Neue Demarkationslinien

Der Krieg in Syrien wirft seine Schatten in den Libanon: Im multikonfessionellen Zedernstaat flammen immer wieder gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen schiitischen und sunnitischen Libanesen auf. Eine Entspannung ist nicht in Sicht. Von Mona Naggar aus Beirut

Von Mona Naggar

Als letztes Wochenende die libanesische Armee sich blutige Gefechte mit dem radikalen sunnitischen Scheich Ahmad al-Assir im südlibanesischen Saida lieferte, rollten auch durch Beirut Panzer. Die libanesische Armee war in solchen Stadtteilen präsent, wo es zu Gewalt hätte kommen können – dort, wo die neuen Demarkationslinienzwischen Sunniten und Schiiten in der Stadt verlaufen.

Sie sind nicht etwa das Erbe langjährigen libanesischen Bürgerkrieges, sondern vielmehr das Ergebnis der politischen Entwicklungen des vergangenen Jahrzehnts. Sie existierten bereits bevor der populistische Scheich Assir in Erscheinung trat und noch vor Ausbruch des Syrienkrieges. Als die Hisbollah im Mai 2008 Teile von Beirut besetzte, kam es auch in diesen Stadtteilen zu Kämpfen.

Politische Ursachen des Konflikts

Spricht man mit Bewohnern dieser Viertel über die gerade vorherrschenden schiitisch-sunnitischen Spannungen im Libanon, dann werden politische Gründe für die Konflikte genannt.

Parade der Hisbollah in Beirut; Foto: Anwar Amro/AFP/Getty Images
Schützenhilfe für das Assad-Regime: Im vergangenen Monat griff die schiitische Hisbollah-Miliz aus dem Libanon auf der Seite des syrischen Regimes in den Konflikt ein. Zuletzt hatte sie in der Grenzstadt Kussair die Assad-Truppen unterstützt und maßgeblich zu deren Sieg über die Rebellen beitragen.

​​Der 18-jährige Ibrahim al-Masri aus Tarik al-Jadida, einem vorwiegend von Sunniten bewohnten Viertel, sagt, dass in den letzten Jahren die Macht der Schiiten im libanesischen Staat stetig gewachsen sei.

Sie würden die Geschicke des Landes bestimmen und das erzeuge Unmut bei den Sunniten: "Bei uns im Viertel gibt es manchmal Probleme zwischen Anhängern der sunnitischen Zukunftsbewegung und der schiitischen Hisbollah. Sie akzeptieren einander nicht."

In Khandaq al-Ghamiq, einem vorwiegend von Schiiten bewohnten Viertel im Zentrum der Hauptstadt, hängen riesige Plakate des Generalsekretärs der schiitischen Hisbollah, Hassan Nasrallah, und die gelben Fahnen der Partei. Husain Fayyad betreibt in der Hauptstraße einen kleinen Supermarkt.

Für ihn sind die Hintergründe der konfessionell geprägten Auseinandersetzungen der letzten Zeit klar: "Was hier gerade passiert, ist eine amerikanisch- israelische Verschwörung gegen die Hisbollah. Auch Saudi-Arabien und Qatar sind daran beteiligt." Die Hisbollah habe im Südlibanon Israel besiegt und nun solle sie ausgelöscht werden. Aus Fayyads Viertel sind junge Männer im Kampf gegen Israel im Südlibanon gefallen, aber auch in Syrien. Sie kämpfen dort gegen radikale Sunniten, sagt der 53-jährige Mann.

Spiegel der politischen Machtkämpfe und Allianzen

Bei den schiitisch-sunnitischen Auseinandersetzungen – ob in Beirut, Dörfern in der Bekaa-Ebene im Osten des Landes oder in Tripoli im Norden Libanons – geht es nicht um Glaubensfragen oder um verschiedene religiöse Auffassungen. Der Konflikt ist vielmehr ein Spiegel der libanesischen Parteienlandschaft, ihrer Machtkämpfe, und regionalen Allianzen.

Das politische System im Libanon, das von starken konfessionellen Zügen geprägt ist, verfestigt die Teilung des Landes entlang der Religionsgemeinschaften.

Ministerpräsident Nadschib Mikati; Foto: Reuters
Politische Krise als Dauerzustand: Ende März war es zum Bruch der von der pro-syrischen Schiiten-Organisation Hisbollah gestützten Regierung gekommen, als Ministerpräsident Nadschib Mikati seinen Rücktritt einreichte. Grund war unter anderem die zunehmende Spaltung im Land angesichts des immer brutaler werdenden Bürgerkriegs in Syrien.

