Kleines Königreich vor großen Problemen

Besorgt blickt die Welt derzeit auf die Gewalteskalation in Syrien. Doch auch im benachbarten Jordanien droht die anhaltende Wirtschaftsmisere in eine politische Krise umzuschlagen. Der Unmut der Bevölkerung wächst, und die Stimmen gegen den Monarchen werden immer lauter. Nader Alsarras berichtet.

Von Nader Alsarras

Von den Umwälzungen des Arabischen Frühlings blieb auch das kleine Jordanien, das bisher als eines der stabilsten Regime im Nahen Osten galt, nicht verschont. Obwohl es dort zu bislang zu keinem Sturz des regierenden Könighauses gekommen ist, erlebt das Land seit dem Beginn des Arabischen Frühlings zum Teil heftige Proteste gegen steigende Lebensmittel- und Energiepreise, gegen die wachsende Armut, Arbeitslosigkeit und die immer größer werdende Lücke zwischen Arm und Reich.

König Abdullah II. geriet unter Zugzwang: Seit Februar 2011 tauschte er gleich viermal die Regierung aus und versprach umfassende Reformen. Doch immer wieder riefen die Muslimbrüder zu Protesten nach den Freitagsgebeten auf und demonstrierten gegen die immensen Preissteigerungen und für soziale Gerechtigkeit. Vor allem aber protestierten sie gegen die in ihren Augen unfähige Regierung, die die gravierenden wirtschaftlichen Probleme des Landes nicht in den Griff bekommt. Denn das chronische Defizit in der Staatskasse ist inzwischen auf vier Milliarden US-Dollar gestiegen – ein gewaltiges Problem für das kleine arabische Land.

Die Regierung versucht, die Löcher in der Staatskasse mit weiteren Preiserhöhungen zu stopfen. Anfang September beschloss sie, die Preise für Treibstoff um bis zu 10 Prozent mit sofortiger Wirkung zu erhöhen.

Protest gegen das jordanische Königshaus in Amman; Foto: dpa
"Genug ist genug!": Die Proteste in Jordanien richten sich gegen die Erhöhung der Lebensmittel- und Treibstoffpreise sowie gegen die Verschleppung demokratischer Reformen.

​​Der Protest ließ nicht lange auf sich warten: Hunderte Demonstranten, hauptsächlich Muslimbrüder, gingen daraufhin in der Hauptstadt Amman und in anderen Städten auf die Straße und forderten lautstark die Absetzung der Regierung von Fayez Altarawnah. Der Unmut der Straße richtete sich aber auch gegen den König, dessen Herrschaft im 6,2 Millionen Einwohner zählenden Königreich als unantastbar, als "rote Linie" gilt.

Punktsieg für die Muslimbrüder

Die Muslimbrüder, die sich in der Partei "Islamische Aktionsfront" organisiert haben, geben nicht nur der Regierung die Schuld für das Rekorddefizit im Staatshaushalt. Sie werfen dem König vor, die Korruption nicht entschieden genug zu bekämpfen. Stattdessen komme dieser nur den Forderungen der Weltbank nach. Die Preiserhöhung auf Benzin und Diesel sei eine Reaktion Jordaniens auf die Forderung der Weltbank, staatliche Subventionen zu reduzieren. Die Regierung gehorche externen Einflüssen, doch die wahre Legitimität liege beim Volk, sagte kürzlich ein hoher Parteifunktionär der Muslimbruderschaft auf einer Demonstration in Amman.

Das Regime hat die zunehmende Protestwelle bisher zwar geduldet. Doch darf der Herrschaftsanspruch des Monarchen keinesfalls in Frage gestellt werden. Umso erstaunlicher waren die Parolen, die die Demonstranten vor kurzem in der Stadt Tafila (180 Kilometer südlich von Amman) und in der Hauptstadt skandierten. Es waren Parolen, die sich gegen den König und seine palästinensisch-stämmige Ehefrau Rania richteten und somit die "rote Linie" deutlich überschritten. Die Sicherheitskräfte lösten die Demonstrationen daraufhin sofort mit Tränengas auf und verhafteten mehrere Aktivisten.

König Abullah II.  von Jordanien; Foto: AP
Die "roten Linien" deutlich überschritten: König Abdullah II. ließ trotz friedlicher Proteste gegen seine Führung Tränengas gegen Demonstranten einsetzen.

​​Diese neue Dimension des Protests in Jordanien erinnert an die Anfänge des Arabischen Frühlings im nordafrikanischen Tunesien. Dort entwickelte sich die anfängliche Protestwelle gegen Arbeitslosigkeit, Korruption und soziale Ungleichheit rasch zu einer Massenbewegung, die den Langzeitdiktator Ben Ali in die Flucht schlug und den demokratischen Wandel im Land bewirkte.

