Dialog als politische Farce

Das jüngste Treffen zum nationalen Dialog dient dem Regime in Damaskus in Wirklichkeit zur eigenen Herrschaftslegitimation sowie zur Schwächung und Isolation der Opposition, meint der syrische Dissident und Schriftsteller Yassin Al Haj Saleh.

Von Yassin al-Haj Saleh

Der Punkt, auf den sich die Sprecher des syrischen Regimes gegenwärtig offenbar kaprizieren, ist der, dass sich die Aktionen des Militärs und der Sicherheitskräfte gegen im Land operierende organisierte, bewaffnete Banden richten. Diese Behauptung wurde zum Fundament der offiziellen Darstellung gegenüber der eigenen Bevölkerung, mehr ab er noch gegenüber dem Ausland. Nur stimmt das so nicht.

Es gibt in Syrien keine organisierten, bewaffneten Banden, und die Operationen der Sicherheitskräfte und des Militärs richteten sich grundsätzlich und zuallererst gegen friedliche Demonstranten. Diejenigen, die verhaftet und gefoltert wurden, die sich jetzt im Gefängnis befinden, sind friedliche Demonstranten, die Freiheit fordern. Es gab bisher keine einzige friedliche Demonstration, deren Teilnehmer nicht mit Verhaftung, Schlägen, Erniedrigungen und Folter in den Stützpunkten der Sicherheitskräfte rechnen mussten.

Märchenwelten des Regimes

Wir stellen fest, dass die Regierung seit über einem Monat von "bewaffneten salafistischen Emiraten" spricht. Vielleicht ist den staatlichen Märchenerzählern inzwischen aufgegangen, dass es sich um "salafistische Emirate" handelt, die noch nicht ein einziges Kommuniqué herausgebracht und deren Emire bisher keinerlei Erklärungen abgeben haben, von ihnen im Internet keine Website existiert, und die Zahl ihrer "Untertanen" so groß ist, wie es dem Regime gerade passt.

Das alles ist schwer zu verdauen. Dennoch ist eine der Regierung nahe stehende Sprecherin erpicht darauf, diese Geschichte US-amerikanischen Medien aufzutischen: "Es gibt eine größtenteils aus religiösen Extremisten bestehende organisierte Gruppe, die Attentate und Mordanschläge verübt."

Den meisten Syrern ist durchaus bekannt, dass es eine "organisierte Gruppe" gibt, die "Attentate und Mordanschläge" verübt, und "ihr Tun" ist in einer Weise dokumentiert, dass hinsichtlich ihrer Verbrechen kein Zweifel besteht.

Teilnehmer am Nationalen Dialog in Syrien; Foto: dapd
Vom schönen Schein des Dialogs: Tatsächlich war kein einziger Vertreter der syrischen Protestbewegung an dem vom Regime initiierten nationalen Dialog am 10. Juli in Damaskus beteiligt.

​​Obwohl diese Gruppe sehr extremistisch ist, wäre es doch "größtenteils" schwierig, sie den "religiösen Extremisten" zuzurechnen, was den Äußerungen der Dame gegenüber Sky News zur Existenz bewaffneter Gruppierungen religiöser Extremisten so viel Beweiskraft verleiht wie den Kindergeschichten über die Existenz von Baabaa und Kobolden. Sie haben sogar dieselbe Funktion: Den Zuhörern Furcht vor einer fremden, bösen Welt einzujagen, die dadurch, dass sie unsichtbar ist, noch böser und fremder wird. Das ist dieselbe Welt, die nicht aufhört, sich gegen „uns“ zu verschwören.

Die Legende vom bewaffneten Widerstand

Erfolgt das Gerede aber auf Arabisch, entfallen die Begriffe "salafistisch" und "Emirate", und es bleiben nicht näher bestimmte bewaffnete Gruppen übrig, die keinerlei Eigenschaften besitzen. Gruppen, die ohne Grund schreckliche Sabotage verüben und eine Verschwörung anzetteln, deren Beteiligte oder treibende Kräfte unbekannt sind. Sie setzen sich für nichts, für kein Ziel ein, das über die willkürliche Tötung von Zivilisten und Militärangehörigen hinaus geht.

