Die Kinder der Revolutionäre

Einst mussten Shida Bazyars Eltern vor der Islamischen Revolution nach Deutschland fliehen. In ihrem packend erzählten Debütroman mischt die Autorin Fakten mit Fiktion und erzählt nicht nur die Geschichte von Flucht und Exil, sondern lässt auch die nachfolgende Generation zu Wort kommen. Von Volker Kaminski

Von Volker Kaminski

Als Behsad 1979 rauchend auf dem Küchenboden sitzt, während seine Mutter, seine Tanten und Cousinen Weinblätter füllen und die Küche von angeregten Gesprächen erfüllt ist, ist die Welt in Teheran längst aus den Fugen. Tausende Menschen sind auf den Straßen, um die Ablösung des Schahs zu feiern. Behsad ist Marxist, verteilt Flugblätter und reckt die Faust für die Internationale Solidarität.

Anfangs erlebt er die aufwühlenden Tage der Revolution als "Gleichschritt Richtung Freiheit", doch schnell wird klar, dass er und seine Kampfgenossen ins politische Abseits geraten. Die neue geistliche Führung verbreitet ein Klima der Angst und droht Andersdenkenden mit Verhaftung und Folter.

Die Geschehnisse in Teherans Straßen kommen uns beim Lesen so nah, als würden wir direkt neben Behsad herlaufen. Diese große Wirkung rührt vor allem daher, dass der Protagonist in der Ich-Perspektive spricht. Alles was Behsad erlebt, die Aktionen der Linken, an denen er sich beteiligt, seine Erinnerungen an die Kindheit, die ihm durch den Kopf gehen, spiegelt sich im Geschehen wider und erhält so handfeste Formen.

Mit diesem assoziativen Erzählkonzept gelingt es der Autorin einen weiten zeitlichen Bogen von 30 Jahren zu schlagen und eine politisch brisante Geschichte zu erzählen, indem sie aus wechselnder Perspektive je eines der Familienmitglieder zu Wort kommen lässt.

Sehnsucht nach der Heimat

Behsads revolutionärer Phase in den späten 70er Jahren im Iran folgt die erste Zeit des Exils in Deutschland, die aus der Sicht seiner Frau erzählt wird. Nahids Gedanken und Erfahrungen sind weniger politisch, dafür umso genauer in der Beobachtung der fremden Umgebung.

Shida Bazyar: "Nachts ist es leise in Teheran"; Quelle: Verlag Kiepenheuer & Witsch
"Shida Bazyar ist eine ausgezeichnete Menschenbeobachterin, die Innenschau ihrer Protagonisten wird niemals Selbstzweck, es sind hellwache, sensible und kritische Beobachter ihrer Umwelt. Das zieht den Leser tief in die Geschichte hinein, der diesen intimen, berührenden Roman nicht aus der Hand legen kann, bevor er auf der letzten Seite angelangt ist", schreibt Kaminski.

Obwohl die Situation der Familie nicht länger bedroht ist, deutsche Freunde ihnen Unterstützung anbieten, findet sich Nahid nur schwer zurecht und sehnt sich nach ihrer Heimat und dem Klang der vertrauten Sprache. Von den Geschehnissen im Iran kommen sie und ihr Mann nicht los, gebannt verfolgen sie die Nachrichten im Radio und erfahren durch Telefonate, dass ein guter Freund in der Haft gestorben ist.

So bleiben die politischen Zusammenhänge immer präsent und leuchten im Gedankenstrom der Erzählerin hindurch. Nahids Eindruck, sie folge ununterbrochen einem "Film in (ihrem) Kopf", den sie immer wieder anschaue, charakterisiert nicht nur treffend ihre Einsamkeit, sondern überträgt sich auch bei der Lektüre auf den Leser.

Die Last des Exils und das Trauma der Eltern

Der große Reiz der assoziativen Erzählweise wird besonders intensiv in den Passagen, in denen die jungen Erwachsenen, die Kinder der Revolutionäre, erzählen. Tochter Laleh und Sohn Mo wachsen in Deutschland auf, doch auch ihrer Biographie sind die Last des Exils und das Trauma der Eltern eingeschrieben. Die sensible Laleh leidet unter Angstgefühlen und Unsicherheit.

