In den Fängen des Assad-Clans

Der Assad-Clan herrscht in Syrien uneingeschränkt. Im Familienrat haben sich nun offenbar die reformfeindlichen Hardliner durchgesetzt. Zu denen gehört auch Maher al-Assad: Der Bruder des Präsidenten ist wegen seiner Grausamkeit gegenüber Oppositionellen gefürchtet. Von Rudolph Chimelli

Von Rudolph Chimelli

"Maher, du Feigling, schick deine Truppen auf den Golan!", riefen die Einwohner der syrischen Stadt Deraa, als Soldaten der vierten Panzerdivision ihre Proteste niederschlugen. Maher ist ein jüngerer Bruder von Präsident Baschar al-Assad und Kommandeur dieser Elitetruppe. Da sie nur aus Alawiten besteht, jener schiitischen Minderheit, der auch die Präsidentenfamilie angehört, ist sie wegen ihrer Loyalität zu deren Schutz am besten geeignet. Konfrontation mit der israelischen Armee auf den besetzten Golanhöhen ist nicht primär ihre Aufgabe.

Auch die auf 10.000 Mitglieder geschätzte Miliz der "Jungen Männer", die Schabbiha, die Regimegegner drangsaliert, seit sich die Unruhen von Deraa im Süden auf andere Teile des Landes ausgeweitet haben, steht Maher nahe. Sie wird gleichfalls in den alawitischen Bergen des Nordwestens rekrutiert.

Hardliner gegen Reformer

Maher al-Assad (rechts) und Assef al-Schaukat (links); Foto: AP
Vom Volk wegen seiner Brutalität gefürchtet: Viele Syrer machen mehr Maher al-Assad (Mitte) als den Präsidenten für die harsche Unterdrückung der Protestbewegung verantwortlich.

​​Einige Anzeichen sprechen dafür, dass sich die Vertreter der harten Linie im Präsidentenclan gegen die Befürworter vorsichtiger Reformen durchgesetzt haben. Die Entscheidung, so behaupten gut informierte Quellen, sei Ende März in einem erweiterten Familienrat der Assads gefallen - und der Staatschef habe sich ihr angeschlossen. Die einzige Rede, die er seit Ausbruch der Unruhen hielt, hörte sich wie ein Resultat dieses Ringens an.

Baschar al-Assad setzte sich dazu nicht feierlich vor Fahnen in Positur, wie arabische Staatsoberhäupter dies tun, wenn sie sich an die Nation wenden. Er sprach vielmehr im Plauderton vor dem unbedeutenden Parlament, lachte gelegentlich über seine Scherze und erwähnte Reformen nur in abstrakter Form, wie er dies schon bei seinem Amtsantritt vor bald elf Jahren getan hatte.

Wie eine bloß kosmetische Korrektur wirkte es auf Unzufriedene, dass danach das Schleierverbot für Lehrerinnen aufgehoben wurde und einige hunderttausend staatenlose Kurden die syrische Staatsbürgerschaft verliehen bekamen.

An weiteren Indizien für einen Richtungskampf im Regime fehlt es nicht. So veröffentlichte die offizielle Nachrichtenagentur Sana im März den Text einer Verordnung des Präsidenten über eine Amnestie für politische Häftlinge. Zwei Stunden später wurde die Meldung zurückgezogen - "zur Überarbeitung" -, erschien jedoch nie mehr.

Proteste gegen die Regierung in Daraa im April 2011; Foto: AP
Wichtiger Etappensieg der Protestbewegung oder nur politische Augenwischerei des Assad-Clans? Nach rund 48 Jahren hat die syrische Führung inzwischen die Aufhebung der Notstandsgesetze in Aussicht gestellt.

