Palmyra gehört den Räubern

In Syrien sterben auch die Wurzeln der europäischen Kultur - rücksichtslos werden antike, byzantinische und mittelalterliche Stätten beschossen, Museen geplündert und Kunstwerke verhökert. Von Andreas Kilb

Von Andreas Kilb

Im zweiten Jahrhundert vor Christus war Apameia am Orontes eine der Metropolen des Mittelmeerraums. Hier lagerte, mitsamt seinen fünfhundert Kriegselefanten, das Heer des Seleukidenherrschers Antiochos, bevor es im Frühjahr wieder über den Euphrat zog, um die aus den asiatischen Steppen eingefallenen Parther zu bekämpfen.

Noch um Christi Geburt zählten die Stadt und ihr Landgebiet eine halbe Million Einwohner. Ein gutes Jahrhundert später, nach einem verheerenden Erdbeben, entstanden die Thermen und die zwei Kilometer lange, vierzig Meter breite und zwanzig Meter hohe Säulenstraße, die Apameia von Norden nach Süden durchquert. Im zwölften Jahrhundert wurde die zwischen Kreuzfahrern und arabischen Emiren umkämpfte Stadt bis auf den antiken Festungshügel aufgegeben. Wer ihre Reste sieht, braucht keine Computerbilder mehr, um sich eine Vorstellung von der Pracht der griechisch-römischen Großstädte zu machen.

Heute liegen die Säulenreihen von Apameia unter Beschuss. Ein am 15. März entstandenes Video zeigt einen Panzer, der von einem Hügel aus über das Ruinenfeld feuert, und den Einschlag der Granate in der Zitadelle Qal’at al-Mudiq auf der Nordseite des Plateaus. Dort, hinter den zerschossenen Mauersteinen aus drei Jahrtausenden, verschanzte sich wenig später offenbar eine Einheit der syrischen Armee. Bulldozer brachen Öffnungen in die Mauern, um freies Schussfeld für die Panzer zu schaffen. Schon zuvor war das Museum in der Karawanserei am Fuß des Burgbergs aufgebrochen, waren römische Mosaike in der Ruinenstadt mit Bohrern und Meißeln abgeschlagen und weggeschafft worden. Apameia gehört jetzt den Scharfschützen und dem schwarzen Markt.

Der Aufschrei ist ausgeblieben

Krak de Chevaliers; Foto: © Ergo
Krak de Chevaliers: Die mittelalterliche Festung aus dem 12. Jahrhundert diente Kreuzrittern als Verteidigung und zur Kontrolle des Weges von der Mittelmeerküste ins Landesinnere; zeitweise waren hier bis zu 2000 Mann stationiert. Zur Zeit ist die Burg in den Händen von Assads Soldaten.

​​Ein Bürgerkrieg ist immer eine kulturelle Katastrophe, weil er die gesamte Lebenswelt eines Landes zur Kampfzone macht, Gotteshäuser, Museen, Altstädte, Friedhöfe eingeschlossen. Im Fall von Syrien trifft der Bürgerkrieg ein Land, dessen herausragende Bedeutung für die Kulturgeschichte der Menschheit erst seit ein paar Jahrzehnten überhaupt begriffen wird. Seit den dreißiger Jahren erst wird der Siedlungshügel der sumerischen Großstadt Mari, seit den Sechzigern das im dritten und zweiten Jahrtausend vor Christus blühende Ebla ergraben. Seit gerade mal achtzig Jahren weiß man Genaueres über die Totenstädte im nordsyrischen Kalksteingebirge, die mit ihren spätantiken Kirchenbauten inzwischen zum Weltkulturerbe gehören, und seit 1930 erst wird Ugarit freigelegt, eine Stadt aus dem zwölften Jahrhundert vor Christus, in der die allererste Buchstabenschrift gefunden wurde.

Assur, Babylon, Troja und Luxor waren längst berühmt, als die Altertümer Syriens noch in der Erde schlummerten, und dieser Vorsprung hat sich bis heute gehalten. Man trifft hundertmal mehr Leute, die schon einmal in Leptis Magna oder im Tal der Könige waren, als solche, die Apameia oder die frühislamische Fassade des Wüstenschlosses Qasr al-Heir al-Gharbi in Damaskus gesehen haben, obwohl das eine dem anderen an kulturhistorischer Bedeutung nicht nachsteht.

