Mursi einigt sich mit den Generälen

Die Auswechslung der ägyptischen Militärführung ist nicht auf einen "zivilen Putsch" zurückzuführen, sondern ist Ergebnis eines von langer Hand vorbereiteten Generationenwechsels. Die Generäle werden eine Vetofunktion im künftigen politischen System behalten, so die Einschätzung Stephan Rolls von der Stiftung Wissenschaft und Politik.

Von Stephan Roll

Die Auswechslung der Armeeführung in Ägypten und die Veränderung der Übergangsverfassung durch Staatspräsident Mohammed Mursi deuten weniger auf einen Machtverlust des Militärs, als vielmehr auf ein Machtteilungsarrangement zwischen Präsident und Militärführung hin.

Die Versetzungen des 77-jährigen Verteidigungsministers Hussein Mohammed Tantawi und seines gesundheitlich angeschlagenen Generalstabschefs Sami Anan waren offenbar mit dem obersten militärischen Führungsgremium des Landes, dem Hohen Militärrat ("SCAF"), abgesprochen.

Beide Militärs wurden keineswegs unehrenhaft entlassen, sondern zu Beratern des Präsidenten ernannt und mit hohen Auszeichnungen bedacht. Neben Tantawi und Anan wurden zudem die beiden anderen ranghöchsten Generäle des Landes, der Chef der Luftwaffe Reda Hafez und der Oberbefehlshaber der Marine, Moheb Memish, in den Ruhestand versetzt.

Der neue Verteidigungsminister Abdel Fatah al-Sisi (l.) wird im Präsidentenpalast in Kairo von Präsident Mursi vereidigt; Foto: dpa
Längst überfälliger Generationenwechsel in der Armeeführung: Der neue Verteidigungsminister Abdel Fatah al-Sisi wird im Präsidentenpalast in Kairo von Staatspräsident Mursi vereidigt.

​​Hafez wurde zum Minister für das militärische Produktionswesen ernannt, und Memish Vorsitzender der Suezkanal-Behörde - beides lukrative Versorgungsposten im ägyptischen Staatsapparat.

Neuausrichtung der Streitkräfte

Bereits seit Jahresanfang und damit vor Beginn der Präsidentschaft Mohammed Mursis gab es in Sicherheitskreisen Gerüchte über personelle Veränderungen innerhalb der völlig überalterten Militärführung. Jüngere Generäle wurden in Stellung gebracht, darunter auch Hussein Tantawis Nachfolger, der erst 57-jährige Abdel Fatah al-Sisi. Al-Sisi gehörte als Chef des Militärgeheimdienstes zu den engsten Vertrauten Tantawis. Gerüchte, er sei der "Mann der Muslimbruderschaft" innerhalb der Militärführung, scheinen vor diesem Hintergrund wenig plausibel.

Zum neuen Generalstabschef wurde Sedki Sobhi ernannt, der mit 56 Jahren das jüngste Mitglied des Hohen Militärrats ist. Befördert wurde auch Generalmajor Mohammed al-Assar, der bisherige Assistent des Verteidigungsministers für Rüstungsangelegenheiten und aufgrund seiner häufigen Medienauftritte einer der bekanntesten Mitglieder der Militärführung. Al-Assar, der zukünftig den Verteidigungsminister in Kabinettsangelegenheiten vertreten wird, werden hervorragende Beziehungen zur US-Administration nachgesagt.

Der neue Verteidigungsminister Al-Sisi und sein Generalstabschef Sobhi könnten nicht nur einen Generationenwechsel innerhalb der Führung des ägyptischen Militärs einleiten, sondern auch die Neuausrichtung der Streitkräfte vorantreiben. Abgesehen von dem allgemein schlechten Zustand der ägyptischen Streitkräfte hatten Hussein Tantawi und die ihn umgebenden älteren Generäle in ihrer strategischen Ausrichtung des ägyptischen Militärs das Bild einer "konventionellen Armee" vor Augen.

