''Wir in Bahrain müssen uns opfern''

Trotz massiver Kritik und tagelanger Demonstrationen hat das Formel-1-Rennen in Bahrain wie geplant stattgefunden. Kersten Knipp sprach über die Situation mit dem Menschenrechtsaktivisten Nabil Rajab.

Von Kersten Knipp

Warum waren Sie und das bahrainische Volk gegen das Formel-1-Rennen?

Nabil Rajab: Die Regierung ist aufgrund der von ihr begangenen Verbrechen international isoliert. Die Formel 1 ist der Sport der herrschenden Elite. Sie nutzt sie aber auch als PR-Instrument, um der Isolation zu entkommen.

Die Formel 1 sollte den repressiven Diktatoren zu diesem Zweck nicht die Hände reichen. Vor allem für diejenigen Regimegegner, die verhaftet und gefoltert wurden, ist das schwer erträglich. Denn ein Gebäude an der Rennstrecke wurde als Folterzentrum genutzt. Und die Hälfte der einheimischen Mitarbeiter der Rennstrecke wurde ins Gefängnis gesteckt. Auch sie wurden dort von Sicherheitskräften gefoltert.

Die Formel 1 kommt zu einem Zeitpunkt, zu dem Menschen auf der Straße getötet werden. In einer der letzten Nächte wurden viele Menschen durch Kugeln verwundet, als die Regierung die Straße zu räumen und die Demonstranten von der Formel-1-Strecke fernzuhalten versuchte.

Nabil Rajab; Foto: Reuters
Nabil Rajab: "Man kann ein Land nicht mehr wie vor 200 Jahren regieren: Eine einzige Familie hat die gesamte Kontrolle über Wirtschaft, Politik, Kultur – über alles"

​​Aus dem gleichen Grund hat die Regierung in den letzten Tagen mehr als hundert Menschen verhaftet, nur um die Formel-1-Strecke freizuhalten.

Ihr Freund und Kollege Abudlhadi al-Khawadscha befindet sich seit über zwei Monaten im Hungerstreik, nachdem er von einem bahrainischen Gericht wegen "Organisation und Führung einer terroristischen Organisation" zu lebenslanger Haft verurteilt wurde. Was wissen Sie über seinen derzeitigen Zustand?

Rajab: Abudlhadi al-Khawadscha wird in den nächsten Tagen sterben. Er stirbt, und die internationale Gemeinschaft schweigt. Er stirbt, und das Formel-1-Rennen schreitet voran.

In deren Umfeld kümmert man sich nicht um die Verletzungen der Menschenrechte in Bahrain. Darum appelieren wir an die internationale Gemeinschaft, ihre Stimme zu erheben, damit Al-Khawadscha das Land verlassen darf. Ansonsten wird er sein Leben verlieren – und wir unseren Lehrer in Sachen Menschenrechte in der Golf-Region.

Es scheint als stünden bei dem Konflikt weniger religiöse als vielmehr politische soziale und wirtschaftliche Fragen im Zentrum. Wie sehen Sie das?

Rajab: Es ist eine politische Auseinandersetzung – es hat nichts mit Religion zu tun. Sicher, die Regierung in Bahrain versucht die religiöse Karte zu spielen, um sich die Unterstützung der Sunniten zu sichern. Doch tatsächlich geht es um politische Fragen: um Demokratie, Gerechtigkeit, Gleichheit und Freiheit. Die Menschen wollen Demokratie, sie wollen ein machtvolles Parlament und eine gewählte Regierung.

Solidaritätsdemo für Abdulhadi Al-Khawadscha in der Nähe von Manama; Foto: dpa
Solidarität mit Abdulhadi Al-Khawadscha: Seit über 60 Tagen befindet sich der bahrainische Dissident im Hungerstreik

​​Bedenken Sie nur, dass der jetzige Premierminister sein Amt seit 42 Jahren innehat. Es dreht sich also nicht um Religion – Religion wird lediglich vom Regime benutzt, um die Sunniten auf die Linie des Regimes zu bringen.

Was sind Ihre zentralen Forderungen?

Rajab: Mir geht es um Menschenrechte, um Gerechtigkeit und Freiheit. Die politischen Institutionen sollten internationale Standards erreichen. Die internationale Menschenrechtskonvention muss eingehalten werden. Wir wollen dieselbe Art von Demokratie, die auch Sie im Westen haben, dieselbe Art von Freiheit und Gerechtigkeit.

Was bedeutet das für das politische System? Haben Sie Vorschläge für eine Reform des Staates und seiner Institutionen?

Rajab: Die Regierung muss vom Volk gewählt werden – entweder direkt oder durch ein gewähltes Parlament. Das Parlament muss die Legislative innehaben und über deren Anwendung wachen können. Unsere Gesetze müssen an internationale Standards angepasst werden.

Man kann ein Land nicht mehr wie vor 200 Jahren regieren: Eine einzige Familie hat die gesamte Kontrolle über Wirtschaft, Politik, Kultur – über alles. Die Bevölkerung muss beteiligt werden. Reichtum und Wohlstand müssen auf eine faire Art verteilt werden. Sie dürfen nicht einer einzigen Familie zufließen, während der Großteil der Bevölkerung einen sehr niedrigen Lebensstandard hat.

Wie schützen Sie sich und die Bevölkerung vor dem Regime?

Rajab: Leider gibt es keinen Schutz. Wir vertrauen uns dem Schicksal an. Aber wir müssen das tun, sonst wird es keine Veränderungen geben. Wir müssen Opfer bringen. In einem einzigen Jahr sind mindestens 80 Menschen getötet worden.

Proteste gegen Formel-1-Rennen in Manama; Foto: DW
Widerstand gegen Profilierungsprojekt des bahrainischen Regimes: Im letzten Jahr musste das Formel-1-Rennen in Bahrain abgesagt werden, nachdem bei der brutalen Niederschlagung der Proteste der schiitischen Bevölkerungsmehrheit mit Unterstützung Saudi-Arabiens und der Vereinigten Arabischen Emirate zahlreiche Menschen getötet worden waren.

​​Tausende sind verwundet, Hunderte haben ihr Leben verloren. All diese Menschen haben ihr Leben für die Demokratie geopfert, für eine bessere Zukunft für unsere Kinder und die kommenden Generationen. Doch Schutz gibt es nicht. Aber das müssen wir hinnehmen, denn sonst kommt es zu keinen Veränderungen in Bahrain. Wir müssen uns opfern.

Was erwarten Sie vom Westen?

Rajab: Die westlichen Länder müssen verstehen, dass wir für gemeinsame Ziele streiten – die gleichen Werte und Prinzipien die der Westen in hunderten Jahren errungen hat. Mit Ihnen haben wir mehr Gemeinsamkeiten als mit diesen Diktatoren. Die westlichen Regierungen sollten Öl und Waffen nicht höher bewerten als Menschenrechte. Sie sollten vielmehr jene unterstützen, die sich für Menschenrechte in diesem Teil der Welt einsetzen und endlich damit aufhören, die ölreiche Golfregion mit Ländern wie Bahrain und Saudi-Arabien mit zweierlei Maß zu messen.

Kersten Knipp

© Deutsche Welle 2012

Nabil Rajab ist Menschenrechtsaktivist und Präsident des "Bahrain-Zentrums für Menschenrechte". Zudem leitet er die Afrika- und Nahost-Abteilung von "Human Rights Watch". Seit Beginn der Proteste in Bahrain im Frühjahr 2011 wurde er mehrfach kurzzeitig verhaftet.

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de