Seltsam ist nur, dass sie gerade in den Gegenden aktiv werden, in denen friedliche Proteste stattfinden, und, was noch unerklärlicher ist, die vom Regime organisierten "spontanen Kundgebungen des Volkes" meiden. Vor allem aber sind sie so zahlreich und stark, dass sie die Sicherheitskräfte und die Armee mit Leichtigkeit im Dutzend, ja um das Hundertfache übertreffen.

Es gibt allerdings auch einen Aspekt in der Geschichte über die bewaffneten Gruppen, der ganz und gar nicht erfunden ist. Es kam zuweilen vor, dass sich die aufgebrachten Menschen mit der Waffe in der Hand gegen das wehrten, dem sie ihre Dörfer und Städte, aber auch ihre Familien ausgesetzt waren.

In anderen Fällen gab es gegensätzliche Positionen unter mittleren und unteren Rängen der Armee, die zu bewaffneten Auseinandersetzungen unter ihnen führten. Das sind aber keine organisierten bewaffneten Gruppen. Diese ganze Geschichte wurde zu dem alleinigen Zweck erfunden, dass diese mit den friedlichen Protesten gleichgesetzt werden, die seit 15 Wochen die "gute Nachricht" aus Syrien sind.

Es ist schon bezeichnend, wie die Dame selbst in der Lage war, gegenüber CNN zu erklären, dass es "viele erfundene Geschichten über die Sicherheitskräfte" gebe. Es dürfte schwer sein, Tausende von Syrern noch mehr als mit solchen Worten zu beleidigen, die doch offenbar nur die Ausgewogenheit verteidigen sollten!

Lügen als politischer Imperativ

Kommt diese Beschäftigung mit der Frage der bewaffneten Gruppen aber nicht etwas spät? Bringt es etwas, auf Medien zu reagieren, die sich grundsätzlich darauf stützen, das Volk zu verachten und das Regime zu vergöttern? Oder auf offizielle Sprecher, die ziel- und prinzipienlos sind? Wer sich die Mühen des Lebens auflädt, sieht sich dann auch gezwungen, Aussagen von Leuten als Lügen zu entlarven, die niemals vor der Lüge zurückschrecken. Was sein muss, muss nun einmal sein.

Syrische Panzer im Einsatz; Foto: dapd
Mit Panzern und Gewehren gegen die eigene Zivilbevölkerung: Baschar al-Assad geht seit Beginn der Aufstände vor vier Monaten mit äußerster Brutalität gegen Regimekritiker vor und wendet sich strikt gegen eine demokratische Öffnung seines Landes.

​​Wir tun es also, denn diese Lügengeschichte wurde in letzter Zeit wieder zum Leben erweckt, nämlich in eben diesem Gespräch mit CNN sagte die Dame: "Wenn Sie ein Klima der Gewalt haben, sind Schäden nebensächlich. Wir hoffen aber, in der Lage zu sein, jede bewaffnete oder gewalttätige Gruppierung dadurch zu isolieren, dass wir rasch den nationalen Dialog durchführen und gemeinsam mit der internationalen Gemeinschaft daran arbeiten, dieses große Problem zu überwinden."

Wir lassen einfach mal außer Acht, dass zu den nebensächlichen Schäden 1.650 tote Zivilisten und 15.000 Flüchtlinge in der Türkei und in Libanon gehören. Dazu kommen viele Tausend, die die Erfahrung der Verhaftung machen mussten. Die meisten von ihnen waren extremster Folter ausgesetzt. Wie sollen wir aber dieses seltsame Gerede von "unserer gemeinsamen Arbeit mit der internationalen Gemeinschaft" bei der Lösung des "großen Problems", das heißt, der bewaffneten Gruppen, nicht bemerken?

