Feindbild Saleh

Jemens Oppositionsbewegung ist politisch äußerst heterogen und zieht daher schwerlich an einem Strang. Das einzige alle verbindende Ziel ist, dass der Präsident zurücktreten muss. Informationen von Albrecht Metzger

Von Albrecht Metzger

Seit über dreißig Jahren ist der jemenitische Präsident Ali Abdallah Saleh an der Macht, er hat es geschafft, das heterogene Land zusammenzuhalten und die mächtigen Stämme auf seine Seite zu bringen. Zuletzt nahm sein Regime jedoch immer autoritärere Züge an, außerdem begünstigte er seine Söhne und Neffen bei der Vergabe wichtiger Posten, zumal wenn es um sicherheitspolitisch relevante Angelegenheiten ging.

Gegen diesen Nepotismus und Autoritarismus protestieren die Jemeniten seit nunmehr neun Monaten, und im Juni schien es so, als sei Präsident Saleh tatsächlich am Ende. Er wurde bei einem Anschlag schwer verletzt und nach Saudi-Arabien zur Behandlung ausgeflogen. Niemand rechnete mehr mit seiner Rückkehr, zumindest nicht auf Seiten der Opposition.

Festhalten an der Macht

Doch der Präsident ist zäher, als auch manche Beobachter geglaubt hatten. Ende September ist er in sein Heimatland zurückgekehrt und hat eine neue Runde von Kämpfen zwischen der Opposition und den Sicherheitskräften ausgelöst, bei denen bislang mehrere Dutzend Menschen getötet wurden.

Ali Abdullah Saleh; Foto: dpa
Jemens Präsident Saleh war Ende September aus Saudi-Arabien zurückgekehrt, wo er mehr als drei Monate lang wegen Verletzungen behandelt worden war, die er im Juni bei einem Angriff auf seinen Präsidentenpalast in Sanaa erlitten hatte.

​​Angesichts der breiten Oppositionsfront gegen das Regime stellt sich jedoch die Frage, wie es Ali Abdallah Saleh überhaupt noch schafft, an der Macht zu bleiben. Auf welche Pfeiler stützt sich seine Herrschaft? Und wieso schafft es die Opposition nicht, ihn zu stürzen?

Anders als etwa Ägypten ist der Jemen ein sehr heterogenes Land. Es gibt starke religiöse und regionale Unterschiede, die bei der Bewertung der Aufstände eine wichtige Rolle spielen. Außerdem ist der Jemen eine Stammesgesellschaft, in manchen Regionen hat die Zentralmacht kaum Einfluss, es herrscht ein archaisches Stammesrecht, das sich u.a. durch die Blutrache auszeichnet.

Jeder Präsident des Jemen muss diese unterschiedlichen Machtinteressen berücksichtigen, er kann schwerlich mit eiserner Faust regieren, wie es etwa Saddam Hussein im Irak getan hat. Ali Abdallah Saleh ist dies über lange Jahre gelungen, doch der Kreis seiner Unterstützer ist mittlerweile stark zusammengeschrumpft.

Schwindende Loyalitäten

Der Präsident ist Offizier, das Militär ist somit ein wichtiger Pfeiler seiner Herrschaft. Doch auch hier schwinden die Loyalitäten, wichtige Einheiten haben sich der Opposition angeschlossen, als wichtigstes Instrument der Macht bleiben die Republikanischen Garden, eine Eliteeinheit, die von Salehs Sohn angeführt wird.

Soldaten in Sanaa demonstrieren gemeinsam mit Zivilisten gegen Präsident saleh; Foto: dpa
Widerstand gegen den autokratischen Herrscher: Die Protestbewegung und mehrere Oppositionsparteien fordern den sofortigen Rücktritt Salehs, der seit 1978 an der Macht ist. Sie werden von Einheiten der Armee unterstützt, die sich auf die Seite der "Revolutionäre" geschlagen haben.

​​So lange der Präsident über finanzielle Ressourcen verfügt, um diese Eliteeinheiten zu bezahlen, wird er sie bei der Stange halten können. Sollte er dazu nicht mehr in der Lage sein, könnten auch sie möglicherweise ins Lager der Opposition überlaufen. Insofern spielt die westliche, vor allem US-amerikanische Unterstützung für das jemenitische Militär keine unwesentliche Rolle.

Saleh hat es geschafft, die USA von seiner Unentbehrlichkeit zu überzeugen, vor allem wenn es um den Kampf gegen den Terrorismus geht. Sollte er gestürzt werden, so seine Warnung nach Washington, würde al-Qaida den Jemen zu einer wichtigen Basis für ihre Operationen machen.

Doch das Militär alleine reicht nicht, um Jemen an der Macht zu bleiben. Die Stämme sind schwer bewaffnet, wer das Land regieren will, muss sich ihre Loyalität erkaufen. Die größten Stammesformationen sind die "Haschid" und die "Bakil", Saleh selbst gehört den "Haschid" an und hat lange Zeit mit ihrem Führer, Scheich Abdullah Ibn Hussein al-Ahmar, kooperiert.

Gespaltener "Haschid"-Stamm

Seit dessen Tod im Jahre 2007 hat sich die Lage jedoch verändert. Scheich Ahmars Söhne wollen selber mehr Macht, sie sehen in Saleh einen Autokraten, der den Jemen wie sein Privatbesitz behandelt. Die Ahmar-Söhne sind bereit, auch mit Gewalt gegen die jemenitischen Sicherheitskräfte vorzugehen. Wiederholt ist es zu schweren Kämpfen in der Hauptstadt Sanaa gekommen, bei denen es Dutzende Tote gab.

