Krieg mit wirtschaftlichen Mitteln?

Die brutale Unterdrückung der syrischen Protestbewegung veranlasste die internationale Gemeinschaft und die Arabische Liga dazu, wirtschaftliche Sanktionen gegen das Land zu erhängen. Doch inwiefern sind diese überhaupt wirksam? Von Anja Zorob und Salam Said

Von Anja Zorob and Salam Said

Die syrische Führung geht seit mehr als acht Monaten mit ungeahnter Härte gegen die eigene Bevölkerung vor. Militär und Sicherheitskräfte greifen Städte wie Homs, Hama oder Der'a mit schweren Waffen an, verhaften, verschleppen und foltern ihre Bewohner und rauben Häuser und Geschäfte aus.

Die Monate andauernde Gewalt gegen Zivilisten veranlasste die internationale Gemeinschaft, Sanktionen unterschiedlicher Art und Reichweite zu verhängen. Inwiefern sind wirtschaftliche Sanktionen ein geeignetes Mittel, um das syrische Regime unter Druck zu setzen?

Kritiker weisen darauf hin, dass Wirtschaftssanktionen in der Vergangenheit zumeist ihr Ziel verfehlten und wenn überhaupt, dann nur die Zivilbevölkerung trafen.

Seit der wachsenden Kritik an den negativen Folgen von Sanktionen für die Zivilbevölkerung, für das der Irak ein erschütterndes Beispiel lieferte, begannen Sanktionssenderländer oder -organisationen vermehrt sogenannte "smart sanctions" zu ergreifen. Diese sollen gezielt Personen und Unternehmen treffen.

Sanktionen der USA und EU

Für Syrien sind Sanktionen nicht neu. Die USA setzte Syrien 1979 auf die Liste der State Sponsors of Terrorism und verhängte damit in Zusammenhang Strafmaßnahmen. Seit dem Machtantritt von Bashar al-Assad wurden diese zunächst durch die Bush-Administration im Rahmen des Syria Accountability and Lebanese Sovereignty Act (SALSA) und in der jüngsten Zeit mit dem Ausbruch der syrischen "Revolution für die Freiheit" sukzessive verschärft.

EU-Außenministerin Ashton im Gespräch mit EU-Kommissar für Entwicklung Andris Piebalgs; Foto: AP/dapd
"Einen Plan für eine schnelle Wiederaufhebung der Sanktionen und eine umfassende Wiederbelebung der syrischen Ökonomie in der post-Assad-Ära hat bisher keiner der Sanktionssenderländer vorgelegt", schreiben Anja Zorob und Salam Said.

​​Die Europäische Union legte im vergangenen Jahrzehnt unter anderem als Antwort auf die Ermordung des ehemaligen libanesischen Ministerpräsidenten Hariri die Unterzeichnung des 2004 initialisierten Assoziierungsabkommens auf Eis. Im Mai 2011 verhängte sie zunächst Reiseverbote gegen ausgewählte Regimemitglieder sowie wenig später auch gegen den Präsidenten und ließ ihre Vermögen in europäischen Banken einfrieren. Anfang September folgte ein Stopp der Ölimporte aus Syrien.

Außerdem hat die EU ähnlich wie die USA ein Waffenembargo verhängt und neuerdings den Export von Ausrüstungstechnologie für den Brennstoffsektor sowie europäische Investitionen in die Energieerzeugung verboten. Befremdlich wirkt bei all dem, dass der Technologie-Konzern Siemens kurz vor der jüngsten Sanktionsrunde noch einen Großauftrag für den Bau eines Kraftwerks nördlich von Damaskus unterzeichnete.

Die Mitgliedsländer der EU bezogen in den letzten Jahren etwa 90 Prozent der syrischen Ölexporte. Ausländische Partner wie Shell und Total sollen schon vor geraumer Zeit aufgefordert worden sein, die Ölförderung zu drosseln; seit einigen Wochen erhalten sie keine Zahlungen mehr. Shell will nunmehr seine Aktivitäten in Syrien ganz einstellen. Der Ölexport galt in den letzten Jahren neben Tourismus und Handel immer noch als ein wichtiger Wirtschaftszweig und brachte etwa 30 bis 40 Prozent der jährlichen Staatseinnahmen ein.

