Theologin Käßmann mahnt zu Gelassenheit bei Islam-Debatte

In der Debatte um Ängste vor einer Islamisierung des Abendlandes hat sich die evangelische Theologin Margot Käßmann für mehr Gelassenheit ausgesprochen. «Ich muss bei den besorgten Mitbürgern immer ein wenig lächeln. Ich sage denen gern: Gehen Sie sonntags in die Kirchen, dann müssen Sie keine Angst vor vollen Moscheen haben», sagte sie der «Hamburger Morgenpost».

Die wegen einer Islamisierung «besorgten Mitbürger» nimmt Käßmann «ernst, aber ich stelle ihnen in Abrede, dass sie für das christliche Abendland sprechen».

Auf dem jüngsten Reformationsjubiläum hatte die evangelische Theologin zudem die Verständigung der Religionen unterstrichen. Der Dialog der Religionen müsse sich zu diesem Datum als Anliegen des Protestantismus erweisen, sagte die Reformationsbotschafterin der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) am vergangenen Dienstagabend im Dom zu Brandenburg an der Havel. «Die Reformatoren selbst haben gesagt, die Kirche müsse sich immer weiter reformieren, dies ist ein entscheidender Punkt, der sich in der Lerngeschichte bewahrheitet hat», ergänzte Käßmann.

Die Schmähschrift «Von den Juden und ihren Lügen» des Reformators Martin Luther (1483-1546) habe lange Zeit als Rechtfertigung für Diskriminierung, Ausgrenzung und Mord an den Juden gedient, sagte Käßmann. Dies werfe einen Schatten auf Luther und seine Reformation. Die Wiederaufnahme des jüdisch-christlichen Dialogs sei «eine lange und bittere Lerngeschichte» gewesen. Heute aber sage die Evangelische Kirche in Deutschland: «Wer Juden angreift, greift uns an», sagte Käßmann und fügte hinzu: «Wir brauchen einen Dialog der unterschiedlichen Konfessionen und Religionen, und er muss theologisch gegründet sein.»

In Hinblick auf die Flüchtlingskrise in Europa sagte Käßmann gegenüber NDR Info Radio: «Es gehört zu Europa, Menschen zu schützen, die fliehen.» Die europäische Idee sei nicht, eine Insel der Seligen zu sein und neue Mauern zu bauen, betonte die ehemalige hannoversche Landesbischöfin. Europa verstehe sich vielmehr als eine freie Gemeinschaft, die auch anderen Menschen zur Seite stehe. «Flüchtlinge sind nicht irgendwelche Probleme, sondern Botschafter des weltweiten Elends, die jetzt vor der Tür stehen.»

Mit diesem Elend habe Europa durch Export und Import in vielfältiger Weise zu tun. «Europa ist mit der Welt verbunden.» Gerade Ungarn habe Milliardenhilfen erhalten, um Mitglied der Europäischen Union zu werden. Wenn der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban jetzt sage, die hohe Zahl der Flüchtlinge sei ein deutsches Problem, «dann muss er den EU-Beitritt zurücknehmen», sagte die Theologin mit Blick auf Äußerungen des ungarischen Ministerpräsidenten.

Sie hoffe auf die Kraft der Zivilbevölkerung, sagte Käßmann weiter. «Ich setze darauf, dass jetzt Menschen zeigen, dass sie Europäerinnen und Europäer sind.» Es gebe eine breite Bewegung in der Gesellschaft, um Flüchtlinge zu integrieren. (epd/dpa)

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