Stammesmitglieder auf dem Art Square in Sanaa; Foto: DW
"Die Politik der Stämme ist kompliziert, rivalisierende Fraktionen lassen sich leicht gegeneinander ausspielen. Präsident Saleh schafft es bis heute sehr geschickt, auf dieser Klaviatur zu spielen, selbst wenn wichtige Stämme ihm den Rücken gekehrt haben", schreibt Metzger.

​​Doch der "Haschid"-Stamm ist in sich selbst heterogen, die Ahmar-Söhne können nicht auf die Unterstützung aller Mitglieder setzen. Es gibt Scheichs, die sich gegen die Vorherrschaft der Ahmars zu Wehr setzen und deswegen auf Seiten des Präsidenten stehen.

Wie gespalten der "Haschid"-Stamm ist, zeigte sich im Mai. Als Hussein al-Ahmar, einer der Söhne des verstorbenen Scheich Abdallah al-Ahmar, seinen Rücktritt aus der Regierungspartei erklärte, konnte er nicht zu den Feiern in seinem Heimatort Amran gelangen, weil Stammesformationen, die zum Präsidenten hielten, den Weg versperrten.

Die Politik der Stämme ist kompliziert, rivalisierende Fraktionen lassen sich leicht gegeneinander ausspielen. Präsident Saleh schafft es bis heute sehr geschickt, auf dieser Klaviatur zu spielen, selbst wenn wichtige Stämme ihm den Rücken gekehrt haben.

Ungeachtet dessen stellt sich die Frage, ob die jemenitische Opposition am gleichen Strang zieht bzw. die gleichen Ziele verfolgt. Die Ahmar-Familie gehört zum Establishment, seit Jahrzehnten kooperiert sie mit dem Präsidenten. Dass sie sich der Opposition angeschlossen hat, ist eine reine Frage der Macht, es geht den Ahmars nicht um die Prinzipien der Demokratie.

Militarisierung der Opposition

Der Ursprung der jemenitischen Opposition ist jedoch eine Protestbewegung, die sich vor allem aus Studenten und Organisationen der Zivilgesellschaft zusammensetzt. Ihnen geht es darum, aus dem Jemen einen zivilen Staat mit demokratischen Strukturen zu machen und die Korruption zu bekämpfen. Sie begannen mit den Protesten im Januar, die Ahmar-Familie schloss sich der Opposition erst im Mai an.

Auf Seiten des Militärs spielt vor allem General Ali Mohsin al-Ahmar eine wichtige Rolle, der nicht mit der Ahmar-Familie verwandt ist. Auch er gehörte lange Jahre zu den Gefolgsleuten von Präsident Saleh, doch mittlerweile hat er Machtambitionen entwickelt.

Seine Einheit hat sich inzwischen komplett der Opposition angeschlossen. Gemeinsam mit der Ahmar-Familie, deren Stammesangehörige bis an die Zähne bewaffnet sind, liefern sie sich seit Tagen heftige Gefechte mit den Sicherheitskräften, die unter Kontrolle von Präsident Saleh und seinen Söhnen und Neffen sind.

Diese Militarisierung der Opposition ist nicht im Sinne der zivilgesellschaftlichen Kräfte, die einen demokratischen Wandel im Lande wollen und durch die kriegerischen Auseinandersetzungen an die Seite gedrängt werden.

Auf politischer Seite gibt es schließlich die Joint Meeting Parties (JMP), ein Zusammenschluss sehr unterschiedlicher Parteien, die seit Jahren in der Opposition sind. Dazu gehört die Sozialistische Partei, die vor allem im Südjemen ihre Unterstützer hat, sowie die islamistische Islah-Partei, die wiederum von einem der Ahmar-Söhne angeführt wird.

Kleinster gemeinsamer Gegner

Die JMP plädierte zunächst für eine Reform des politischen Systems, schloss sich dann aber den Forderungen der Oppositionsbewegung nach einem Rücktritt von Ali Abdallah Saleh an. Unter den Vertretern der Zivilgesellschaft gibt es Befürchtungen, dass die salafistische Fraktion innerhalb der Islah-Partei die demokratischen Forderungen der Opposition konterkarieren könnte.

Die Oppositionsbewegung gegen Ali Abdallah Saleh zeichnet sich also durch eine große Heterogenität aus. Sie zieht schwerlich an einem Strang, das einzige alle verbindende Ziel ist, dass der Präsident zurücktreten muss.

Mit den Machtambitionen der Ahmar-Familie und General Ali Mohsens hat die zivile Opposition jedenfalls wenig gemein. Je länger die militärischen Auseinandersetzungen zwischen den Stämmen und Präsident Saleh anhalten, desto größer besteht die Gefahr eines flächendeckenden Bürgerkrieges. So lange Saleh nicht bereit ist, von der Macht abzutreten, wird das Land nicht zur Ruhe kommen.

Albrecht Metzger

© Qantara.de 2011

Albrecht Metzger ist Islamwissenschaftler und Publizist in Hamburg. Zuletzt erschien sein Buch: "Der Himmel ist für Gott, der Staat für uns – Islamismus zwischen Gewalt und Demokratie" im Lamuv-Verlag.

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de