Da auch die staatliche Ölhandelsfirma von den Maßnahmen betroffen ist, dürfte es in Zukunft außerdem schwierig werden, die nötigen Importe raffinierter Produkte zu sichern, was private Verbraucher wie Unternehmen in Syrien vor erhebliche Probleme stellen wird. Die beiden syrischen Raffinerien vermochten in den letzten Jahren einen immer geringeren Teil des syrischen Bedarfs zu bedienen.

Sanktionen der Arabischen Liga und Türkei

Mitte November 2011 hat die Arabische Liga die Mitgliedschaft Syriens suspendiert. In einem nächsten Schritt erließen die Mitglieder der Liga erstmals Sanktionen. Die Maßnahmen umfassen ein Waffenembargo, Einschränkungen des Kapital- und Zahlungsverkehrs, Aussetzung des staatlichen Handels, Stopp der offiziellen Hilfen und Investitionen und das Einfrieren von Einlagen der syrischen Regierung.

Rami Makhlouf; Foto: dpa/abaca
Von den Sanktionen der Arabische Liga ist auch Rami Makhlouf betroffen. Der Oligarch ist Sinnbild der ausufernden Korruption, Cousin des Präsidenten und Hassobjekt der Protestbewegung.

​​Ab dem 15. Dezember sollen des Weiteren die Flugverbindungen zwischen den arabischen Staaten und Syrien um die Hälfte reduziert werden. Zusätzlich wurden ausgewählte Personen einem Reiseverbot unterworfen und deren Vermögen beschlagnahmt. Diese Liste enthält hochrangige Mitglieder von Regierung und Sicherheitsapparat sowie Rami Makhlouf, den bekanntesten syrischen Oligarchen, Sinnbild der ausufernden Korruption und Cousin des Präsidenten, auf den sich der Hass der Protestierenden gleich zu Beginn der Aufstände fokussierte.

Nur wenig später verhängte auch die Türkei Sanktionen gegen Syrien, darunter den Stopp aller Finanztransaktionen und Reiseverbote gegen syrische Offizielle. Die arabischen Staaten, die EU und die Türkei betonten in ihren offiziellen Verlautbarungen indes mit Nachdruck, dass die Sanktionen allein darauf gerichtet wären, den Spielraum der syrischen Regierung einzuengen, weiter repressiv gegen die Aufständischen vorzugehen.

Da die Sanktionsmaßnahmen wie oben dargestellt aber bereits weit über "smart sanctions" hinausgehen, dürfte dies in der Realität nicht mehr als ein frommer Wunsch sein. Es fragt sich jedoch, welche Alternativen es gibt?

Iran: Solidaritätskäufe von Öl

Befürworter von Sanktionen erwarten, dass die wirtschaftlichen und finanziellen Sanktionen die Fähigkeit des Regimes einengen, die Repression zu finanzieren, und die Unternehmer überzeugen, die Seiten zu wechseln. Dafür notwendig ist allerdings zum einen, dass die Sanktionen effektiv umgesetzt werden und zum zweiten, dass denen, die bislang den Protesten fernblieben, eine Perspektive für eine Zukunft "nach Assad" in Aussicht gestellt wird.

Iranischer Präsident Ahmadinejad neben syrischem Präsidenten Bashar al-Assad; Foto: Fars
"Iran soll als Solidaritätsbeweis syrisches Öl aufgekauft haben; es fragt sich nur, was sie damit wollen, denn Iran muss selbst raffinierte Produkte einführen", meinen Zorob und Said.

​​Die beiden Nachbarn Irak und Libanon stimmten gegen die Sanktionen. Daneben meldete Jordanien eine Sonderbehandlung an. Auch auf internationaler Ebene gibt es jene, die sich trotz der inzwischen weit über 4.000 Todesopfer gegen Sanktionen auf UN-Ebene aussprechen. Dazu zählen Russland und China. Iran und die libanesische Hisbollah haben dem syrischen Regime ihre volle Unterstützung zugesagt. Iran soll als Solidaritätsbeweis syrisches Öl aufgekauft haben; es fragt sich nur, was sie damit wollen, denn Iran muss selbst raffinierte Produkte einführen.

Insbesondere die arabischen Sanktionen dürften viele jener in Bedrängnis bringen, die bislang das Regime passiv oder aktiv unterstützten. Die arabischen Staaten haben sich in den letzten Jahren zu den mit Abstand wichtigsten Absatzmärkten für syrische Güter entwickelt. Ausländische Investitionen außerhalb der Öl- und Gasförderung kamen fast ausnahmslos aus der Region und arabische Hilfen finanzierten dringend benötigte Projekte u.a. zur Modernisierung der Infrastruktur.

