Parlamentswahl in der Türkei: AKP verliert absolute Mehrheit

Die Türken haben der islamisch-konservativen Regierungspartei AKP die absolute Mehrheit entzogen. Damit sind auch die Pläne von Staatschef Erdogan, ein Präsidialsystem einzuführen, vom Tisch.

Es ist ein schwerer Rückschlag für den türkischen Staatspräsidenten und Mitbegründer der AKP, Recep Tayyip Erdogan: Bei der Parlamentswahl hat die islamisch-konservative AKP nach zwölf Jahren die absolute Mehrheit verloren.

Die AKP blieb nach Auszählung von 99,9 Prozent der Stimmen zwar stärkste Kraft. Sie erhielt aber nur rund 40,7 Prozent der Stimmen - nach knapp 50 Prozent vor vier Jahren. Das sind weniger als 258 der 550 Parlamentssitze. Mit dem Ergebnis ist die Partei auf einen Koalitionspartner angewiesen. Ein ranghoher AKP-Funktionär brachte aber auch die Möglichkeit einer Minderheitsregierung verbunden mit baldigen Neuwahlen ins Gespräch.

Prokurdische Partei zieht erstmals ins Parlament ein

An zweiter Stelle liegt die größte Oppositionsgruppe, die Mitte-Links Partei CHP, mit rund 25 Prozent und 132 Sitzen. Damit konnte sie ihr Ergebnis von 2011 fast halten. Die ultrarechte MHP legte demnach deutlich zu und kommt mit rund 16,5 Prozent und 81 Sitzen auf den dritten Rang. Sie wurde im Vorfeld als möglicher Koalitionspartner der AKP gehandelt.

Erstmals überspringt die prokurdische HDP, die bislang nur mit unabhängigen Kandidaten im Parlament vertreten war, mit 12,8 Prozent die Zehn-Prozent-Hürde und zieht ins Parlament ein. Damit kommt sie auf 79 Sitze.

Erdogan wollte Macht ausbauen

Das Ergebnis ist für die AKP vor allem ein Rückschlag, weil sie mit mehr Stimmen eigentlich die Verfassung ändern und aus der parlamentarischen Demokratie ein Präsidialsystem machen wollte - mit Erdogan an der Spitze. Die erforderliche Mehrheit, um ein Referendum über eine Verfassungsreform zu deren Einführung abzuhalten, wären aber 330 Sitze gewesen. Bislang ist der Ministerpräsident Regierungschef, der Staatspräsident hat eher repräsentative Aufgaben.

Die HDP war dagegen mit dem Ziel in den Wahlkampf gezogen, Erdogans Pläne, ein Präsidialsystem einzuführen, zu verhindern, und hatte vor einer "Diktatur" gewarnt. Kein Wunder, dass Erdogan die Partei im Wahlkampf scharf angegriffen hatte, obwohl der Präsident nach der Verfassung eigentlich zur Neutralität verpflichtet ist.

Der Ko-Chef der HDP, Selahattin Demirtas, bezeichnete den Parlaments-Einzug seiner Partei in Istanbul als "überwältigenden Sieg". In der Türkei seien die Diskussionen um das Präsidialsystem und die Diktatur beendet. Wer für die HDP gestimmt habe, werde nicht enttäuscht werden. In der südosttürkischen Kurdenmetropole Diyarbakir strömten tausende HDP-Anhänger auf die Straße und feierten ihre Partei.

Gewalt im Vorfeld der Wahl

Das Wahlkampfende war von schwerer Gewalt überschattet worden. Bei einem Sprengstoffanschlag auf eine HDP-Veranstaltung in Diyarbakir wurden am Freitagabend nach Angaben von Polizei und Ärzten mindestens drei Menschen getötet und 220 verletzt. Ministerpräsident und AKP-Chef Ahmet Davutoglu sagte nach seiner Stimmabgabe laut DHA, ein Verdächtiger sei festgenommen worden. Der Hintergrund der Tat blieb weiter unklar. Im Wahlkampf war die HDP immer wieder zum Ziel von Anschlägen und Übergriffen geworden.

Nach Angaben des Innenministeriums schützten am Sonntag mehr als 400.000 Sicherheitskräfte die Wahl. Zehntausende Wahlbeobachter waren im Einsatz. Insgesamt waren 56,6 Millionen Türken zur Wahl aufgerufen. (Reuters/AFP)

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