Hassprediger und Brandstifter

Nach dem Massaker an Schiiten in Ostjava hat Indonesiens Staatspräsident Yudhoyono inzwischen von Regierung und Polizei besonderen Schutz für die schiitische Minderheit gefordert. Doch bei vielen Schiiten herrscht weiterhin Angst und Verunsicherung. Andy Budiman informiert.

Von Andy Budiman

Zwei schiitische Muslime sind am 28. August von einer aufgebrachten Menschenmenge getötet worden. Dutzende weitere Anhänger der Schia wurden unter wüsten Beschimpfungen verletzt und die Wohnhäuser der religiösen Minderheit in Brand gesteckt. Den Schiiten wird vorgeworfen, falsche religiöse Lehren verbreitet zu haben.

Diese Meldung stammt nicht etwa aus dem Nahen Osten oder Pakistan. Die Geschehnisse haben sich im Diskrit Sampang auf der indonesischen Insel Madura (Ostjava) zugetragen.

Von Indonesien nahm man bislang an, es könne als moderat islamisches Land mit einer demokratischen Regierung Vorbild auch für andere islamische Staaten sein. Doch die zunehmende Gewalt gegen Gruppen wie die Ahmadiyah und nun auch gegen die Schiiten ist ein deutliches Warnsignal für die Gesellschaft der Inselrepublik.

Gelehrte Intoleranz

"Gottseidank ist unsere Gegend frei von Irrlehren. Doch sollte jemand Irrlehren hier in Sampang verbreiten, dann schnappt ihn euch, stopft ihn in einen Sack und werft ihn in den Kanal!" Diese Worte stammen von Thohir al-Kaf, einem islamischen Prediger und ostjavanischen Religionsgelehrten – eine Rede, die er vor hunderten von Gemeindemitgliedern hielt, unter ihnen auch viele Kinder und Jugendliche.

Schiiten in Sampang auf der Flucht; Foto: picture-alliance/dpa
Unter Polizeischutz: Schiiten fliehen vor der Verfolgung durch Extremisten von ihrem Wohnsitz im Diskrit Sampang auf der indonesischen Insel Madura. Die Minderheitenreligionen werfen Indonesiens Präsident Yudhoyono bereits seit längerem vor, nichts zu ihrem Schutz zu tun.

​​Schon seit einiger Zeit lassen sich Hasskampagnen gegen die schiitische Minderheit in Indonesien beobachten. Ende Dezember 2011 hatten sunnitische Hardliner das Haus des Schiitenführers Tajul Muluk abgebrannt, der gerade eine zweijährige Haftstrafe absaß. Verurteilt hatte man ihn wegen angeblicher Beleidigung des Islams.

So ist die Tragödie vom 28. August offenbar das Resultat dessen, was bereits vor langer Zeit gesät wurde: Hass. Hunderte von Menschen jagten, misshandelten und töteten zwei Anhänger der Schia. Die Körper der beiden Opfer wiesen zahllose Wunden auf, die von Stichwaffen herrührten.

"Die Schia gibt es bereits seit Jahrhunderten in Indonesien. Und bisher gab es keinerlei Probleme zwischen den Religionsgemeinschaften, so wie wir es jetzt erleben", berichtet Professor Azyumardi Azra, Islam- und Nahostexperte an der Syarif Hidayatullah State Islamic University in Jakarta.

Der Wahhabismus als Exportmodell

Laut Azyumardi Azra wurde der Hass von indonesischen Absolventen religiöser Hochschulen in Saudi-Arabien sowie der Gruppe der Salafisten ins Land gebracht. "Sie sind es, die die Polarisierung zwischen Schiiten und Sunniten fördern", so Azra.

Begonnen hatte alles bereits in den 1980er Jahren, als man während einer Konferenz in Jakarta, die von Absolventen aus Saudi-Arabien abgehalten wurde, den damaligen Präsident Suharto aufforderte, die schiitische Lehre in Indonesien zu verbieten. "Doch Suharto traf zu jenem Zeitpunkt die richtige Entscheidung, indem er der Bitte nicht nachkam", weiß der Islamexperte Azyumardi Azra.

Azyumardi Azra; Foto: wikipedia.org
Prof. Azyumardi Azra:"Die Schia gibt es bereits seit Jahrhunderten in Indonesien. Und bisher gab es keinerlei Probleme zwischen den Religionsgemeinschaften, so wie wir es gegenwärtig erleben"

​​Der Export des Wahhabismus bzw. Salafismus nach Indonesien erfolgte im großen Stil nach der islamischen Revolution im Iran von 1979. Die Gruppe der saudi-arabischen Wahhabiten zeigte sich aufgrund der politischen Entwicklungen im Iran besorgt. Sie exportierten die wahhabitische Idee, um ein Gegengewicht zur Politik in Teheran zu schaffen, welche ihren Einfluss auf die Länder mit muslimischer Bevölkerung, einschließlich Indonesien, ausweitete. Die Wahhabiten schickten Hilfe in Form von Geld und Büchern an indonesische Moscheen. Außerdem gründeten sie soziale Stiftungen und Moscheen.

Die Folgen des "Blasphemie-Gesetzes"

Anlässlich des indonesischen Nationalfeiertags hatte sich einst Präsident Sukarno im Jahr 1964 in seiner Rede eines italienischen Begriffes bedient, um die politische Situation jener Zeit treffend zu beschreiben: "vivere pericoloso" – gefährlich leben. Selbiger Begriff trifft die Lebensrealität der Minderheiten in Indonesien wohl auch heute noch.

Nach dem Ende der Suharto-Diktatur und dem Beginn der sogenannten Reformasi-Ära haben Verfolgungen und Diskriminierungen von Minderheiten in Indonesien sogar noch weiter zugenommen. Ein Druck, der sich nicht nur durch öffentliche Anfeindungen manifestiert, sondern auch politisch und rechtlich. So missbrauchen radikale Gruppierungen seit einiger Zeit das "Blasphemie-Gesetz", um Anhänger anderer religiöser Ansichten zu unterdrücken.

In West-Sumatra wurde der Beamte Alexander Aan, der eine Facebook-Gruppe namens "Minang-Atheisten" verwaltete, zu einer zweieinhalbjährigen Haftstrafe und einer Geldstrafe in Höhe von 100 Millionen Rupiah (rund 8.000 Euro) verurteilt. Das Urteil lautete Beleidigung des Islams.

Im März 2012 wurde Andreas Guntur, Oberhaupt der spirituellen Bewegung Amanat Keagungan Ilahi ("Botschaft der göttlichen Herrlichkeit") mit dem Vorwurf der Blasphemie zu vier Jahren Gefängnis verurteilt.

Und auch bei der Inhaftierung der Mitglieder der Gruppe Lia Eden berief man sich auf den Gesetzesartikel zur Blasphemie.

Und damit nicht genug: Das Setara Institue for Democracy and Peace verzeichnete jüngst einen deutlichen Anstieg der Anwendung des Artikel 156a des Strafgesetzbuches sowie des Artikels 4 der Gesetze zur Verhinderung der Religionsausübung, zum Missbrauch und zur Entehrung der Religion.

Andy Budiman

© Qantara.de 2012

Übersetzt aus dem Indonesischen von Birgit Lattenkamp

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de