Mehr Farbe für Deutschlands Medienlandschaft

Die Vielfalt der deutschen Einwanderungsgesellschaft findet sich in der Medienwelt noch immer nicht wieder. Kaum ein anderes Land in Europa hat so wenig Medienschaffende mit Migrationshintergrund wie Deutschland. Die Initiative "Neue deutsche Medienmacher" will das nun ändern. Sophie Schabarum stellt sie vor.

Von Sophie Schabarum

Massenmedien in Deutschland sehen sich häufig dem Vorwurf ausgesetzt, undifferenziert oder gar bisweilen populistisch über die Realität der Migranten und deren Integration zu berichten. Die kontroverse Debatte über die kürzlich erschienene Islam-Studie Lebenswelten junger Muslime führte das erneut vor Augen.

Daher stellt sich die Frage, ob ein erhöhter Anteil von Medienschaffenden mit Migrationshintergrund Abhilfe schaffen und zu einer ausgewogenen Berichterstattung beitragen könnte.

Derzeit herrscht allerdings eine klare Unterrepräsentanz der hier lebenden Migranten in der Medienwelt: In fast keiner anderen Branche arbeiten so wenige Migranten wie im Journalismus. So hat etwa jeder fünfzigste Journalist einen Migrationshintergrund – in der Gesamtbevölkerung ist es mittlerweile jeder Fünfte.

Sheila Mysorekar, Erste Vorsitzende der Neuen Deutschen Medienmacher; Foto: DW
"Migranten stellen ein Fünftel der Bevölkerung dieses Landes", stellt Sheila Mysorekar klar und fordert eine angemessene Repräsentanz aller Menschen in den Medien.

​​Der Zusammenschluss verschiedener Journalisten, Wissenschaftler und Medienexperten in dem Verein "Neue deutsche Medienmacher" möchte das ändern. Mehr Vielfalt in den Medien, lautet das Motto des jungen Projekts.

Die Ziele der neuen Initiativen sind klar: "Wir wollen mehr Kolleginnen und Kollegen mit Migrationshintergrund nicht nur vor und hinter der Kamera und dem Mikrofon und an den Redaktionstischen, sondern auch in den Planungsstäben, Führungsetagen und Aufsichtsgremien. Wir wollen mehr Journalisten, Ressortleiter, Chefredakteure, Bildredakteure und Kameramänner und –frauen mit Migrationshintergrund", erklärt die langjährige Journalistin Sheila Mysorekar. Sie hat die "Neuen deutschen Medienmacher" im Jahr 2008 mitgegründet und ist heute deren Erste Vorsitzende.

Gegen Diskriminierung und Stereotypisierung

Inzwischen hat die Initiative mehr als vierhundert aktive Unterstützer, darunter bekannte Gesichter wie die Fernsehmoderatorin Dunja Hayali, die Herausgeberin des "Gazelle"-Magazins Sineb El Masrar und den Journalistikprofessor Ulrich Pätzold.

Die Anliegen der Initiative sind verständlich. Denn kaum etwas prägt unsere Wahrnehmung und Meinungsbildung so stark wie die Medien. Deshalb möchten die "Neuen deutschen Medienmacher" zum einen den Nachwuchs fördern und so den Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund in den deutschen Medien erhöhen.

Dafür beteiligen sie sich an journalistischen Ausbildungsgängen und bieten Mentoringprogramme für junge Journalisten mit Migrationshintergrund an. Zum anderen setzen sich die Initiatoren der "Neuen deutschen Medienmacher" auch für eine sensiblere Berichterstattung ein, die der gesellschaftlichen Vielfalt Rechnung trägt.

Ein Beispiel: Auf die vor kurzem von einigen Medien als sogenannte "Dönermorde" bezeichneten Anschläge von Rechtsterroristen in Deutschland reagierten die neuen Medienmacher, indem sie klarstellten, dass dieser Begriff nicht nur verharmlosend und rassistisch sei, sondern die Ereignisse schlicht falsch darstelle. Sie veröffentlichten daraufhin kurzerhand eine "Formulierungshilfe für die Berichterstattung".

Eingesperrt in der Unterschicht

Der Medienwissenschaftler Daniel Müller sieht die Gründe für die Unterrepräsentanz von Migranten in der deutschen Medienwelt hauptsächlich in strukturellen und sozialen Ungleichheiten in der Gesellschaft. Er ist Vorstandsmitglied der internationalen "Media of Diaspora Research Group" und beschäftigt sich seit langem mit der Anwesenheit und Darstellung von Migranten in den Medien.

