Eine Show-Bühne für die Angeklagte

Die türkischen Medien haben den Prozessauftakt in München mit großer Aufmerksamkeit verfolgt. Im Mittelpunkt der Berichterstattung stehen vor allem die Gefühle der türkischen Opfer-Angehörigen und die als frech empfundene Haltung der Hauptangeklagten Beate Zschäpe. Einzelheiten von Thomas Seibert aus Istanbul

Von Thomas Seibert

Der Auftritt der Hauptangeklagten Beate Zschäpe im Gerichtssaal A 101 des Münchner Oberlandesgerichts bestimmte am vergangenen Dienstag (07.05.2013) die Titelseiten vieler türkischer Zeitungen. "Nazi-Braut in Hitler-Pose" titelte die Zeitung "Habertürk", neben ein Foto von Zschäpe mit verschränkten Armen platzierte das Blatt eine Aufnahme Hitlers in ähnlicher Haltung.

Auch andere Zeitungen gingen auf das Verhalten der Hauptangeklagten beim Auftakt des Prozesses ein. Die "Hürriyet" bezeichnete Zschäpe auf der Titelseite als "frechen Nazi" und betonte, dass die 38-Jährige dem Gericht und den Angehörigen der NSU-Opfer den Rücken zugewandt habe. Der Verhandlungstag sei zu einer Bühne für die "Show" der Angeklagten geworden.

"Tiefen Hass gespürt"

Zschäpes Auftritt vor Gericht habe die Angehörigen der acht türkischen NSU-Opfer im Saal aufgewühlt, berichteten die Zeitungen. Dilek Özcan, Tochter des 2006 in Nürnberg erschossenen Ismail Yasar, wurde von "Sabah" und anderen Publikationen mit den Worten zitiert, sie habe beim Anblick Zschäpes gezittert und einen "tiefen Hass gespürt".

Beate Zschäpe, Hauptangeklagte im NSU-Prozess; Foto: Reuters
"Die Nazi-Braut in Hitler-Pose": Das Auftreten der Hauptangeklagten Beate Zschäpe stieß zu Beginn des NSU-Prozesses bei Nebenklägern und türkischen Medien auf scharfe Kritik.

​​Unter Tränen habe Özcan jedoch hinzugefügt, sie sei sicher, dass Zschäpe ihre gerechte Strafe erhalten werde.

Andere Angehörige der Opfer lenkten den Blick auf die vielen offenen Fragen beim Prozess. So sagte Semiya Simsek, Tochter des Mordopfers Enver Simsek, sie wolle wissen, warum die Neonazis ausgerechnet ihren Vater als Opfer ausgesucht hätten. Ihr Vertrauen in die Bundesrepublik sei durch die Morde zerstört worden, zitiert unter anderem die Zeitung "Vatan".

Diese bevorstehende Aufklärungsarbeit des Gerichts beschäftigt die türkische Presse besonders intensiv: Die Zeitung "Milliyet" bezeichnet das Verfahren als "Deutschlands Nazi-Prüfung". Doch bereits vor dem Prozess wurden Zweifel daran geäußert, dass die deutsche Justiz diese Aufgabe bewältigen wird.

Ayhan Sefer Üstün, Vorsitzender des Menschenrechtsausschusses im türkischen Parlament, der mit fünf Kollegen zum Prozessauftakt reiste, betonte vor türkischen Journalisten in München die Hoffnung auf ein gerechtes Urteil - trotz der bereits zu Beginn sichtbar gewordenen Verzögerungstaktik der Verteidigung. "Das erwarten wir, und wir werden weiter genau hinschauen."

Nicht alle türkischen Beobachter waren so aufgeschlossen. Mahmut Tanal, Politiker der säkularen Oppositionspartei CHP und Mitglied in Üstüns Delegation, forderte die Entfernung des Kruzifixes aus dem Gerichtssaal. Das christliche Symbol sei eine "Bedrohung" für alle Nicht-Christen und widerspreche den Prinzipien des säkularen Rechtsstaates, sagte er.

"Der deutsche Ergenekon"

Erster Tag im NSU-Prozess in Müchen, Foto: dpa/picture-alliance
Langes Warten auf Gerechtigkeit: Der rechtsextremistischen Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) werden in den Jahren 2000 bis 2007 insgesamt zehn Morde zur Last gelegt. Die Opfer waren überwiegend türkischstämmig.

​​Die bevorstehende Prüfung für den deutschen Rechtsstaat erinnerte einige türkische Beobachter an Zustände im eigenen Land. Die Zeitung "Star" verglich den NSU-Prozess mit dem Verfahren gegen die rechtsnationalistischen Mörder des armenischstämmigen türkischen Journalisten Hrant Dink.

Die Hauptverdächtige Zschäpe habe sich ähnlich selbstbewusst präsentiert wie Dinks Mörder Ogün Samast - der nach Überzeugung der Dink-Anwälte angeblich auch willige Helfer im türkischen Staatsapparat hatte.

Erdal Safak, Chefredakteur der regierungsnahen Zeitung "Sabah", deren deutscher Ableger die Zulassung türkischer Medien beim Prozess vor dem Karlsruher Bundesverfassungsgericht erstritten hatte, zog ebenfalls einen Türkei-Vergleich. In München gehe es um den deutschen "tiefen Staat", betonte Safak. Als "tiefer Staat" wird in der Türkei die Verflechtung von rechtsgerichteten Kräften im Staat und Gewalttätern bezeichnet.

Mitglieder des rechtsnationalen Geheimbundes "Ergenekon", die derzeit in der Türkei vor Gericht stehen, werden von der türkischen Regierung als Vertreter des "tiefen Staats" gesehen, die gegen die gewählten Politiker putschen wollten. Aus diesem Grund müssten türkische Verbände auch weiterhin den NSU-Prozess sehr genau beobachten, forderte Safak: Schließlich stehe in München "der deutsche Ergenekon" vor Gericht.

Thomas Seibert

© Deutsche Welle 2013

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de