Jagd auf unbequeme Kulturschaffende

Am vergangenen Donnerstag verschwand der Filmproduzent, Festivalleiter und Aktivist Orwa Nyrabia spurlos von der Bildfläche, als er von Damaskus nach Kairo fliegen wollte. Man geht davon aus, dass er am Flughafen von syrischen Sicherheitskräften festgenommen wurde. Kein Einzelfall, wie Charlotte Bank berichtet.

Von Charlotte Bank

Zusammen mit seiner Frau, der Künstlerin und Dokumentarfilmerin Diana El-Jeiroudi hatte der syrische Filmproduzent Orwa Nyrabia 2002 die unabhängige Produktionsgesellschaft "Proaction Film" gegründet und damit Neuland in Syrien betreten, wo bis dahin die gesamte Filmproduktion in staatlicher Hand lag.

"Proaction Film" wurde somit zu einer wichtigen Säule der entstehenden, unabhängigen Filmszene in Syrien, inspiriert von der Arbeit des 2011 verstorbenen Filmemachers Omar Amiralay.

2008 riefen Nyrabia und El-Jeiroudi das Festival "Dox Box" ins Leben, ein internationales Festival für kreative Dokumentarfilme, das in den folgenden Jahren stetig wuchs und schnell weit über die Grenzen der Region bekannt wurde. In den letzten Jahren spielten Workshops und andere Aktivitäten für junge angehende syrische Filmemacher eine immer wichtigere Rolle, was die Bedeutung des Festivals für die junge Filmszene im Land unterstreicht.

Protest gegen die Gewalt des Regimes

Neben seiner Arbeit an eigenen Projekten fungierte Nyrabia oft als Jury-Mitglied auf Filmfestivals in Europa und im Nahen Osten. Diese internationale Vernetzung ermöglichte es ihm und dem Team von "Dox Box", die für März geplante fünfte Ausgabe von "Dox Box" auf die internationale Filmfestivalbühne zu tragen – aus Protest gegen die andauernde Gewalt in Syrien und die Repressionen des Regimes gegen die Zivilbevölkerung, aber auch gegen die Passivität der internationalen Gemeinschaft.

Statt also wie in den Jahren zuvor internationale Dokumentarfilme in Syrien zu zeigen, wurde in Zusammenarbeit mit Dokumentarfilmfestivals in der ganzen Welt während eines "Dox Box Global Day" genannten Events eine Auswahl syrischer Dokumentarfilme gezeigt. Erklärtes Anliegen war es, der Welt zu zeigen, "wie Armut, Unterdrückung und Isolation Menschen nicht daran hindern, außerordentlich mutig, beharrlich und würdevoll zu sein."

Mut in harten Zeiten

Im vergangenen März wurde der "EDN Award" des "European Documentary Network" an Diana El-Jeiroudi, Orwa Nyrabia und dem Team von "Dox Box" verliehen. Dieser Preis zeichnet üblicherweise besondere Verdienste um die Entwicklung der europäischen Dokumentarszene aus.

In diesem Jahr begründete die in Dänemark ansässige Organisation ihre Entscheidung, ein nicht-europäisches Festival auszuzeichnen, mit dem Wunsch, eine Gruppe von mutigen Menschen zu ehren, die sich durch einzigartige Visionen und Willenskraft auszeichnen – Menschen, die in harten Zeiten nicht aufgeben, sondern Mut zeigen, Gewalt bekämpfen und nach innovativen Lösungen suchen.

Orwa Nyrabia ist nicht der erste syrische Künstler und Kulturschaffender, der die Härte des Regimes zu spüren bekommt. Im August letzten Jahres wurde der Karikaturist Ali Ferzat von regimetreuen Schlägern entführt und auf brutalste Art zusammengeschlagen, im Mai diesen Jahres wurde der junge Filmemacher Bassel Shehadeh in Homs erschossen, wo er die Proteste und deren Niederschlagung durch das Regime mit seiner Kamera festhielt.

Im Visier des Regimes

Im letzten Jahr musste die Schriftstellerin Samar Yazbek das Land verlassen, nachdem sie sich gegen das Regime ausgesprochen hatte und sie um die eigene Sicherheit und die ihrer Kinder fürchten musste.

Samar Yazbek; Foto: Manaf Azzam
Chronistin des syrischen Volksaufstandes: Samar Yazbek, die Tochter einer angesehenen alawitischen Familie, hatte drei Monate lang die Demokratiebewegung in ihrer Heimat begleitet, bevor sie nach Frankreich emigrieren musste.

​​Und auch der bekannte Filmemacher Oussama Mohammad musste das Land verlassen. Dies sind nur einige Beispiele für die Brutalität mit der das syrische Regime versucht, ihre Gegner zum Schweigen zu bringen.

Seit Beginn der Proteste in Syrien Anfang 2011 hat Orwa Nyrabia sich für Freiheit und Zivilrechte in seinem Land eingesetzt. Er nutzte dabei auch seine internationale Vernetzung. Diese Vernetzung suchen seine Freunde, Familie und Kollegen jetzt auch zu mobilisieren, in dem sie auf sozialen Netzwerken im Internet Filmemacher und Künstler auffordern, sich für die Freilassung ihres Kollegen Orwas und Tausenden von politischen Gefangenen in Syrien einzusetzen.

Charlotte Bank

© Qantara.de 2012

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de