Besonders das deutsche Bildungssystem beurteilt Müller kritisch: "Wir haben, siehe PISA, fast schon Tendenzen einer Kastenbildung, und die Migranten sind hier vielfach in der Unterschicht eingesperrt, mit sehr schlechten Aufstiegschancen."

Dunja Hayali; Foto: AP
Sie hat es geschafft: ZDF-Moderatorin Dunya Hayali ist eine der wenigen erfolgreichen Journalistinnen mit nichtdeutschen Wurzeln.

​​Damit wird deutlich, dass eine Kritik am Zustand der Medien immer auch mit einer Gesellschaftskritik verbunden ist. Das Problem der mangelnden Teilhabe bestimmter Menschen an der Gesellschaft liegt in erster Linie an der sozialen Herkunft. Egal welcher Nationalität sie angehören – Menschen aus unteren sozialen Schichten haben es in Deutschland schwer.

Zwar haben die "Neuen deutschen Medienmacher" bisher keine konkrete Forderung nach einer Migrantenquote gestellt, aber: "Wir sind der Ansicht, dass die Bevölkerung entsprechend ihrer Zusammensetzung in allen Berufen repräsentiert sein soll. Das gilt für das Verhältnis Frauen-Männer in den Medien ebenso wie für einen adäquaten Prozentsatz von Migranten, die ja schließlich ein Fünftel der Bevölkerung dieses Landes stellen", sagt die Vorsitzende Sheila Mysorekar im Interview mit Qantara.de.

Quotierung als sozialer Sprengstoff?

Die Wogen, die eine Diskussion um eine Quoteneinführung schlagen kann, sind aus den Debatten um eine Frauenquote hierzulande hinreichend bekannt. Auch Fragen und Vorbehalte sind stets die gleichen: Sollte nicht ausschließlich die Qualifikation berücksichtigt werden? Wie gerecht würde eine solche Bevorzugung bestimmter Menschen dem Prinzip der Gleichbehandlung in einer Demokratie?

Ebenso legitim ist aber der Verweis auf das Demokratiedefizit einer Gesellschaft, die sich demokratisch nennt, in der aber hauptsächlich deutsche Männer das Sagen haben.

Daniel Müller sieht bei der Einführung einer Migrantenquote einen anderen problematischen Aspekt, nämlich die Bestätigung bestehender Vorurteile, die eigentlich abgebaut werden sollen: "Durch die Quote setzt man eher das Signal: Auf Leistungsbasis können die es eh zu nichts bringen. Das ist langfristig vielleicht sogar der gefährlichere soziale Sprengstoff."

Medienwissenschaftler Daniel Müller; Foto: Daniel Müller
Beurteilt die Aufstiegschancen im Bildungsbereich für einkommensschwache Migranten skeptisch: Daniel Müller, Medienwissenschaftler der "Media of Diaspora Research Group".

​​Auch die Ansicht, Migranten könnten ihre Lebenswelten in die Medien transportieren, teile er nicht: "Dann müsste man konsequent fordern, die Medien sollten 30 Prozent Arbeiter mit Hauptschulabschluss einstellen, deren Lebenswelt sonst zu kurz kommt."

Generell drängt sich die Frage auf, ob die Rechnung so leicht aufgeht. Bedeutet eine größere Repräsentanz von Migranten in den Medien automatisch eine ausgewogenere Berichterstattung oder zumindest weniger Stereotypisierung?

Medienexperte Müller bleibt auch hier skeptisch: "Die Berichterstattung richtet sich nach den Nachrichtenfaktoren, die vom antizipierten Publikumsinteresse bestimmt werden und gesellschaftliche Realitäten und Machtverhältnisse spiegeln", erläutert er – und bringt das Problem mit einem Beispiel auf den Punkt:

"Im Jahr 2000 saß im US-amerikanischen Senat unter 100 Senatoren kein einziger Afroamerikaner (und das bei einem Bevölkerungsanteil von 12 bis 13 Prozent).Was hätte es genützt, wenn alle Senatsreporter schwarz gewesen wären?"

Das Ziel einer angemessenen Repräsentanz aller Menschen in den Medien bleibt erstrebenswert. Auch die Eigeninitiative der Betroffenen, der Menschen mit Migrationshintergrund, ist ein wichtiger Schritt in diese Richtung. Notwendig sind vor allem positive Vorbilder, die jungen Migranten als Identifikationsfiguren dienen können. Denn sonst, glaubt Daniel Müller, "gehen sie zurück in die Heimat – oder weiter in Drittländer, wo sie aufgrund ihrer Herkunft nicht so stigmatisiert werden wie hier."

Sophie Schabarum

© Qantara.de 2012

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de