Streit über TV-Doku zu Judenhass bei «Maischberger» - WDR muss einlenken

Nun ist die umstrittene TV-Doku von Arte und WDR über den Judenhass in Europa also doch öffentlich-rechtlich gezeigt worden. Jeder konnte am Mittwochabend im Ersten sehen, dass der Vorwurf der Einseitigkeit berechtigt ist und es leider auch «handwerkliche Mängel» (WDR) gibt. Von Renate Kortheuer-Schüring

Der Film «Auserwählt und ausgegrenzt - Der Hass auf Juden in Europa» ist provokativ, teils auch polemisch überspitzt und hat qualitative Schwächen. Aber im Blick auf neue Formen des Antisemitismus - nicht zuletzt auf den in den Medien stark unterbelichteten Antisemitismus von Muslimen - erscheint er geradezu als notwendig.

Dass der von Arte in Auftrag gegebene TV-Beitrag von Joachim Schröder und Sophie Hafner zum «Weltereignis» wurde, wie der Historiker Michael Wolffsohn ironisch kommentierte, haben sich die beiden Sender in der Tat selbst zuzuschreiben. Erst lehnte Arte aus formalen Gründen ab, und der WDR, der die TV-Doku ursprünglich übernehmen wollte, schloss sich an.

Dann, nachdem die Kritik an dieser Entscheidung nicht abebbte und bild.de den Film widerrechtlich für 24 Stunden online stellte, präsentierte man ihn doch - ergänzt um korrigierende Texttafeln und einen Faktencheck im Internet, der die nach Ansicht des WDR unvollständigen oder heiklen Punkten aufgreift.

Verständlich: WDR-Programmdirektor Jörg Schönenborn sprach in der anschließenden Sendung «Maischberger» zur Antisemitismus-Doku von sieben Persönlichkeitsrechtsverstößen und 25 inhaltlichen oder journalistischen Fehlern. Auch das in dem Film angegriffene Hilfswerk «Brot für die Welt», das keine Chance erhielt, sich zur Kritik an einer Partnerorganisation B'Tselem zu äußern, wies auf Falschdarstellungen hin. Die israelkritische Aussage einer Frau, die offenbar für eine kirchlichen Organisation arbeitet, wurde mit dem flapsigen Kommentar versehen: «Dieser Holocaust-Vergleich wurde Ihnen präsentiert von 'Brot für die Welt'.»

Bei etlichen Befragten und Zeugen hätte man gern Genaueres zu ihrem Hintergrund gewusst. Ein provokanter filmischer Schnell-Durchgang durch die Geschichte des europäischen Antisemitismus von den ersten Christen, über Kant, Goethe und Wagner bis hin zum Herausgeber des NS-Hetzblattes «Der Stürmer», Julius Streicher, wirft beim Zuschauer viele Fragen auf.

Als «Propaganda» bezeichneten daher auch der Psychologe Ralf Verleger, ehemals Mitglied im Zentralrat der Juden in Deutschland, und die Journalistin Gemma Pörzgen die Doku. Israel-Kritik und Antisemitismus würden darin ständig vermischt, sagte Verleger bei «Maischberger».

Dagegen lobte der Historiker Michael Wolffsohn den Film als «sehr gut» - trotz einiger «Nachteile». Der Film zeige rechten, linken und muslimischen Antisemitismus sowie seine Verflechtungen im Nahen Osten, dies sei in dieser Form selten zu sehen. Der Nahostkonflikt sei längst in Deutschland und Frankreich präsent. Das habe kein anderer Film bisher gezeigt.

Dem WDR warf Wolffsohn vor, es auf einen Boykott des Films angelegt zu haben. Der Sender habe monatelang Zeit gehabt, mit den Autoren zu reden und die Mängel zu beheben, sagte er in der «Maischberger»-Runde. Dies habe er aber nicht getan. Auch gebe es offenbar «doppelte Standards» beim WDR, denn andere Dokus, die «vor Fehlern strotzten», seien trotzdem gesendet worden - etwa über den niederländischen Rechtspopulisten Geert Wilders oder die Bank Goldman & Sachs.

Den Vorwurf einer Zensur wollte der WDR nicht auf sich sitzenlassen. Aber beim ausführlichen Faktencheck zeigt sich, dass in den mehr als zwei Dutzend Punkten manches auch auf wertenden Einschätzungen beruht. So heißt es zu den Unruhen im Pariser Vorort Sarcelles, bei denen Synagogen angegriffen wurde und sich Juden verteidigt hatten, es hätten nicht 3.000 sondern 300 Jugendliche randaliert und die verbotene «Jewish Defence League» habe eine Rolle gespielt. Diese Darstellung lässt sich aber nur schwer einschätzen, da die Quellenlage unsicher ist. (epd)

Lesen Sie hierzu auch den Beitrag von Stefan Buchen auf Qantara.de