Ob sich die Ereignisse in Jordanien ähnlich entwickeln, ist unklar. König Abdullah II. scheint aber dennoch die Gefahr erkannt zu haben, die vom schwelenden Unmut innerhalb der Bevölkerung und dem von den Muslimbrüdern angeführten Protest gegen die staatliche Wirtschaftspolitik ausgeht. Schon zwei Tage nach dem Inkrafttreten der Preiserhöhung für Treibstoff ließ der König diese wieder rückgängig machen.

Fehlende Wirtschaftskonzepte

Der Forderung, die Regierung zu entlassen, kam der König allerdings nicht nach. Experten bezweifeln jedoch, ob auch eine neu eingesetzte Regierung in der Lage wäre, die gravierenden wirtschaftlichen Probleme des Landes in den Griff zu bekommen. "Es hilft nicht, auf kurzfristige Lösungen zu setzen und nur die Wachstums- und Defizitzahlen für eine kurze Zeit zu verbessern", sagt Ahmad Awad vom "Phenix Centre for Economic and Informatic Studies" in Amman. Die jordanische Wirtschaft, so der Wirtschaftswissenschaftler, brauche eine nachhaltige Wirtschaftspolitik, die Jobs und gerechte Löhne schaffe und so die wachsende Armut im Land bekämpfe.

Marouf al-Bakhit; Foto: AP
Im Kreuzfeuer der Kritik: Auf dem Höhepunkt der Proteste des Arabischen Frühlings hatte Jordaniens König im Januar 2011 seinen umstrittenen Ministerpräsidenten Samir Rifai entlassen. Nachfolger wurde Marouf al-Bakhit, der kurz darauf zurücktrat.

​​Jordaniens schwächelnde Wirtschaft könnte sich zwar durch eine Finanzspritze aus den reichen Golfstaaten schnell wieder erholen. Helfen könnte auch der Kredit über zwei Milliarden Dollar, den die Weltbank an Jordanien auszahlen würde, wenn das Königreich bis 2014 staatliche Subventionen auf Grundnahrungsmittel und Energie abschafft.

Dass das aber keine dauerhafte Lösung ist, glaubt auch der Wirtschaftsberater Yusuf Mansur. "Um aus der Misere herauszukommen, braucht das Land eine erkennbare Linie in seiner Wirtschaftspolitik. Es hilft nicht, wenn der Wirtschaftsminister alle paar Monate ausgetauscht und jedes Mal die Wirtschaftspolitik der Regierung auf den Kopf gestellt wird." Man brauche in Jordanien eine stabile, vom Volk gewählte Regierung und eine starke parlamentarische Opposition.

Im Schatten des Arabischen Frühlings

Derzeit deutet allerdings nichts darauf hin, dass die Regierung in Amman ernsthafte Versuche unternimmt, das Land dauerhaft aus der Krise herauszuführen.

Die dramatischen Entwicklungen in den Nachbarländern macht alles noch schlimmer. Experten warnen vor steigender Arbeitslosigkeit, vor allem unter Jungendlichen. Sie schätzen die tatsächlichen Zahlen der Arbeitslosen viel höher ein als die offiziellen Zahlen von etwa 13 Prozent im Jahr 2011 glauben machen.

Syrische Flüchtlinge im jordanischen Lager Dneibe Zaatari; Foto: Doris Bulau
Flüchtlingselend in Nordjordanien: Viele Jordanier sehen ihr Land aufgrund der anhaltenden Wirtschaftskrise nicht in der Lage, die wachsende Zahl von Flüchtlingen aus Syrien aufzunehmen. Nach Angaben der jordanischen Regierung flohen insgesamt bislang rund 200.000 Menschen vor der Gewalt in Syrien nach Jordanien.

​​Viele Jordanier haben deshalb Angst um ihre Arbeitsplätze und sehen ihr Land daher auch nicht in der Lage, die wachsende Zahl von Flüchtlingen aus Syrien aufzunehmen.

Der Arabische Frühling habe, darin sind sich die Experten Awad und Mansur einig, Jordanien wirtschaftlich eher geschadet. Die instabile Sicherheitslage in der Region ließ die ausländischen Investitionen in Jordanien im vergangenen Jahr um 60 Prozent zurückgehen. Das macht sich in dem vom Ausland stark abhängigen und rohstoffarmen Jordanien bemerkbar, zumal die Investitionen auch im Jahr 2010 ohnehin relativ niedrig waren.

Aus dieser Situation können die Muslimbrüder momentan großes politisches Kapital schlagen. Ihre Protestwelle konnte immerhin die Preiserhöhungen stoppen, was ihnen breiten Zuspruch in der Bevölkerung einbringt. Dieser Zuspruch bestärkt sie in ihrem Bestreben, trotz der weitgehenden politischen Befugnisse des Königs, an politischem Einfluss zu gewinnen und grundlegende Verfassungsreformen durchzusetzen. Sie wollen jetzt die für Ende des Jahres angesetzten Parlamentswahlen boykottieren. So gesehen scheinen die Muslimbrüder zu versuchen, ihren kleinen jordanischen Frühling auf den Weg zu bringen.

Nader Alsarras

© Qantara.de 2012

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de