Als die Eltern zusammen mit ihren drei Kindern zum Urlaub nach Schweden fahren und auf einer Fähre sind, denkt Laleh: „Auf der Fähre waren wir sicher. So sicher wie noch nie. Auf der Fähre waren wir fünf eine Insel (…) Und ich dachte, wenn uns jetzt jemand etwas tun will, dann kann er nicht weg, dann ist er auf dem Schiff und kann nicht flüchten, und also wird uns niemand etwas tun.“

Als Laleh 1999 mit ihrer Mutter zum Verwandtenbesuch nach Teheran fährt, erweist sich die 16-Jährige als überaus kritische Beobachterin ihrer Umgebung. Sie saugt alle Informationen und Eindrücke auf und stellt fest: "Alle hier haben Geheimnisse". Während sie sich dem mörderischen Verkehr auf der Straße hilflos ausgesetzt fühlt, wünscht sie sich spontan, einen Tschador in Deutschland tragen zu können, dann könnte sie ihren "Körper einfach darunter verstecken (…), hätte den ganzen Tag den Schutz des morgendlichen Erwachens im Bett (…), den Schutz vor Blicken (…).", obwohl sie keineswegs ein schüchternes Mädchen ist.

Doch vor allem wird ihr bewusst, dass im Heimatland ihrer Eltern demonstrierende Studenten die Gewalt des Staates zu spüren bekommen und dass studierende Frauen nur geringe Berufschancen haben. Als sie eine befreundete Mutter besuchen, die in den politischen Umbrüchen ihren Mann verloren hat und deren Sohn drogenabhängig ist, wird ihr klar, wie sicher im Vergleich ihr Leben durch die Flucht ihrer Eltern geworden ist.

Zwischen Vergangenheit und Gegenwart

Es sind diese Passagen, in denen sich hinter den scheinbar alltäglichen Gedanken der Erzählenden Abgründe auftun. Nach Laleh schließt sich ihr Bruder Mo an, der aus dem Jahr 2009 erzählt. Auch bei ihm schimmert die politische Vergangenheit und die Gegenwart des Iran immer wieder hindurch, während er als 23jähriger Geographiestudent an einer deutschen Universität zusammen mit seinen Kommilitonen auch einmal gegen Studiengebühren auf die Straße geht.

Während zur selben Zeit in Teheran die kurze "Grüne Revolution" ausbricht, was zu den größten Unruhen im Iran seit 1979 führt, muss Mo auf der Demonstration keine Angst haben, was ihn jedoch andererseits auch wieder verunsichert.

Mo ist das einsamste der Kinder, er ist noch recht ziellos, und obwohl er in einer Studenten-WG wohnt, ist er immer noch stark auf die Eltern bezogen. Auch in seinen Passagen beweist die Autorin, wie gut sie sich in ihre Figuren hineinversetzt, wunderbar lebendig schildert sie Mos Gedanken und widersprüchlichen Gefühle.

Über seine Schwester Laleh denkt er: "Du warst doch eh nie richtig Studentin, nicht so wie andere, nicht so wie ich. Ihr Einser-Abi, ihr Einser-Diplom, ihre Muster-Architektinnen-Laufbahn. Laleh hat einen Bausparvertrag, seit sie sechzehn ist" – womit er sich selbst auf indirekte Weise charakterisiert. Doch eigentlich wünscht sich Mo nur, dass sie "ohne Angst in sein (gemeint ist: Vaters) Heimatviertel fahren" können. Das Gefühl des Wartens, das die Eltern geprägt hat, überträgt sich auch auf ihn, selbst dann, wenn er YouTube-Videos aus Teheran schaut.

Bazyar ist eine ausgezeichnete Menschenbeobachterin, die Innenschau ihrer Protagonisten wird niemals Selbstzweck, es sind hellwache, sensible und kritische Beobachter ihrer Umwelt. Das zieht den Leser tief in die Geschichte hinein, der diesen intimen, berührenden Roman nicht aus der Hand legen kann, bevor er auf der letzten Seite angelangt ist.

Volker Kaminski

© Qantara.de 2016

Shida Bazyar: "Nachts ist es leise in Teheran", Verlag Kiepenheuer & Witsch 2016, 288 Seiten, ISBN: 978-3-462-04891-9