Eben deshalb ist wohl auch das Drama der syrischen Kulturschätze noch nicht richtig ins westliche Bewusstsein gedrungen. Seit dem vergangenen Sommer wird in Syrien gekämpft, seit Monaten erscheinen immer wieder Berichte über Zerstörungen und Plünderungen auf Websites von Denkmalschützern. Aber der allgemeine Aufschrei angesichts der Barbarei ist bisher ausgeblieben. Seit Mitte Mai liegt nun mit der Studie von Emma Cunliffe, einer Mitarbeiterin des Global Heritage Fund, der erste ausführliche Bericht zur Lage der archäologischen Stätten in Syrien vor.

Denkmäler als Geschützstellungen

Zerstörtes Haus in der Altstadt von Homs; Foto: AP
Die Gefechte in Syrien hinterlassen auch an den oft jahrhundertealten Häusern mittelalterlicher Stadtkerne ihre Spuren. In Homs, einem der Zentren der Gegner des Assad-Regimes, ist die Zerstörung der Altstadt besonders gravierend.

​​Cunliffes Bilanz ist niederschmetternd: Es gibt, von den Grabungen in Tell Halaf nahe der Türkei bis zu den spätrömischen und frühislamischen Baudenkmälern im Hauran an der Grenze zu Jordanien, buchstäblich keinen Ort mehr, an dem die syrische Antikenverwaltung ihre Schätze vor der Vernichtung schützen kann. Museen werden ausgeraubt, goldene Statuen und Bronzewaffen abtransportiert, Moscheen und Kirchen mit Granaten durchlöchert, antike Blöcke als Straßensperren missbraucht.

Die Altstadt von Homs, das 1982 bereits Schauplatz eines Massakers war, ist zu großen Teilen zerstört, ebenso die Al-Omari-Moschee in Dar’a, deren Fundamente aus der Zeit der ersten Kalifen stammen. In der alten Nabatäerstadt Bosra, dem späteren Hauptlager der römischen III Legio Cyrenaica, walzen Panzer durch die Straßen, und das frühchristliche Kloster von Deir Sunbel wurde in einen Armeestützpunkt umgewandelt. Die Liste der Verluste ist lang, und sie wird mit jedem Monat länger, denn es existiert keine zivile Autorität mehr, die das Werk der Zerstörung aufhalten könnte.

Der kulturelle Reichtum Syriens hängt mit seiner geographischen Lage zusammen. Vier Jahrtausende lang, von den frühen Hochkulturen im Zweistromland bis zum Siegeszug des Islam, kreuzten sich hier die Einflussbereiche der Sumerer, Babylonier, Ägypter, Assyrer, Hethiter, Perser, Griechen und Römer. Das architektonische Wahrzeichen dieses weltgeschichtlichen Schmelztiegels ist die Oasenstadt Palmyra, in der sich parthische und hellenistisch-römische Bauelemente zu einem einmaligen Lokalstil verbanden. Der märchenhafte Ruhm der Stätte ging auch im Mittelalter nie ganz verloren, bis sie englische Reisende im 18.Jahrhundert wiederentdeckten. Jeden Frühling und Herbst quoll Palmyra von Touristen über.

Kalksteinrelief aus dem 2. Jhd, Palmyra; Foto: AP
Gefundenes Fressen für Kunsträuber: Da es keine zivile Autorität gibt, die den Zerstörungen etwas entgegensetzt, werden archäologische Stätten und Museen geplündert. Wegen der fehlenden Dokumentierung vieler Stücke haben Hehler auf dem internationalen Kunstmarkt zudem leichtes Spiel.

