Etappensieg oder Pyrrhussieg?

Es ist wichtig und richtig, dass die UNESCO die Palästinenser als Vollmitglied aufgenommen hat. Dies nicht zu unterstützen wäre politisch kurzsichtig und moralisch verwerflich, schreibt Bettina Marx in ihrem Kommentar.

Von Bettina Marx

Für die Palästinenser ist die Aufnahme in die UNESCO ein wichtiger Etappensieg, ein Schritt zu ihrer Vollmitgliedschaft in den Vereinten Nationen. Die Entscheidung der UN-Organisation für Bildung, Wissenschaft und Kultur kann als Signal verstanden werden, dass die Weltgemeinschaft den Palästinensern endlich zu ihrem eigenen Staat verhelfen will.

Daneben bringt sie für die Palästinenser aber auch ganz praktische Unterstützung. Denn gerade im Konfliktgebiet Israel und Palästina, das im Westen so gern das Heilige Land genannt wird, gibt es eine Fülle von historisch und kulturell bedeutsamen Stätten, die zwischen beiden Seiten umstritten sind.

Annektierte Heiligtümer

Riad Malki (links) auf dem Weg zur 36. Generalkonferenz der UNESCO; Foto: dapd
Begeisterte Reaktionen bei den Palästinensern: "Wir hoffen, dass der Sieg bei der UNESCO nur einen Anfang markiert", kommentierte palästinensische Außenminister Riad Malki die Entscheidung der UN-Kulturorganisation.

​​Die Altstadt von Jerusalem zum Beispiel, mit ihren religiösen Heiligtümern, die von Israel widerrechtlich annektiert wurde. Oder die zahlreichen Ausgrabungsstätten in den besetzten Gebieten und die dort gefundenen Gegenstände, die bisher fast ausnahmslos in israelischen Museen gelandet sind. Oder das Tote Meer, das für Israelis, Jordanier und Palästinenser gleichermaßen von großer Bedeutung ist und auf dessen Anerkennung als Weltkulturerbe Israel drängt.

Die Palästinenser haben bisher kaum Zugang zum Toten Meer. Von der Ausbeutung seiner Salze und Mineralien sind sie völlig ausgeschlossen. Hier könnte die Mitgliedschaft in der UNESCO ihnen mehr Mitsprache, vielleicht sogar Schutz bringen.

Trotzdem könnte sich ihre Aufnahme in die Weltkulturorganisation auch als Pyrrhussieg entpuppen, der die Palästinenser ihrem Ziel, dem ersehnten eigenen Staat an der Seite Israels, keinen Schritt weiterbringt. Denn die entscheidenden Staaten haben ihnen die Unterstützung verweigert. Darunter die USA, die nun ihre finanziellen Zuwendungen an die UNESCO einstellen wollen. Aber auch Deutschland hat gegen die Aufnahme der Palästinenser gestimmt.

Dies könne die wieder aufgenommenen Gespräche zwischen Israelis und Palästinensern beeinträchtigen, hieß es zur Begründung. Außerdem wolle man das derzeit im Weltsicherheitsrat laufende Verfahren auf Aufnahme Palästinas in die UNO nicht präjudizieren.

Lippenbekenntnisse zur Zweistaatenlösung

US-Außenministerin Hillary Clinton; Foto: AP
Der UNESCO droht nach der Entscheidung eine finanzielle Krise, da die USA bereits den Stopp ihrer Beitragszahlungen angekündigt haben.

​​Doch diese Argumente überzeugen nicht. Die Gespräche, die Israelis und Palästinenser in der letzten Woche begonnen haben, und die sie nicht miteinander, sondern mit den Vertretern des Nahostquartetts führen, scheitern an der israelischen Weigerung, die Siedlungspolitik einzustellen und die territoriale Integrität des zukünftigen palästinensischen Ministaates zu akzeptieren.

Und in der Frage der Aufnahme des palästinensischen Staates in die Vereinten Nationen hat sich die Bundesregierung ja ohnehin längst entschieden: Sie ist dagegen, und das trotz ihrer jahrelangen Lippenbekenntnisse zur Zweistaatenlösung.

Es ist wichtig und richtig, dass die UNESCO die Palästinenser als Vollmitglied aufgenommen hat. Dies nicht zu unterstützen wäre politisch kurzsichtig und moralisch verwerflich.

Bettina Marx

© Deutsche Welle 2011

Bettina Marx war langjährige Nahostkorrespondentin der ARD. 2009 erschien ihr Buch "Gaza. Land ohne Hoffnung" im Verlag Zweitausendundeins.

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de