Musiker und Versöhner: Stardirigent Daniel Barenboim ist 75 Jahre alt

Daniel Barenboim hängt am Leben. "Trotz aller Schlechtigkeit der Welt - es gefällt mir hier", sagte der jüdische Musiker und Chef der Berliner Staatsoper einmal im Interview. Damit die Welt ein bisschen lebenswerter wird, versucht Barenboim, Musiker und Musikliebhaber über unmögliche Grenzen hinweg zusammenzuführen. Sein berühmtestes Projekt: das israelisch-palästinensische Ensemble "West-Östlicher Diwan". Am Mittwoch (15. November) ist der Gründer und Leiter dieses Ausnahme-Orchesters 75 Jahre alt geworden.

Als Nachfahre russischer Juden in der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires geboren, siedelte Barenboim 1952 mit seiner Familie in den jungen Staat Israel über. Zwei Jahre später - er hatte bereits als Pianist debütiert - wurde er in Salzburg Meisterschüler in der Dirigierklasse von Igor Markevich. Wilhelm Furtwängler, Chefdirigent der Berliner Philharmoniker, lud den elfjährigen Barenboim zu einem Konzert nach Berlin ein. Zu früh nach dem Weltkrieg, fand dessen Vater. Aber das Thema Aussöhnung durch Musik war vielleicht damals schon gesetzt.

Barenboim hatte das, was man eine glänzende Karriere nennt: große Auftritte in Paris, New York, Berlin, London, Tel Aviv, große Lehrer wie Nadia Boulanger und Sir John Barbirolli. Noch im Jugendalter spielte er als Pianist Aufnahmen ein, die ungebrochen Gültigkeit haben. Als 20-Jähriger stand er erstmals bei den Berliner Philharmonikern am Pult. 1981 hatte er die musikalische Leitung bei der Neuinszenierung von Wagners "Tristan und Isolde" in Bayreuth. Der Jude Barenboim interpretiert den Lieblingskomponisten Adolf Hitlers: ein Grenzgang.

Seinen Durchbruch zur Popularität hatte Barenboim aber mit dem Dialogprojekt "West-Östlicher Diwan". 1999 als Sommerworkshop für junge israelische und arabische Musiker in Weimar entstanden, erwuchs daraus eine regelrechte Mission für die Aussöhnung im Nahen Osten. Einen Gleichgesinnten fand Barenboim im palästinensischen Literatur- und Kulturwissenschaftler Edward Said. In dem Orchester führte er junge Musiker aus Israel, den palästinensischen Autonomiegebieten, Libanon, Ägypten, Syrien, Jordanien und Spanien. So hoch der musikalische Anspruch, so simpel ist die Botschaft: Musik kennt keine Feindschaft, Harmonie ist möglich.

Für sein Engagement erhielt Barenboim zahlreiche Ehrungen: den Wilhelm-Furtwängler-Preis, den Deutschen Kulturpreis, die Goldmedaille der Royal Philharmonic Society, aber auch die Buber-Rosenzweig-Medaille, den Hessischen Friedenspreis oder den Westfälischen Friedenspreis, ferner Verdienstorden Deutschlands, Frankreichs, Italiens, Großbritanniens. Sie sind Ausdruck seiner Rührigkeit: ein Macher, ein Hans Dampf, unstet wie ein Weberschiffchen, das Fäden schießt. Er dirigierte - nach Diskussionen mit dem Publikum - Wagner in Jerusalem, er gastierte mit israelischen Musikern in Katar und Ägypten.

Das Engagement des "West-Eastern Divan Orchestra" soll sich verstetigen - mit einer Dezember 2016 eingeweihten eigenen Musikhochschule in Berlin, an der einmal bis zu 90 Studierende aus Nahost ihre Ausbildung absolvieren sollen. Die Einrichtung, maßgeblich von Staatsgeldern finanziert, trägt den Namen Barenboim-Said-Akademie - in Würdigung der beiden Ideengeber dieser musikalisch-politischen Verständigung.

Auch für Benedikt XVI. musizierte Barenboim einmal; in der päpstlichen Sommerresidenz Castel Gandolfo dirigierte er im Juli 2012 vor dem kunstsinnigen Papst und einem kleinen Kreis zwei Beethoven-Sinfonien. Schon wenige Wochen zuvor hatte Benedikt XVI. das Vergnügen, ein Konzert unter Barenboims Leitung zu hören. Es war in der Mailänder Scala, und wieder stand Beethoven auf dem Programm: die 9. Sinfonie, die "Ode an die Freude" im letzten Satz, "Freude, schöner Götterfunken". Der Zeit dieser Welt ein Stück Ewigkeit abringen: Das ist es, was Barenboim tut. Dass mit dem Tod alles zu Ende geht, sagt er, "dagegen kann man nicht kämpfen. Aber im Klang kann man das." (KNA)