​​Jetzt ist die gewaltige Anlage leer. Die Nekropolen im Tal der Toten, bereits in der Spätantike Ziel von Räubern, wurden abermals geplündert. In der Mameluckenburg, die im dreizehnten Jahrhundert zum Schutz der Oase vor Überfällen der Kreuzfahrer errichtet wurde, haben sich Soldaten des Assad-Regimes einquartiert, die, wie es heißt, auf alles feuern, was sich zwischen den Ruinen bewegt. Die Prachtstraße mit ihren korinthischen Säulen, der Triumphbogen der Severer und die Umfassungsmauer des Baal-Tempels sind durch Einschüsse gezeichnet. Nachts laufen Raubgräber über das Gelände und versuchen dem Boden seine Kostbarkeiten zu entreißen, bis das Aufblitzen von Mündungsfeuer sie wieder vertreibt.

Wie in Palmyra und Apameia haben Regierungstruppen auch andernorts Kulturdenkmäler zu Geschützstellungen umfunktioniert. Über das Geschehen in der Kreuzritterburg Krak des Chevaliers, neben dem Londoner Tower vielleicht die bekannteste mittelalterliche Festungsanlage, gibt es mehrere Versionen. Offiziell heißt es, "bewaffnete Banden" hätten die Kustoden ausgesperrt, um ungehindert plündern zu können. Andere Stimmen berichten, Soldaten hätten eine friedliche Protestkundgebung als Vorwand benutzt, die Anlage zu besetzen.

Auch die Festungen Margat und Schmemis wurden auf diese Weise okkupiert. Falls der militante Teil der syrischen Opposition in den Besitz schwerer Waffen kommt, kann man sich ausmalen, was aus dem zum Weltkulturerbe gehörenden Krak und den anderen Burgen werden wird.

Ende einer Forschungsepoche

Nicht weniger dramatisch ist die Lage der syrischen Museen. Viele von ihnen liegen mitten in Kampfgebieten - etwa das Museum in Idlib, das einen Großteil der unschätzbaren Ebla-Tontafeln verwahrt, oder die Häuser in Hama, Deir ez-Zor und Suweida. Bereits im Juli 2011 veröffentlichte die Regierung Assad ein Memorandum, das vor Aktivitäten technisch hochgerüsteter Kunsträubernetzwerke in Syrien warnte. Seither wurden offenbar einige wertvolle Stücke aus den Museen in Damaskus und Aleppo in den Safe der syrischen Staatsbank gebracht.

Säulenstraße in Apameia; Foto: Wikipedia
Einst römische Prachtstraße, heute Kulisse für Panzer und Bulldozer: Apameia am Orontes liegt in einem stark umkämpften Gebiet, die antiken Ruinen fallen nach und nach Granantenhagel und Räubern zum Opfer.

​​Die große Masse aber bleibt bewaffneten Plünderern schutzlos ausgeliefert. Und wie zuvor im Irak sind auch in Syrien zahllose Funde weder systematisch beschrieben noch fotografiert worden. Das macht es den Hehlern leicht, ihre Beute auf dem internationalen Kunstmarkt anzubieten. In Deutschland erschwert zudem die Gesetzeslage die Erfassung von Raubkunst: Zwar ist die Bundesrepublik vor fünf Jahren endlich dem Unesco-Abkommen zum Kulturgüterschutz beigetreten, aber Objekte "nicht nachweisbarer Herkunft", gerade solche aus zweifelhaften Kanälen also, sind von der Genehmigungspflicht für den Kunsthandel ausgenommen.

Karin Bartl, die Leiterin der Außenstelle Damaskus des Deutschen Archäologischen Instituts, war im Dezember zuletzt in Syrien. Viele ihrer einheimischen Mitarbeiter, erzählt sie, seien zu ihren Familien aufs Land geflohen. Im Grabungshaus des Instituts in Hama gab es im August wilde Schießereien. Vor kurzem, sagt Bartl, habe sie sich das Haus von oben auf Google Earth angesehen. "Es scheint noch zu stehen, aber wenn die Kämpfe andauern, kann man sich vorstellen, wie es in ein, zwei Jahren da aussieht." Für die Kunsthistorikerin endet mit dem Bürgerkrieg eine Epoche der archäologischen Forschung. "Das Syrien, das wir kannten, wird es nicht mehr geben."

Andreas Kilb

© FAZ 2012

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de