Dabei lässt nicht das Streben nach der Partnerschaft mit der internationalen Gemeinschaft, obwohl sie doch als verschwörerisch dargestellt wird, sondern die Zuneigung dieser Partnerschaft für den "nationalen Dialog" und "die Isolierung der bewaffneten Gruppierungen" Verwunderung aufkommen.

Offenbar handelt es sich hierbei um Elemente einer neuen Strategie des Regimes, welche die Anwendung von Gewalt gegen den Aufruhr unter dem Vorwand der Existenz bewaffneter Gruppen mit dem Einleiten eines "Dialogs" im Innern und der freundlichen Ansprache an "die internationale Gemeinschaft" verbindet.

Offenbar sind einige Akteure der internationalen Staatengemeinschaft, speziell die US-Amerikaner, bereit, diese neue Strategie abzukaufen. Die Sprecherin des amerikanischen Außenministeriums beeilte sich dann auch, das Treffen von unabhängigen Persönlichkeiten im Hotel Semiramis in Damaskus am 27. Juni als "wichtiges Ereignis" zu bezeichnen, und auch ein französischer Sprecher würdigte es mit ganz ähnlichen Worten.

Druck auf die Aufständischen

Es geht dabei um das Treffen, das offenbar an einem elitären Ort und auf Einladung der Medien durchgeführt wurde, denen es vergönnt war, darüber zu berichten. Daraus wurde mit der Bereitschaft, sich diese neue Strategie zueigen zu machen, "ein wichtiges Ereignis" gemacht.

Lassen wir einmal die Logik des verräterischen Charakters beiseite. Als Initiative hat dieses politische Spiel offenbar das Bedürfnis des Regimes befriedigt, gegenüber der "internationalen Gemeinschaft" den Eindruck zu erwecken, dass es erstens offen ist für "den Marsch zur Demokratie" (so die Formulierung der Sprecherin) und dass die Beteiligung an solchen Treffen ein Element dieses angeblichen "Marsches" ist, was impliziert, dass Nichtteilnahme und Aufstand in die Welt des Extremismus und der Passivität verbannt werden.

Mohammed Habasch; Foto: dapd
Verhaltene Kritik: Der dem Baath-Regime nahestehende syrische Parlamentsabgeordnete Mohammad Habasch monierte während des "Nationalen Dialogs", dass noch immer Tausende Menschen ohne Prozess in den Gefängnissen säßen.

​​Somit werden Treffen dieser Kategorie, unabhängig davon, was deren Teilnehmer damit beabsichtigen und was sie bei diesen Gelegenheiten sagen, zu einer Trumpfkarte in den Händen des Regimes, um Druck auf die Aufständischen auszuüben, anstatt ein Trumpf letzterer im Sinne des Ausübens von Druck auf das Regime zu sein.

Jetzt, wenige Tage nach dem Treffen, wird deutlich, dass diese Begegnung Bestandteil einer politischen und medialen Dynamik war, die das Regime auf Kosten der Aufständischen zurück ins Zentrum der Ereignisse rückte. Angesichts dessen lässt sich also festhalten, dass es sich dabei letztendlich um eine "Nebeninitiative" handelte, die nicht zugunsten der Aufständischen zu Buche schlägt, sondern zu ihren Lasten geht..

Es ist aber eigentliche Aufgabe einer so großen Initiative, sich zugunsten der Veränderung Syriens zu entscheiden, was weit über die "Reformen" des Regimes und dessen Manöver hinausgeht und nichts Geringeres bedeutet als Veränderung – und zwar der Personen, des Denkens und der Regeln des Handelns.

Yassin Al Haj Saleh

© Qantara.de 2011

Übersetzung aus dem Arabischen von Gert Himmler

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de 2011

Yassin Al Haj Saleh ist ein bekannter oppositioneller Autor aus Syrien, der unter Hafez al-Assad 16 Jahre im Gefängnis zubringen musste. Zu seinen Büchern gehört: "Syrien im Schatten: Ansichten in der Blackbox".