Ein politisches Signal setzen

In seinem Essay warnt Aiman Mazyek, Vorsitzender des Zentralrates der Muslime, vor einer Verharmlosung islamfeindlicher Tendenzen und rechtsextremer Gewalt in Deutschland, die den gesellschaftlichen Frieden zunehmend gefährden.

Von Aiman Mazyek

Im Schatten des 11. Septembers konnte in Deutschland ein neuer rechtsgerichteter "homegrown"-Terrorismus entstehen. Selbst eigens geschaffene Antiterrorgesetze griffen nicht mehr, weil man den Rechtsradikalismus zu lange unterschätzt und bisweilen auch strukturell verdrängt hatte.

Nach dem brutalen rechtsextremistischen Terror in Norwegen zeigte sich schließlich auch in Deutschland, dass rechte Terroristen zu den wohl schlimmsten Anschlägen seit dem 2. Weltkrieg in der Lage sind. Dies hat denn auch den Generalbundesanwalt zu der Aussage veranlasst, der NSU-Terror markiere "den 11.September Deutschlands".

Anzeichen für diese bedrohliche Entwicklung hatte es zuvor bereits genug gegeben. Nur hatte man die Gefahr nicht richtig gedeutet und bisweilen auch verdrängt.

Proteste von Muslimen am 11. November 2009 gegen Islamfeindlichkeit und Rassismus nach dem Mord an Marwa El-Sherbini; Foto: AP
Gleichgültigkeit und politische Inkonsequenz am Pranger: Demonstration von Muslimen in Dresden nach dem Mord an der Ägypterin Marwa El-Sherbini am 11. November 2009.

​​Erst jetzt beginnen wir langsam zu begreifen, dass diese Entwicklung durch die Gleichgültigkeit und politische Inkonsequenz nach den Ereignissen von Rostock und Hoyerswerda, Solingen und Mölln, nach dem Brandanschlag in Ludwigshafen und dem Attentat in der Kölner Keupstrasse bis hin zu den vielen rassistischen Morden, wie z.B. an Marwa El-Sherbini, den NSU-Terror begünstigt und gestärkt hatte.

Mindestens 148 Menschen sind in den letzten Jahren in Deutschland durch rassistische und rechtsextreme Gewalt ums Leben gekommen. Es wird daher Zeit, dass Politik und Gesellschaft sich endlich ihre bisherige Unterschätzung und Verharmlosung des rechtsextremen Gewaltphänomens eingestehen und nun nachhaltig dagegen vorgehen.

Profiteure der Islamophobie

Neonazis haben in den vergangenen Jahren in Europa verstärkt von der islamfeindlichen Grundstimmung in der Gesellschaft profitiert – angefangen bei Gert Wilders rechtspopulistischer "Partei für die Freiheit" in Holland, der NPD, der NSU und der rechtsextremen Website "PI", um hier nur einige Beispiele zu nennen. Die Islamangst und das Gespenst der Islamisierung Europas machen die Runde und werden als Eintrittskarte benutzt, um Anhänger zu rekrutieren und Stimmung gegen Juden, Muslime und Andersdenkende zu machen.

Aiman Mazyek; Foto: DW
Aiman Mazyek: "Es müsste endlich der politische Mut aufgebracht werden, die Islamfeindlichkeit und den islamfeindlichen Rassismus bei den Wurzeln zu packen und als offiziellen Tatbestand des Rassismus zu werten."

​​Der verurteile Terrorist Breivik hat sich – ähnlich wie der Mörder der Ägypterin Marwa El-Sherbini – weitestgehend durch islamfeindliche Propaganda im Internet verleiten lassen, darunter auch durch einschlägig bekannte rechtsradikale Webseiten und Pamphlete von bekannten Islamhassern aus Deutschland. Doch bisher werden diese Erkenntnisse vom Verfassungsschutz nur sehr vage erfasst.

Ein NPD-Verbot, so deutlich wir das auch unterstützen, darf zu keiner "Entlastungsdebatte" führen. Nach dem Motto: Wenn erst einmal die NPD verboten wird, ist damit auch der Rassismus beseitigt. Dies wäre eine gefährliche Verharmlosung, die nur dazu führt, die Augen vor dem alltäglichen und strukturellen Rassismus in der Mitte unserer Gesellschaft zu verschließen.

