Syrienkonflikt: "Irgendwann stand der Panzer im Kinderdorf"

Die Organisation SOS-Kinderdörfer betreibt verschiedene Hilfeeinrichtungen, unter anderem in Damaskus. Das dortige Kinderdorf musste allerdings jüngst evakuiert werden. Katharina Ebel, Nothilfekoordinatorin der SOS-Kinderdörfer in Syrien, schildert in einem Interview ihre Eindrücke von ihrer jüngsten Reise in das Land.

Frau Ebel, Sie sind seit über drei Wochen aus Syrien zurück, stehen aber in engem Kontakt mit den Helfern vor Ort. Wie erleben die Kinder die Evakuierung ihres Dorfes in Damaskus?

Katharina Ebel: Man muss sich das so vorstellen, dass in Damaskus relativ wenig vom Krieg zu spüren war. Die Kinder, die wir aufnehmen, kommen aber aus allen Teilen von Syrien. Die haben alles Mögliche durchgemacht: Sie haben gesehen, wie Menschen gestorben sind, teilweise ihre Eltern, und mussten Bomben, Flucht und Zerstörung erleben. Mit der Evakuierung des Dorfes kamen diese Erinnerungen bei vielen Kindern wieder zurück.

Wie muss man sich so eine Evakuierung von etwa 150 Kindern, davon einige traumatisiert, vorstellen?

Ebel: In Damaskus war es ähnlich wie in Aleppo, wo wir das Dorf schon früher aufgeben mussten. Die Kämpfe rückten näher, und irgendwann stand der Panzer im Kinderdorf. Wenn man Glück hat, bekommt man vorher von einem Checkpoint Bescheid. Beim letzten Mal hat uns die syrische Armee zwei Stunden gegeben, um das Kinderdorf zu räumen. Mehr Zeit hat man selten. Wir trainieren das aber auch mit den Kindern. Wir kommen dann unangekündigt an einem Abend und sagen: "Ok, packt eure Sachen, innerhalb von zehn Minuten ist Abfahrt!" Im Gänsemarsch geht es dann zum Bus, und jeder hat seinen festen Platz. Für die Kinder sind die Übungen aber locker gestaltet: Wir feuern sie an, laufen mit, und am Ende gibt es Eiscreme.

Es ist in Damaskus nicht bei Übungen geblieben. Welchen Effekt hat es auf die Psyche, wenn ein vermeintlich sicherer Ort evakuiert werden muss?

Ebel: Wir haben die Kinder jetzt zunächst im Hotel untergebracht und suchen nach einer langfristigen Lösung. Mit jedem Umzug wird es aber schwerer, die Situation noch irgendwie positiv zu verkaufen. Wenn das Zuhause plötzlich keines mehr ist, hat das sehr schwere Auswirkungen, vor allem auf das Sicherheitsgefühl. Manche Kinder sind durch das, was sie auch zuvor schon erlebt haben, so belastet, dass sie teilweise schwere Depressionen entwickeln, die auch in Selbstmordversuchen enden können.

Was können Sie da noch tun?

Ebel: Wenn ein Kind an diesen Punkt kommt, dann hat es so viel mitgemacht und so viel Leid gesehen, dass es unglaublich schwer ist, es wieder auf einen normalen Weg zu bringen. Alles, was der Mensch normalerweise hat, um sich gegen Traumata zu wehren, ist nach so einer langen Zeit der Gewalt außer Kraft gesetzt. Die Spätfolgen wird man sehr deutlich erkennen. Selbst nach Kriegsende wird nicht alles gut sein.

Auch wenn das aktuell in unerreichbarer Ferne zu liegen scheint - wissen Sie schon, was nach dem Ende des Krieges am dringendsten gebraucht wird?

Ebel: Es gibt kein Patentrezept. Wir können nur wie bereits jetzt versuchen, Kindern mit psychosozialen Angeboten und viel Geduld und Zuneigung möglichst viel Stabilität zurückzugeben, negative Gedanken durch positive Erlebnisse ersetzen, Schulen aufbauen, die einen Alltag und eine Struktur geben und Angebote machen, die ein Stück Normalität ins Leben zurückbringen. Das kann auch nicht eine Organisation alleine schaffen. Es werden viele Organisationen, Manpower und Geld gebraucht, um die durch den Krieg entstandenen Probleme und ihre Spätfolgen abzufedern. (KNA)