Aktive Unterstützung leisten Geschäftsleute, indem sie dem Regime für die Niederschlagung der Proteste finanzielle Mittel, ihren Fuhrpark oder gar ihre Mitarbeiter zur Verfügung stellen. Vor allem die wenigen großen syrischen Unternehmen sind entweder Teil des Regimes oder verfügen über beste Beziehungen zu hochrangigen Personen in Regierung, Verwaltung und den Sicherheitsdiensten. Damit sind ihre Interessen eng mit der Existenz des Regimes verbunden.

Gespaltene Opposition

Die syrischen Oppositionsgruppen vertreten unterschiedliche Ansichten über die Mittel für einen Sturz des Regimes.

Kritische Stimmen meinen, dass wirtschaftliche Sanktionen, vor allem ein umfassender Handels- und Investitionsboykott, vornehmlich die Bevölkerung treffen und damit die Revolution und nicht das Regime schwächen werden.

Denn dieses wird sich über altbekannte und weitverzweigte Schmuggelnetzwerke weiterhin bestens zu versorgen wissen. Mitglieder des Syrischen Nationalrats wiederum plädieren für noch härtere wirtschaftliche Sanktionen, diplomatische Isolation und schließen offenbar auch eine internationale militärische Intervention nicht mehr gänzlich aus. Immer mehr unter den tagtäglich auf den Straßen syrischer Städte protestierenden Menschen rufen nach humanitären Korridoren oder einer Pufferzone.

Einen Plan für eine schnelle Wiederaufhebung der Sanktionen und eine umfassende Wiederbelebung der syrischen Ökonomie in der post-Assad-Ära scheint indes bis jetzt keiner der Sanktionssenderländer vorgelegt zu haben. Die EU hat lediglich "eine neue und ambitiöse Partnerschaft mit Syrien in allen Bereichen" in Aussicht gestellt.

Syrische Wirtschaft geschwächt

Nach einigen Berichten gerät die syrische Wirtschaft in eine immer tiefere Krise. Die syrische Lira verfällt zusehends, private Vermögen wurden in hohem Umfang aus den Banken abgezogen und die Preise, und darunter jene für Güter des Grundbedarfs, sind bereits stark angestiegen. Die bisherigen Reaktionen der syrischen Führung indes wirken bestenfalls widersprüchlich.

Menschenmenge in einem syrischen Basar; Foto:AP
"Einige Maßnahmen offenbaren die Verzweiflung der Regierung. Dazu gehören die Durchhalteparolen, die an die Slogans der 1980er Jahre erinnern, als die syrische Volkswirtschaft einem Staatsbankrott gefährlich nahekam".

​​Die syrische Regierung versucht, die Bevölkerung gegen die internationalen Strafmaßnahmen in Stellung zu bringen und droht den Sanktionssendern mit Vergeltung. Außenminister Muallem ließ kürzlich verlauten, Syrien ziehe sich aus der Union für das Mittelmeer zurück. Die arabischen Sanktionen, gegen die umgehend Massendemonstrationen in der Hauptstadt organisiert wurden, bezeichnete er als "eine wirtschaftliche Kriegserklärung". Auf die türkischen Sanktionen antwortete die syrische Administration mit der Aufkündigung des gemeinsamen Freihandelsabkommens.

Doch einige Maßnahmen offenbaren die Verzweiflung der Regierung. Dazu gehören die Durchhalteparolen, die an die Slogans der 1980er Jahre erinnern, als die syrische Volkswirtschaft einem Staatsbankrott gefährlich nahekam.

Somit scheint klar, dass Syrien auf ökonomischer Ebene bereits jetzt mit großen Problemen zu kämpfen hat und diese werden sich zweifelsohne durch die arabischen Sanktionen noch weiter verschärfen. Allerdings erwarten die wenigsten, dass wirtschaftliche Strafmaßnahmen alleine dazu ausreichen werden, um das syrische Regime zum Einlenken zu bringen oder es gar zu stürzen.

Anja Zorob und Salam Said

© Qantara.de 2011

Anja Zorob ist Juniorprofessorin an der Arbeitsstelle Politik des Vorderen Orients der Freien Universität Berlin.

Salam Said ist syrische Ökonomin. Ihre Studie "Globalisierung und Regionalisierung im arabischen Raum" ist vor Kurzem im Klaus Schwarz Verlag erschienen.

Redaktion: Nimet Seker/Qantara.de