Vermögen, seinen Migranten eine Heimat anzubieten. Amus Eltern waren 1992 nach Deutschland geflohen, vor einem Bürgerkrieg, der Kabul in Schutt und Asche legte. Zehntausende kamen damals.

Aber in den vergangenen zwei Jahren ist eine ungleich größere Welle von afghanischen Flüchtlingen angerollt. Mehr als 190 000 sind allein zwischen Anfang 2015 und Mitte 2016 gekommen, auf der Flucht vor immer schwereren Kämpfen mit den radikalislamischen Taliban, vor mehr Armut, weniger Jobs und Angst vor Zukunft. Amu war noch ein klein, als er nach Deutschland kam. Er ist in Göttingen in den Kindergarten gegangen, hat in Berlin später gleich drei Studienabschlüsse gesammelt, Jura, Kulturwissenschaften und Design Thinking - bei ihm ist alles immer ein bisschen exzessiv, ohne Leidenschaft funktioniert er nicht.

Heute arbeitet er bei der Max-Planck-Stiftung für Frieden und Rechtsstaatlichkeit in Heidelberg an Afghanistan-Projekten und an einem Design-Institut in Potsdam. Er geht klettern, spielt die afghanischen Trommeln, zudem Schach im Verein, hat afghanischen Flüchtlingen als Rechtsberater geholfen. Mit dem Surfen hatte er erst mit 19 angefangen, auf einer Frankreich-Reise nach dem Abi. Es wurde zur Konstante im übervollen Leben.

Eine erfolgreichere Integration ist kaum vorstellbar, könnte man meinen - aber Identität ist für Amu immer noch «dynamisch und kontextabhängig». In einer deutschen Kleinstadt fühle er sich gar nicht deutsch, in der Großstadt Berlin dazugehörig, im Ausland «ziemlich deutsch». Dass er jetzt für Afghanistan antritt und nicht für Deutschland, hat vor allem mit einer Art Sendungsbewusstsein zu tun.  «Ich will nicht wie ein Weltverbesserer klingen», sagt er, «aber ich dachte, ich könnte mit diesem Leben, das ich damit verschwende, ständig in den Ozean zu springen, auch etwas Positives generieren.»  

«Die Menschen treffen einen langhaarigen, afghanischen Surfer und plötzlich kommen sie nicht mehr mit Fragen über Burka, Krieg oder radikalen Islam», sagt er. Plötzlich wollen sie wissen: Gibt es eigentlich afghanische Hipster? Was für Musik hören die Leute da, was mögen oder fürchten sie? Es läuft darauf hinaus, die Reaktionen auf ihn zu nutzen, um ein neues Verständnis zu schaffen von Afghanistan, von dem viele nach mehr als 15 Jahren internationalem und oft vergeblichem Einsatz nur noch mit einem genervten Seufzer sprechen.

Und dann ist da noch die Idee, das Surfen nach Afghanistan zu bringen. Der Verein der afghanischen Wellenreiter, die Wave Riders Association of Afghanistan (Amu ist Präsident), will in Afghanistan irgendwann mal ein Jugendteam aufbauen. Ja, Afghanistan habe andere Sorgen, sagt Amu. Aber so superverrückt sei das auch wieder nicht. Es habe was damit zu tun, Perspektiven anzubieten. Hoffnung auf ein ganz normales Leben in einem ganz normalen Land - ein Land, in dem selbst das Wellenreiten nichts Verrücktes mehr wäre. Wellen gibt's genug, sagt Amu. Gar nicht weit von Kabul. Tolle Flusswellen. (dpa)