Ein erster Schritt zur Normalisierung

Netanjahus Entschuldigung für den Tod der neun Friedensaktivisten auf der Gaza-Hilfsflotte könnte ein neues Kapitel im türkisch-israelischen Verhältnis einleiten. Die Entschuldigung ist jedoch nur der Anfang. Es wird dauern, bis das Gleichgewicht in den bilateralen Beziehungen wiederhergestellt ist, meint Ibrahim Kalin, Berater des türkischen Premiers Erdoğan.

Von Ibrahim Kalin

Nach fast drei Jahren politischer Spannungen, diplomatischer und inoffizieller Verhandlungen entschuldigte sich Israel offiziell für den Tod von neun türkischen Bürgern, die auf dem Schiff Mavi Marmara 2010 ihr Leben verloren haben. Der Premierminister Recep Tayyip Erdoğan nahm die Entschuldigung Israels im Namen des türkischen Volkes an.

Dieses Ereignis bedeutet den Triumph der prinzipientreuen türkischen Außenpolitik mit Hilfe von Soft-Diplomacy.

Die Marvi Marmara, das Hilfsschiff mit mehr als 600 Passagieren aus 35 Ländern, das Palästina mit humanitärer Hilfe beliefern sollte, wurde von israelischen Soldaten am 31. Mai 2010 abgefangen und endete mit dem Tod von neun Friedensaktivisten. Unter den Getöteten war auch der 19-jährige Furkan Doğan, ein US-Bürger.

Infolge Israels unrechtmäßigen Abhaltens des Schiffes in internationalen Gewässern und die spätere Verweigerung sich zu für die Todesfälle zu entschuldigen, hatte die Türkei ihre bilateralen Beziehungen zu Israel eingefroren, ihre Botschafter zurückbeordert und die israelischen Botschafter in Ankara ausgewiesen.

Die Mavi Marmara in Istanbul; Foto: dpa
Zäsur im bilateralen Verhältnis: Ende März hatte sich Israels Ministerpräsident Netanjahu auf Druck der USA bei seinem türkischen Kollegen Erdogan entschuldigt für den Tod von neun türkischen Aktivisten. Israelische Elitesoldaten hatten Ende Mai 2010 das Schiff "Mavi Marmara" in internationalen Gewässern geentert, um die Weiterfahrt zu verhindern.

​​Dieser Zwischenfall, zusammen mit der von der Türkei kritisierten illegalen Siedlungspolitik der israelischen Regierung und der Besetzung des Gazastreifens, führte zur erheblichen Verschlechterung der türkisch-israelischen Beziehungen.

Entweder alle Bedingungen oder keine

Seitdem steht die türkische Regierung unter dem Druck der USA und Europas, die die Türkei dazu auffordern, ihre Beziehungen zu Israel wieder zu normalisieren. Die Türkei stellte drei Bedingungen: eine formale Entschuldigung, Reparationszahlungen für die Familien der Opfer und das Ende der Blockade des Gazastreifen. Zumindest die erste Bedingung ist nun erfüllt worden.

Die Versuche, in den vergangenen Jahren eine Lösung für die gestörten bilateralen Beziehungen zu finden, sind gescheitert. Anstatt einer offiziellen Entschuldigung gab Israel sein "Bedauern" kund. Mit der Leistung von Reparationszahlungen hatte sich Israel einverstanden erklärt, nicht aber mit der Aufhebung der Blockade des Gazastreifens. Erdoğan wiederholte die Position seiner Regierung, und betonte, dass die Türkei sich auf keine halben Lösungen einlasse, und dass alle drei Bedingungen der Türkei erfüllt sein müssten.

Neben der Entschuldigung hat Israel nun sein Einverständnis für die Entschädigung der Familienangehörigen erklärt und die Aufhebung der über den Gazastreifen verhängten Blockade versprochen. Diesbezüglich hatte Israel bereits einige Maßnahmen ergriffen, auch wenn noch sehr viel unternommen werden muss, um das tägliche Leid der Palästinenser zu lindern.

Impulse für den gesamten Nahen Osten

Israels Entschuldigung stellt eine wichtige Zäsur im Fall Mavi Marmara dar und könnte ein neues Kapitel der türkisch-israelischen Beziehungen einleiten, was wiederum dem Friedensprozess im Nahen Osten neue Impulse verleihen könnte.

Die Entschuldigung ist jedoch nur ein Anfang. Es wird Zeit brauchen bis das Gleichgewicht im türkisch-israelischen Verhältnis wiederhergestellt ist. Die öffentliche Empörung über den Verlust des Lebens der türkischen Bürger in internationalen Gewässern kann nicht so einfach weggewischt werden. Schließlich kann keine Entschuldigung die Opfer jemals wieder zurückbringen.

Darüber hinaus behindert die israelische Besatzung der palästinensischen Gebiete, der erstarrte Friedensprozess und die schwindende Aussicht auf einen unabhängigen und existenzfähigen palästinensischen Staat mit den in 1967 festgelegten Grenzen und Jerusalem als Hauptstadt die Normalisierung der bilateralen Beziehungen.

Die Türkei erkennt zwar den Staat Israel an, unterstützt aber gleichzeitig das Streben der Palästinenser nach Unabhängigkeit, Sicherheit und Würde und hält daran fest, dass dies für den Frieden und die Stabilität in der Region unabdingbar ist.

Grund zu vorsichtigem Optimismus

Der türkische Außenminister Ahmet Davutoglu (l.) mit US-Außenminister John Kerry in Istanbul; Foto: dpa
"Triumph prinzipientreuer türkischer Außenpolitik": Der türkische Außenminister Davutoglu begrüßte Netanjahus Entschuldigung forderte Israel jedoch auch dazu auf, alle gegen die Palästinenser verhängten Blockademaßnahmen zu beenden. Dies sei Voraussetzung für eine vollständige Normalisierung der türkisch-israelischen Beziehungen.

​​US-Präsident Barack Obama und Außenminister John Kerry spielten eine wichtige Rolle bei der Vermittlung dieser Entschuldigung, weshalb beiden eine besondere Anerkennung gebührt. Für die USA war dies denn auch ein großer Erfolg, da die Türkei und Israel die wichtigsten Verbündeten im Nahen Osten darstellen.

Zudem war dieser Schritt für Israel dringend notwendig, angesichts der zunehmenden Isolation des Landes infolge der arabischen Revolutionen – zu diesem Schluss kommen mittlerweile auch viele kritische Beobachter in Israel.

Mit der Annahme der Entschuldigung der israelischen Regierung signalisierte Erdoğan, dass seine Kritik sich gegen die Politik Israels gerichtet hatte und nicht etwa gegen die Existenz Israels oder gegen die Bürger des Landes. Der türkische Ministerpräsident gilt als entschiedener Verfechter der Zwei-Staaten Lösung für beide Völker, und er ist der erste muslimische Staatsführer, der den Antisemitismus zu einem Verbrechen gegen die Menschheit erklärt hat.

Wir sollten mit unserem Optimismus bezüglich des türkisch-israelischen Verhältnisses vorsichtig umgehen. Dennoch ist es wichtig, auf diesem diplomatischen Moment aufzubauen. Neben ihren Bemühungen für eine Verbesserung der bilateralen Beziehungen wird die Türkei die Palästinenser weiterhin unterstützen – sowie sämtliche Bestrebungen für eine gerechte und realistische Lösung des Israel-Palästina-Konflikts, ein Ziel, von dem alle Länder des Nahen Ostens künftig profitieren werden.

Ibrahim Kalin

© Project Syndicate 2013

Übersetzt aus dem Englischen von Julie Schwannecke

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de