​​Die Hisbollah mit ihrem mächtigen Waffenarsenal ist die stärkste politische und militärische Kraft im Libanon. Zusammen mit der Amal-Bewegung repräsentiert sie den überwiegenden Teil der Schiiten im Land. Ihre Verbündeten sitzen in Damaskus und Teheran.

Offen greift sie auf Seiten des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad in den Konflikt ein und schickt Kämpfer, um ihn zu unterstützen. Die Zukunftsbewegung mit Saad al-Hariri an der Spitze vertritt die Interessen der meisten Sunniten und gilt als Alliierter Saudi-Arabiens. Sie steht der syrischen Opposition nahe.

Ende der Neutralität

Radikal-sunnitische Gruppierungen, wie etwa Scheich Ahmad al-Assir, die eine Minderheit unter den libanesischen Sunniten ausmachen, werben für den Kampf gegen das Regime in Damaskus. Zu Beginn der Krise in Syrien schrieb die libanesische Regierung sich noch eine Politik der Nichteinmischung in die Angelegenheiten des Nachbarlandes auf ihre Fahnen. Doch seit dem Rücktritt des libanesischen Ministerpräsidenten vom vergangenen März ist von Nichteinmischung keine Rede mehr.

Mohammed Sammak verfügt über reichliche Erfahrung im islamisch-christlichen sowie innerislamischen Dialog. Der 77-jährige Sunnit beschreibt die Spannungen zwischen den verschiedenen islamischen Konfessionen im Libanon als politischen Fanatismus, der ein Spiegel für die Lage in der Region sei: "Angenommen morgen würde ein Treffen zwischen dem neu gewählten iranischen Präsidenten, Saudi-Arabien und anderen arabischen Golfstaaten stattfinden, dann würden wir im Libanon sofort eine Entspannung der Lage beobachten."

Ali Fadlallah; Foto: mohamed amro/www.alifadlallah.com
Um Vermittlung und Aussöhnung bemüht: Ali Fadlallah versteht seine Rolle als Religionsgelehrter, die Menschen zu beruhigen und nicht Öl ins Feuer zu gießen. Er plädiert dafür, die Politik im Libanon und in Syrien strikt voneinander zu trennen.

​​Der schiitische Theologe Ali Fadlallah bezieht ähnliche Positionen wie Sammak. Der religiöse Aspekt der sunnitisch-schiitischen Auseinandersetzungen sei nur Beiwerk, ein probates Mittel um Emotionen zu schüren.

Dialogarbeit in schwierigen Zeiten

Fadlallah, der weit über die Grenzen des Libanon bekannt ist, versteht seine Rolle als Religionsgelehrter, die Menschen zu beruhigen und nicht Öl ins Feuer zu gießen. Er plädiert dafür, die Politik im Libanon und in Syrien strikt voneinander zu trennen: "Wir sollten uns auf unsere eigenen politischen Themen konzentrieren. In erster Linie denke ich da an die Bildung einer neuen Regierung, was bis jetzt noch nicht gelungen ist."

Jeden Freitag predigt Ali Fadlallah in der Hassanain-Moschee in Harat Hreik, im Süden Beiruts. In den südlichen Vororten der libanesischen Hauptstadt leben mehrheitlich Schiiten. Viele sympathisieren mit der Hisbollah. Als der syrische Grenzort Kussair von der regulären syrischen Armee eingenommen wurde, gab es in den Vororten Freudenschüsse und auf der Straße wurden Süßigkeiten verteilt.

Auch junge Männer aus diesen Vierteln ziehen nach Syrien in den Krieg. In seinen Predigten spricht der 54-Jährige viel von Toleranz, Vergebung und verantwortungsvollem Handeln. Ali Fadlallah scheint nicht sehr optimistisch zu sein, was die Entwicklung seines Landes angeht. Er treffe sich mit allen Seiten und Religionsvertretern: "Aber die Krise ist größer als unsere Aktivitäten."

Auch Mohammed Sammak wirkt ernüchtert. Er kommentiert selbstkritisch die Aktivitäten der Religionsvertreter und erklärt, dass das nicht genügt: "Wenn das ausreichen würde, wären wir jetzt in einer besseren Situation. Aber wir haben schließlich nur das Wort. Wir können nur an den Verstand der Menschen appellieren."

Der Krieg in Syrien beherrscht im Moment die Befindlichkeiten im Libanon. Solange nicht alle Seiten, die an diesem Konflikt beteiligt sind, an einer Lösung arbeiten, werden die Spannungen zwischen Schiiten und Sunniten im Zedernstaat weiter anhalten und je nach Lage im Nachbarland möglicherweise eskalieren.

Mona Naggar

© Qantara.de 2013

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de