Ägyptisches Militär auf dem Sinai; Foto: Reuters
Fragile Sicherheitslage: "Der Tod von sechzehn Soldaten durch einen terroristischen Anschlag auf der Sinai-Halbinsel dürfte vielen jüngeren Offizieren einmal mehr verdeutlicht haben, dass der Zeitpunkt für einen Wechsel an der Armeespitze gekommen war", meint Stephan Roll.

​​Vor dem Hintergrund ihrer eigenen Kampferfahrungen in den beiden Kriegen gegen Israel teilten sie eine altmodische Auffassung der Bedrohungslage, nach der sich die ägyptische Armee vor allem auf großangelegte Kriege vorzubereiten hatte. Asymmetrische Bedrohungen, die sich etwa aus der schwierigen Sicherheitslage an Ägyptens Außengrenzen ergeben, wurden hierbei weitgehend ausgeblendet.

Der Tod von sechzehn Soldaten durch einen terroristischen Anschlag auf der Sinai-Halbinsel Anfang August dürfte vielen jüngeren Offizieren einmal mehr verdeutlicht haben, dass der Zeitpunkt für einen Wechsel an der Armeespitze und damit eine strategische Neuausrichtung der Streitkräfte gekommen war.

Zudem war offenbar gerade im jüngeren Offizierscorps die Unzufriedenheit über den permanenten Prestigeverlust in der Bevölkerung durch die politische Rolle der Streitkräfte im Transformationsprozess immens. Immer offensiver wurden in der Öffentlichkeit die Privilegien des Militärs in Frage gestellt und vor allem die Intransparenz in Bezug auf die ausgedehnten Aktivitäten des Militärs in der ägyptischen Wirtschaft kritisiert. Auch aus diesem Grund dürften die jüngeren Mitglieder des Hohen Militärrats zunehmend darauf gedrängt haben, sich möglichst schnell aus der aktiven politischen Verantwortung zurückzuziehen.

Verbindliche Absprachen mit den Generälen?

Dr. Stephan Roll; Foto: © SWP
Dr. Stephan Roll ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Forschungsgruppe Naher/Mittlerer Osten und Afrika der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP).

​​Bislang schien eine Machtübergabe der Militärführung an den neuen Präsidenten Mohammed Mursi allerdings riskant: Aus Sicht der Generäle war unklar, ob Mursi und die Muslimbruderschaft tatsächlich die weitgehende Eigenständigkeit des Militärapparats im politischen System des Landes akzeptieren würden.

Dass Mursi nun die bisherigen Kompetenzen der Militärführung, die sich aus der Übergangsverfassung ergaben, auf sich selbst übertragen konnte, deutet darauf hin, dass es verbindliche Absprachen zwischen Muslimbrüdern und Generälen gibt.

Bereits bei der Regierungsbildung Anfang August war deutlich geworden, dass die Muslimbrüder die Machtsphäre des Militärs - Verteidigungs- und Außenpolitik sowie Innere Sicherheit - akzeptieren werden. Es ist wahrscheinlich, dass sich die Bruderschaft auch im Verfassungsgebungsprozess für die Interessen des Militärs einsetzt. So könnte Mursi etwa bei der Ausarbeitung der Verfassung auf die Einrichtung eines "Nationalen Verteidigungsrates" drängen, der bei Fragen der Außen- und vor allem der Sicherheitspolitik eine Vetofunktion im politischen System erhält.

Ein solches Gremium ist bereits in der Übergangsverfassung vorgesehen. Anlässlich der Zwischenfälle auf dem Sinai trat es erstmals zusammen. Seine Aufwertung durch die neue Verfassung könnte es den Generälen ermöglichen, im neuen politischen System einen Großteil ihrer Macht zu behalten, ohne selbst politische Verantwortung tragen zu müssen.

Stephan Roll

© Stiftung Wissenschaft und Politik 2012

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de