Die Hoffnung stirbt zuletzt

Mehr als 20 Jahre lang hatte Ben Ali mit eiserner Hand Tunesien regiert, bevor er im Januar 2011 fluchtartig das Land verlassen musste. Doch zwei Jahre nach der Revolution bleibt der Weg zur Demokratie steinig, die Unzufriedenheit in der Bevölkerung ist groß. Aus Tunis informiert Sarah Mersch.

Von Sarah Mersch

Für Freiheit und Entwicklung waren Tunesiens Bürger zum Jahreswechsel 2011 vier Wochen lang auf die Straße gegangen, doch viele Probleme bestehen auch zwei Jahre danach noch fort. Die Situation "könnte besser sein", meint der Student Mohamed. "Es gibt so viele gesellschaftliche und politische Probleme. Wenn Regierung und Opposition Hand in Hand zusammen arbeiten würden, dann würde es vorangehen."

Doch die Regierung kriegt vor allem die wirtschaftlichen Probleme des Landes nicht in den Griff. Die Wirtschaft leidet immer noch unter den Auswirkungen der Revolution. Viele Touristen bleiben aus Angst vor Unruhen weg, und auch die ausländischen Investoren sind vorsichtig geworden, denn immer wieder legen Streiks und Straßenblockaden die Produktion in den Fabriken still.

Die Arbeitslosigkeit liegt nach offiziellen Angaben bei 17 Prozent und ist damit höher als vor der Revolution. In manchen Regionen - besonders im Inneren des Landes - ist fast die Hälfte der Bevölkerung ohne Arbeit, und rund 40 Prozent der Hochschulabsolventen sind ebenfalls auf der Suche nach einer Anstellung.

Politischer und wirtschaftlicher Stillstand

Demonstration gegen die Regierung in Siliana; Foto: Reuters
"Keine Gerechtigkeit, keine Arbeit": Zwei Jahre nach dem Umsturz in Tunesien lebt noch immer fast ein Viertel der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze. Proteste gegen wirtschaftliche und soziale Not - wie im vergangenen November in der nordtunesischen Stadt Siliana - nehmen daher zu.

​​Die Tunesier sehen die Auswirkungen der Krise jeden Tag in ihrem Geldbeutel: Der wird immer leerer, denn die Lebensmittelpreise schießen in die Höhe. Die Inflation liegt zurzeit bei rund sechs Prozent. Milch gibt es seit fast drei Monaten kaum noch zu kaufen, Kartoffeln und Fleisch sind so teuer, dass sich viele Menschen diese Güter nicht mehr leisten können.

Immer wieder treibt die angespannte Situation die Bürger auf die Straße. Auch die Anwältin Hayat Jazar demonstriert vor dem Parlament, um ihrem Ärger Luft zu machen. Nichts funktioniere in Tunesien, beklagt sie sich. "Es tut sich einfach gar nichts. Es gibt keine Gerechtigkeit und keine Arbeit. Die Forderungen des Volkes wurden noch nicht einmal ansatzweise umgesetzt, abgesehen von der Meinungsfreiheit."

Aber die Regierung unter der Führung der moderaten islamistischen Partei Ennahdha setzt alles daran, die Bevölkerung zum Schweigen zu bringen, zum Beispiel indem sie Prozesse gegen unbequeme Journalisten und Blogger führen. "Da haben wir bald wieder ein Regime wie unter Ben Ali."

Direkt nach der Revolution hatten die Demonstranten eine neue Verfassung gefordert, um endgültig mit den alten diktatorischen Strukturen zu brechen. Im Oktober 2011 wählte Tunesien dann in den ersten freien Wahlen eine Verfassunggebende Versammlung, die dem Land einen neuen gesetzlichen Rahmen geben soll. Eigentlich sollte dieser nach einem Jahr gesteckt sein, doch die Abgeordneten brauchen länger als gedacht.

"Die Revolution ist wie ein Hefeteig"

Der Student Mohamed verfolgt die Arbeit der Volksvertreter genau. Er ist von ihrer Arbeit enttäuscht. "Die Abgeordneten streiten sich über Nebensächlichkeiten, die das tunesische Volk nicht betreffen. Das ist reine Parteipolitik. Wenn die Verfassung in zwei, drei Jahren fertig ist und es Neuwahlen gibt, dann wird sich die Situation in Tunesien bestimmt verbessern", hofft er.

Auch die Anwältin Hayat Jazar will die Hoffnung nicht aufgeben, dass Tunesien den Weg zur Demokratie erfolgreich zu Ende geht - wenn auch über einige Umwege. Solange die Bürger für ihre Meinung eintreten, sei noch nichts verloren.

"Die Revolution ist wie ein Hefeteig: Es dauert ein bisschen, bis er aufgeht, aber er wird aufgehen." Sie vertraut ihrem Volk, dass es die neugewonnene Meinungsfreiheit nutzen wird, die Demokratie voranzubringen.

Sarah Mersch

© Deutsche Welle 2013

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de