Streit um «Völkermord»: Armenien kritisiert Türkei scharf

Im Streit um die Anerkennung der Massaker an den Armeniern vor 100 Jahren als «Völkermord» hat die Regierung der Südkaukasusrepublik die Türkei scharf kritisiert. «Die Politik der Leugnung ist perspektivlos», sagte der armenische Außenminister Edward Nalbandjan in Eriwan. Die Türkei manövriere sich mit ihrer Haltung selbst ins Abseits, sagte er Berichten zufolge.

Am 24. April begehen die Armenier den 100. Jahrestag des Beginns der Verfolgung der Armenier im Osmanischen Reich. Damals wurden nach Schätzungen bis zu 1,5 Millionen Menschen getötet. Die Türkei als Rechtsnachfolgerin des osmanischen Imperiums hält die Zahlen für übertrieben und lehnt es ausdrücklich ab, von Völkermord zu sprechen.

Erst am letzten Mittwoch hatte das Europaparlament die Türkei aufgefordert, die Gräueltaten an den Armeniern als Völkermord anzuerkennen. Vor wenigen Tagen hatte Papst Franziskus die Verbrechen von damals als «ersten Genozid des 20. Jahrhunderts» verurteilt - und damit Empörung in Ankara ausgelöst.

Unterdessen mehren sich bei Deutschlands Christdemokratie vor der Bundestagsdebatte zum 100. Jahrestag der Verbrechen an den Armeniern im Osmanischen Reich die Stimmen, die Massaker als Völkermord zu brandmarken. Im Entwurf der Bundesregierung für die Gedenkstunde am Donnerstag ist zwar von «Vernichtung der Armenier» die Rede, der Begriff «Völkermord» wird aber - offensichtlich mit Rücksicht auf das Verhältnis zur Türkei - nicht verwendet. Nach Schätzungen kamen bei der Vertreibung der Armenier im Ersten Weltkrieg bis zu 1,5 Millionen Menschen ums Leben.

«Der Tod Hunderttausender Armenier in der Endphase des Osmanischen Reiches war weder Unfall noch Zufall, sondern Völkermord», sagte CDU-Vize Julia Klöckner der «Welt am Sonntag». «Auch wenn es diplomatisch unklug sein mag und wir in Deutschland aufgrund unserer Geschichte anderen nicht überheblich ihre Geschichte vorhalten sollten, können wir dennoch das Kind beim Namen nennen.»

Der Armenien-Berichterstatter der Unionsfraktion, Christoph Bergner (CDU), kündigte an, er werde am Dienstag in der Fraktion dafür eintreten, «dass der Begriff Völkermord in den Antrag aufgenommen wird». Zwar verstehe er es, wenn Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) «um angemessene Formulierungen» ringe. Aber «die Beweise, dass es sich um einen Genozid handelt, liegen in den Archiven des Auswärtigen Amts». Das Osmanische Reich und das Deutsche Kaiserreich waren im Ersten Weltkrieg Bündnispartner.

Auch führende Vertreter von Grünen und Linken forderten die schwarz-rote Koalition auf, die Massaker klar als «Völkermord» zu benennen. «Die Bundesregierung ist mit ihrer Haltung unglaubwürdig und knickt vor der Türkei ein», sagte der Grünen-Fraktionsvorsitzende Anton Hofreiter.

Grünen-Chef Cem Özdemir sagte der «Welt am Sonntag»: «Die CDU/CSU muss sich gut überlegen, auf welcher Seite sie in dieser historischen Debatte steht. Ich glaube nicht, dass die Partei Konrad Adenauers und Helmut Kohls an die Seite von Völkermordleugnern gehört.»

Der Linken-Vorsitzende Bernd Riexinger verlangte von der Bundesregierung, die «systematisch geplante und –organisierte Vernichtung der armenischen Bevölkerung als Völkermord nach der UN-Konvention» anzuerkennen.

Bundespräsident Joachim Gauck spricht am Donnerstag bei einer Gedenkveranstaltung der Kirchen im Berliner Dom. «Ich würde mir wünschen, dass der Bundespräsident sich deutlicher äußert», sagte Grünen-Fraktionschef Hofreiter. «Ich mag ihm aber keine Vorschriften machen.»

Vor wenigen Tagen hatte Papst Franziskus die Ermordung der Armenier vor 100 Jahren als «ersten Völkermord im 20. Jahrhundert» bezeichnet und damit harsche Kritik der Türkei auf sich gezogen. Außenminister Steinmeier hatte den Standpunkt vertreten: «Die Gräuel der Vergangenheit lassen sich nicht auf einen Begriff oder den Streit um einen Begriff reduzieren.» Er selbst sprach nicht von Völkermord, aber von «Massakern» und «Gräueln am armenischen Volk». (dpa)