Navid Kermanis Rede beim Friedenspreis: Plädoyer für Humanität und Brüderlichkeit

Der deutsch-iranische Schriftsteller und Orientalist Navid Kermani ist am Sonntag in Frankfurt mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet worden.

Als Reisenden zwischen den Kulturen und Weltreligionen würdigte der Börsenverein des Deutschen Buchhandels seinen Friedenspreisträger Navid Kermani. Der deutsch-iranische Schriftsteller sei ein Vorbild, sagte der Vorsteher des Börsenvereins, Heinrich Riethmüller, in der Frankfurter Paulskirche. "Ein aufgeklärter Bürger, der Hölderlin und die Poesie liebt, der aus der Literatur und aus seiner Religiosität die Anregungen, Erkenntnisse und Kraft schöpft, die wir, angesichts einer Welt, die aus den Fugen zu geraten scheint, alle brauchen."

Literaturwissenschaftler Norbert Miller, der die Laudatio auf den frischgekürten Preisträger hielt, gratulierte Kermani und betonte, wie wichtig es sei, "den Friedenspreis in einem Augenblick, da die Fluchtbewegungen das Ausmaß einer Völkerwanderung erreicht haben an Kermani zu vergeben".

Schon im Vorfeld hatte der Stiftungsrat auf seiner Homepage festgehalten, Kermani sei "eine der wichtigsten Stimmen in unserer Gesellschaft, die sich mehr denn je den Erfahrungswelten von Menschen unterschiedlichster nationaler und religiöser Herkunft stellen muss, um ein friedliches, an den Menschenrechten orientiertes Zusammenleben zu ermöglichen."

In seiner Dankesrede vor fast 1000 Besuchern appellierte Navid Kermani an die internationale Gemeinschaft, den Krieg in Syrien und dem Irak zu beenden. Dazu seien weit entschlossenere diplomatische und möglicherweise auch militärische Schritte notwendig, so der Orientalist. "Erst wenn unsere Gesellschaften den Irrsinn nicht länger akzeptieren, werden sich auch die Regierungen bewegen."

Kermani ist überzeugt, dass der Krieg nur durch die Mächte beendet werde könne, die hinter den befeindeten Armeen und Milizen stehen und benannte explizit den Iran, die Türkei, die Golfstaaten und Russland - aber auch den Westen. "Wahrscheinlich werden wir Fehler machen, was immer wir jetzt noch tun. Aber den größten Fehler begehen wir, wenn wir weiterhin nichts oder so wenig gegen den Massenmord vor unserer europäischen Haustür tun, den des 'Islamischen Staates' und den des Assad-Regimes."

Am Ende seiner Rede überraschte Kermani die Besucher der Paulskirche mit einer ungewöhnlichen Bitte: man solle für die entführten Christen in Syrien beten, die sich in den Händen der Terrormiliz "Islamischer Staat" befinden. "Ein Friedenspreisträger soll nicht zum Krieg aufrufen. Doch darf er zum Gebet aufrufen", sagte er.

Der in Deutschland als Sohn iranischer Eltern aufgewachsene Kermani ist gleichzeitig Wissenschaftler, Literat und Poet und schafft es immer wieder, zwischen den unterschiedlichsten Polen zu vermitteln. Er setzte sich für die Menschenwürde und den Respekt vor Religionen ein - und er ist eine muslimische Stimme, der man Gehör schenkt.

Als Reporter berichtet er aus Kriegs- und Krisengebieten; zuletzt schrieb er für das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" über Flüchtlingsschicksale. Auf der Frankfurter Buchmesse zeigte sich der 47-Jährige besorgt darüber, wie zerstritten und unsolidarisch Europa angesichts der Flüchtlingskrise sei. Speziell für junge Menschen seien Vielfalt und Multikulturalität in Deutschland inzwischen völlig normal, sagte Kermani. Bei den Flüchtlingen gehe es immer um menschliche Einzelschicksale, und nicht um "Heerscharen von Barbaren", betonte Kermani. (DPA, Reuters, AFP)

Navid Kermani im Qantara-Interview