​​In einem Interview mit dem Fernsehsender al-Arabija, der in saudischem Besitz ist, sagte die Chefredakteurin der staatlichen Zeitung Tishreen, Samira Masalmeh, die Todesschützen von Deraa müssten zur Verantwortung gezogen werden. Sie berief sich auf das von Assad verkündete Verbot von Gewalt gegen Demonstranten. Prompt wurde die Journalistin abgesetzt.

Umgekehrt hatte das Informationsministerium eines Morgens die Verbreitung einer Nummer der Zeitung al-Watan verboten. Ihr Chefredakteur hatte die Getreuen des Regimes pathetisch aufgerufen, den "bewaffneten Gruppen" der Opposition überall entgegenzutreten, "auf der Straße, in den Moscheen, in Cafés, im Internet". Am Nachmittag war die Zeitung wieder zu haben. Sie gehört dem Oligarchen Rami Makhlouf, einem Vetter des Präsidenten, der einen großen Teil der syrischen Wirtschaft beherrscht. Für Kritiker ist er die prominenteste Symbolfigur für die Verfilzung politischer Macht mit finanziellen Interessen. Er wird dem harten Flügel zugerechnet.

Doch wichtiger als er ist Assef Schaukat, Generalstabschef und Geheimdienst-Chef. Vor allem aber ist Schaukat mit Buschra verheiratet, der Schwester des Präsidenten. Sie war das Lieblingskind von Präsident Assad senior, und die Romanze der jungen Pharmazeutin mit dem zehn Jahre älteren Offizier, der aus erster Ehe schon Kinder hatte, stieß bei den Assads auf heftigen Widerstand. Viermal ließ Buschras Bruder Basil, den der Vater zum Nachfolger ausersehen hatte, den Bewerber einsperren. Doch Basil kam bei einem Autounfall ums Leben, und Schaukat gelang es, seine Geliebte zu entführen und zu heiraten.

Streits werden bisweilen mit Waffengewalt gelöst

Demonstration gegen Baschar al-Assads in Damaskus; Foto: AP/dapd
Für ein Ende des Machtmonopols der Assads: Am vergangenen Sonntag (17.4.) waren erneut Zehntausende Syrier im ganzen Land auf die Straße gegangen, um gegen das autoritäre Regime zu protestieren.

​​Als der Augenarzt Baschar al-Assad aus London heimkehrte, um zum Nachfolger gedrillt zu werden, freundete sich Schaukat mit ihm an. Er machte rasch Karriere und galt zeitweise als stärkster Mann Syriens. Nur durch zwei Pannen wurde seine Stellung vorübergehend angekratzt: Er wusste zu wenig über den israelischen Luftangriff auf eine vermutete Atomanlage im Norden Syriens, und er konnte es nicht verhindern, dass Imad Mughnijeh, der Sicherheitschef der libanesischen Hisbollah-Bewegung, im Jahre 2008 durch eine Autobombe in Damaskus getötet wurde. Einmal schoss Maher al-Assad bei einem privaten Streit Schaukat in den Bauch. Aber die beiden sind längst versöhnt.

Der deutsche Ermittler Detlev Mehlis verdächtigte sowohl Maher als auch Schaukat, den Mord am einstigen libanesischen Premier Rafik al-Hariri angestiftet zu haben.

Auch Maher war einst als Nachfolger seines Vaters im Gespräch, soll aber von diesem als "zu impulsiv" verworfen worden sein. Viele Syrer fürchten ihn wegen seiner Brutalität und machen mehr ihn als den Präsidenten für die harsche Unterdrückung der Protestbewegung verantwortlich.

Menschenrechtsgruppen besitzen ein Video, das ihn nach der Niederschlagung einer Revolte im Gefängnis von Sednaia nahe Damaskus zeigt, die er im Jahre 2008 befehligt hatte. Maher al-Assad schreitet durch die Trümmer und macht mit seinem Mobiltelefon Aufnahmen der grässlich verstümmelten Körper politischer Häftlinge.

Rudolph Chimelli

© Süddeutsche Zeitung 2011

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de