Rufe nach Waffenruhe in Ost-Ghuta werden immer lauter

"Raketen wie Regen": Das syrische Militär soll bei seinem Dauerbombardement auf die Enklave Ost-Ghuta seit Sonntag fast 300 Menschen getötet haben. International wächst das Entsetzen über dessen gnadenloses Vorgehen.

Die Bundesregierung appellierte eindringlich an den syrischen Machthaber Baschar al-Assad und seine Verbündeten Russland und Iran, das "Massaker" in dem Rebellengebiet Ost-Ghuta zu beenden. Assad führe einen "Feldzug gegen die eigene Bevölkerung", sagte Regierungssprecher Steffen Seibert in Berlin. Die Lage der etwa 400.000 eingeschlossenen Menschen in der Enklave sei katastrophal. Die Region am Ostrand von Damaskus zählt zu den letzten größeren Rebellengebieten in Syrien und steht seit 2013 unter Belagerung.

Seibert rief Syriens Verbündete Iran und Russland auf, auf Assad einzuwirken. "Ohne die Unterstützung dieser beiden Verbündeten wäre das Assad-Regime militärisch nicht da, wo es heute ist", sagte er. Regierungstreue syrische Medien meldeten inzwischen, auch russische Flugzeuge flögen Luftangriffe auf Ost-Ghuta. Dagegen bestritt Kremlsprecher Dmitri Peskow, Russland sei am Tod von Hunderten Zivilisten in dem Gebiet beteiligt.

Auch UN-Generalsekretär António Guterres äußerte sich höchst alarmiert und forderte erneut eine Feuerpause. Die Lage für die Zivilisten in Ost-Ghuta sei verheerend, betonte er in einer Erklärung. Mehr als 700 Kranke und Verletzte müssten dringend aus der Kampfzone in Sicherheit gebracht werden. Alle Kriegsparteien, auch die Rebellen, müssten die Grundsätze des humanitären Völkerrechts achten und Zivilisten schonen.

Auch der UN-Syriengesandte Staffan de Mistura warnte vor einem "zweiten Aleppo". Um diese Stadt hatte es 2016 einen monatelangen Kampf gegeben. "Wir haben hoffentlich die Lehren daraus gezogen", sagte de Mistura. Das US-Außenministerium prangerte die "Belagern-und-Aushungern"-Taktik des syrischen Regimes an, die das humanitäre Desaster vor Ort verschlimmere, sagte eine Sprecherin in Washington. Frankreich bezeichnete die Bombardierungen als ernste Verstöße gegen internationale humanitäre Rechte.

Auch die Bundesregierung erinnerte an die Belagerung der Stadt Aleppo im Jahr 2016 und kritisierte vor allem die syrische Armee. "Das Regime enthält den leidenden Menschen dort systematisch Nahrungsmittel vor, Medikamente, medizinische Ausrüstung", sagte Seibert. Ziel sei, "die Rebellen, die dieses Gebiet kontrollieren, zur Aufgabe zu zwingen oder sie zu vernichten". Man müsse fragen, wo Russland und Iran seien, die in der Vergangenheit erklärt hätten, eine Waffenruhe auch in Ost-Ghuta zu garantieren.

Nach Angaben der oppositionsnahen Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte in London wurden in dem Gebiet durch Luftangriffe in drei Tagen fast 300 Zivilisten getötet, darunter mehr als 70 Kinder. Etwa 1.400 Menschen seien verletzt worden. "Die Raketen fallen wie Regen", sagte ein Bewohner Ost-Ghutas der syrischen Zivilschutzorganisation "Weißhelme". Die SOS-Kinderdörfer berichteten, dass auch ihre Mitarbeiter unter Beschuss geraten seien. "Alle sind angewiesen, sich in den Kellern zu verbarrikadieren", berichtet eine Helferin, die nur knapp eine Bombenexplosion überlebte.

In Vorbereitung einer Bodenoffensive haben regierungstreue Truppen ihre schweren Angriffe auf die syrische Rebellen-Enklave Ost-Ghuta fortgesetzt. Nach einer kurzen Kampfpause in der Nacht habe der Beschuss mit Raketen und die Bombardierung des Gebiets am Morgen wieder zugenommen, teilte die Beobachtungsstelle mit. Dabei seien aus Hubschraubern auch Fassbomben abgeworfen worden. Dagegen haben die syrische Armee und Russland erklärt, keine Zivilisten ins Visier zu nehmen. Zudem bestritten sie den Einsatz von Fassbomben, die wegen ihrer verheerenden Sprengkraft und Splitterwirkung von den Vereinten Nationen geächtet sind.

Die syrischen Streitkräfte zielen in dem Rebellengebiet nach Einschätzung der Hilfsorganisation "Adopt a Revolution" auf größtmögliche Zerstörung. "Es geht darum, das Leben dort unerträglich zu machen, ein Inferno zu schaffen", sagte Geschäftsführer Elias Parabo dem Evangelischen Pressedienst. "Momentan kann keiner fliehen." Binnen 24 Stunden seien bei Luftangriffen allein zwölf Krankenhäuser und medizinische Einrichtungen getroffen worden.

Die am Sonntag begonnenen Bombardements von Ost-Ghuta sind Teil einer seit einigen Monaten verstärkten Kriegsführung an mehreren Fronten, mit der von Russland unterstützte Präsident Baschar al-Assad den Sieg in dem fast siebenjährigen Bürgerkrieg erzwingen will. Sie gehören zu den massivsten Angriffen seit Kriegsbeginn.

Ein syrischer Militär-Kommandeur erklärte, die Bombardierung solle verhindern, dass islamistische Milizen von ihrem Gebiet aus Damaskus unter Beschuss nehmen. Nach staatlichen Medienberichten schlugen in Damaskus erneut Granaten aus dem Rebellengebiet ein und verletzten zwei Menschen. Am Dienstag seien durch ähnlichen Beschuss mindestens sechs Menschen getötet worden. (Reuters/dpa/AFP)