Deswegen brauchen wir einen jährlichen Anti-Rassismusbericht, in dem – ähnlich wie im Bericht des Menschenrechtsbeauftragten der Bundesrepublik – die fortschrittlichen Entwicklungen, aber auch die anhaltenden Gefahren dem Bundestag und der Öffentlichkeit vorgestellt werden, um daraus gesellschaftspolitische Konsequenzen zu ziehen.

Islamfeindlichkeit als Tatbestand des Rassismus

Vor allem aber müsste endlich der politische Mut aufgebracht werden, die Islamfeindlichkeit und den islamfeindlichen Rassismus bei den Wurzeln zu packen und sie als offiziellen Tatbestand des Rassismus zu werten. Dies sind wir nicht zuletzt den Opfern schuldig. Denn Straf- und Gewalttaten gegen Muslime und Moscheebauten haben in den letzten Jahren in Deutschland drastisch zugenommen. Doch weiterhin weigern sich die Bundesregierung und die Sicherheitsbehörden, solche Straftaten gesondert zu erfassen.

Doch wird damit die Dimension der Islamfeindlichkeit verschleiert. Bereits im Rahmen eines Treffens von Spitzenverbänden mit dem Innen- sowie Familienministerium gegen Rechtsextremismus forderte der Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD) vor genau einem Jahr, dass Islamfeindlichkeit als eigenständiger Tatbestand erfasst werden müsste und nicht mehr allein unter die Bezeichnung Fremdenfeindlichkeit fallen dürfe.

Bürger demonstrieren am 04.11.2012 in Berlin mit Plakaten und Transparenten gegen Rassismus; Foto: dpa
Aktion gegen Rassismus und Rechtsradikalismus: Bürger demonstrieren nach der NSU-Mordserie am 4. November 2012 in Berlin mit Plakaten und Transparenten gegen Neofaschismus und Rassismus.

​​Dies muss nun endlich Gehör finden, zumal es nicht nur einen faktischen Vorteil bedeutet, dass solche Straftaten zukünftig besser bekämpft werden können, sondern auch, dass damit ein dringend benötigter gesellschaftlicher Bewusstseinswandel eingeleitet werden könnte.

Gesellschaftliche Risse

Wenn wir nicht bald die Gefahren des Rechtsextremismus und er Islamophobie in unserer Gesellschaft erkennen und etwas dagegen unternehmen, wird genau das passieren, wovor Angela Merkel vor knapp einem Jahr anlässlich der Gedenkveranstaltung für die Opfer rechtsextremistischer Gewalt gewarnt hat: "Wir verdrängen, was mitten unter uns geschieht (…) Gleichgültigkeit hat eine schleichende, aber verheerende Wirkung. Sie treibt Risse mitten durch unsere Gesellschaft", sagte die Kanzlerin.

Weil aber erste Anzeichen dieser Risse nicht mehr zu übersehen sind, machen wir uns nicht zuletzt als deutsche Muslime große Sorgen um unser Land. Denn diese Gleichgültigkeit hinterlässt nicht nur Opfer ohne Namen und Gesichter.

Was fast genauso schwer wiegt, ist die Gleichgültigkeit, die die Stimmen jener erstickt, die die Mehrheit stellen: die Mehrheit der Anständigen in unserem Land, in Zivilgesellschaft, Politik, Medien und Behörden. Geben wir also all jenen wieder ihre Stimme zurück und hoffen wir, dass das Jahr 2013 das Zusammenwachsen unserer Gesellschaft wieder fördert und die entstandenen Risse kittet.

Aiman Mazyek

© Qantara.de 2013

Aiman Mazyek ist seit 2010 Vorsitzender des Zentralrats der Muslime in Deutschland. 2003 gründete er gemeinsam mit Rupert Neudeck die Hilfsorganisation Grünhelme e.V., die ökologische, soziale und religiöse Projekte in früheren Kriegs- und Krisengebieten durchführt.

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de