Ende der Konfrontation?

Vor allem in den islamischen Ländern mit schiitischer Bevölkerung ist die Erleichterung über die Tötung Bin Ladens groß und die Hoffnung, dass fortan die Kluft zwischen Sunniten und Schiiten geringer werden könnte. Birgit Svensson informiert.

Das Versprechen, das Osama bin Laden 2006 gab, als amerikanische Truppen ihm schon einmal auf den Fersen waren, ist jetzt gehalten worden. Er werde als "freier Mann" sterben und sich nicht in amerikanische Gefangenschaft begeben.

Damit spielte er wohl auf das Schicksal Saddam Husseins an, den US-Soldaten in einem Erdloch fanden, wo er sich vor den Fahndern versteckt hielt. Der erbärmliche Anblick ihres allmächtigen Herrschers war für viele Iraker ein Schock und raubte ihnen noch den letzten Respekt für den Diktator.

Dem ist Osama bin Laden durch seinen Tod in Pakistan nach einem Schusswechsel entgangen. Deshalb wird er für viele in der arabischen Welt ein Märtyrer bleiben, einer, der es wagte der Supermacht Amerika nicht nur zu trotzen, sondern sie sogar herauszufordern. Er wurde zum meist gesuchten Mann, zum Schreckgespenst des Westens.

Im Orient dagegen zollte man ihm, zumindest anfangs, einen gewissen Respekt. Als dann immer mehr Muslime und arabische Zivilisten zur Zielscheibe der Attacken von Al Qaida wurden, wendete sich das Blatt. Deshalb wurde die Nachricht über seinen Tod auch dort überwiegend positiv aufgenommen.

Die Hoffnungen der Schiiten

Ein Mann steht in den Trümmern eines Selbstmordanschlags in Sadr City, einem mehrheitlich schiitisch bewohnten Viertel Bagdads; Foto: AP
Hoffen auf ein Ende des Terrors: Vor allem die schiitische Bevölkerung Iraks wurde nach dem Sturz Sadam Husseins zur Zielscheibe von Al-Qaida-Terroristen

​​Besonders in Ländern mit schiitischer Bevölkerung ist die Freude groß und die Hoffnung, dass fortan die Kluft zwischen Sunniten und Schiiten geringer werden könnte. Der fanatische Sunnit bin Laden rief in seinen unzähligen Video-Botschaften auch immer zum Dschihad – zum heiligen Krieg – gegen die schiitischen Muslime auf.

In seinen Augen waren sie genauso Ungläubige wie die Christen. Vor allem im Irak führten dem Aufruf bin Ladens folgenden Bombardierungen sogenannter Husseinijas – Gebetshäuser der Schiiten – zu blutigen Auseinandersetzungen zwischen den beiden islamischen Glaubensrichtungen. In Bagdad wuchs sich diese Konfrontation sogar zu einem vernichtenden Bürgerkrieg zwischen Sunniten und Schiiten aus.

Entsprechend reagiert die irakische Regierung auf den Tod des Al-Qaida-Chefs mit Genugtuung: "Der Terror hat keine Chance" frohlockt der irakische Vize-Premier Rosch Nuri Schaways. "Auch ein bin Laden kann sich nicht für immer verstecken."

Mit dem Tod des Topterroristen werde die Schlagkraft Al-Qaidas nachlassen, prophezeit Schaways im Interview mit Qantara.de. Trotzdem müssten der Irak und auch andere Länder auf der Hut sein. Der Terrorismus werde ohne bin Laden nicht weniger. "Sie werden jetzt versuchen zu zeigen, dass der Tod bin Ladens keinen Einfluss auf ihre Aktivitäten hat." Schaways rechnet aber auf lange Sicht mit einer Spaltung Al-Qaidas.

Im Irak, der neben Afghanistan am meisten unter Al-Qaida und deren Aktivitäten gelitten habe, sind die Zeitspannen zwischen den Anschlägen in den letzten beiden Jahren wesentlich länger geworden. Für Schaways ist dies ein Beweis, dass die Bekämpfung der Terrororganisation erfolgreich ist.

Terror von zwei Seiten

Zwar gäbe es noch vereinzelt Zellen in den Provinzen Anbar und Dijala, nördlich von Bagdad und auch in Mosul, der drittgrößten Stadt Iraks im Norden. Doch gingen die Anschläge der letzten Monate nicht mehr auf das Konto von Al-Qaida, sondern der Baathisten, Mitglieder der inzwischen verbotenen Baath-Partei und Anhänger Saddam Husseins, behauptet der Vize-Premier.

Der Terror im Irak sei von Anfang an von zwei Seiten betrieben worden. Während unmittelbar nach dem Einmarsch der US-Truppen im Frühjahr 2003 der irakische Widerstand sich gegen die Besatzer formierte, rückten internationale Terroristen von Al-Qaida nach, verbündeten sich mit Saddam-Loyalisten und anderen islamisch extremistischen Gruppierungen und gründeten ein Netzwerk mit dem Namen "Islamischer Staat Irak". Ihr Ziel ist es, einen fundamentalistischen Gottesstaat zu errichten. Doch die Mehrheit der Iraker lehnt dies ab.

Keine Mehrheit für den radikalen Islamismus

Auch in anderen Ländern des Nahen und Mittleren Ostens findet die radikale Auslegung des Islam keine Mehrheiten. Nicht Osama bin Laden und seine Terrortruppe hätten die Regime in Tunesien und Ägypten zum Sturz gebracht, sondern eine demokratische Jugendbewegung, kommentiert Wael Ghonem, Mitinitiator des Aufstands in Ägypten und Chef der Bewegung vom Tahrir-Platz in Kairo, den Tod bin Ladens im Interview mit Qantara.de.

Ayman Al-Zawahiri im Jahr 2006; Foto: AP
Im Visier der Terrorfahnder: Bin Ladens rechte Hand, der Ägypter Aiman Al-Zawahiri, gilt bereits seit langem als das eigentliche Hirn des Terrornetzwerkes Al-Qaida.

​​Es sei gut, dass er weg ist. Jetzt rücke wohl sein Stellvertreter nach, Ayman Al-Zawahiri – ausgerechnet ein Ägypter. Ghonem befürchtet, dass dieser wieder Kontakt zu den Muslimbrüdern aufnehmen könnte, wenn sie nach langen Jahren des Verbots nun legitimiert werden und politischen Einfluss bekommen.

Zawahiri gehörte in den 1970er Jahren einer islamistischen Gruppierung in Ägypten an, die enge Verbindungen zu der Bruderschaft hatte. Es sei daher nicht auszuschließen, dass Al-Qaida nach bin Laden neue Wege einschlagen könnte.

Dass die Amerikaner nun ein Kapitel in ihrem Krieg gegen den internationalen Terrorismus und Al-Qaida abgeschlossen hätten, glaubt auch Schriftsteller und Publizist Marwan Bishara, christlicher Palästinenser mit israelischem Pass. Doch sei damit noch lange nicht das Buch des Terrors zu Ende geschrieben.

Eine Idee sterbe nicht so schnell wie ein Mensch. Für den Sprecher der palästinensischen Autonomiebehörde (PLO), Ghassan Khatib, ist mit dem Tod bin Ladens der Weltfrieden zwar ein kleines Stückchen näher gerückt. Das Problem der Gewaltbereitschaft der Menschen in der Region aber bleibe.

Birgit Svensson

© Qantara.de 2011

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de