Mitten im Krieg beginnt der Poker um Syriens Wiederaufbau

Als Ende Juli Hunderte syrische Flüchtlinge aus dem Libanon in ihre Heimat zurückkehrten, löste dies eine umfangreiche Berichterstattung aus. Im Libanon, der mehr als eine Million Menschen aus dem Nachbarland aufgenommen hatte, nährte dies die Hoffnung auf ein Ende des Ausnahmezustandes.

Außenminister Gebran Bassil erklärte am letzten Montag, der Zeitpunkt für die Rückkehr der Syrer sei nun gekommen. Syrien und Russland wiederum wollen zeigen, dass das Land nach jahrelangem Bürgerkrieg wieder als sicherer Hafen angesehen werden könne. Deshalb wird von der Regierung in Moskau nun ein neues Thema verstärkt in den Vordergrund gerückt: der nötige Wiederaufbau des stark zerstörten Landes. Am Samstag drängte Russlands Präsident Wladimir Putin Kanzlerin Angela Merkel, dass sich Deutschland und die EU engagieren sollten.

Doch der Wunsch nach Milliarden aus dem Westen stößt auf große Skepsis. "Deutschland sollte prinzipiell zum Wiederaufbau beitragen. Das ist unsere humanitäre Verpflichtung", sagte zwar der stellvertretende CDU/CSU-Fraktionschef Johann Wadephul. "Denn nur bei einem Wiederaufbau werden Flüchtlinge zurückkehren beziehungsweise nicht weiter hierher wandern wollen." Auch im irakischen Tikrit habe Deutschland schließlich den Wiederaufbau mit einem Resettlement erfolgreich durchgeführt, argumentierte er.

Allerdings ist man sich parteiübergreifend einig, dass es ohne klare Zugeständnisse von Machthaber Baschar al-Assad und Russland kein Geld geben dürfe. "Hier geht es vor allen Dingen auch um eine Verfassungsreform und mögliche Wahlen", erklärte die Kanzlerin. "Wiederaufbauhilfe kann es nur bei einem nationalen Aussöhnungsprozess und einer Aufarbeitung der Kriegsverbrechen geben", sagte der Grünen-Außenpolitiker Omid Nouripour.

Der Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik, Volker Perthes, wiederum regt eine gestaffelte Zahlung an: Sollte die syrische Regierung ernsthaft eine Verfassungsreform einleiten, könne man in den Wiederaufbau der nötigsten Infrastruktur wie Krankenhäuser einsteigen. Aber vor weiteren Leistungen müssten Konditionen wie eine sicheres Umfeld für einen Wahlkampf und dann eine Abstimmung über Präsident und Parlament erfüllt werden.

Doch danach sieht es derzeit nicht aus. Bisher regierte Assad mit harter Hand und macht keine Zugeständnisse an die Aufständischen. Es gibt im Gegenteil den Verdacht, dass der Alawit zusammen mit Iran eine systematische Vertreibung der früher mehrheitlich sunnitischen Bevölkerung in vielen Landesteilen zugunsten schiitischer Bewohner forciert. Symbol ist dafür das sogenannte Dekret 10, mit dem ins Ausland geflohene Flüchtlinge ihr Hab und Gut in Syrien verlieren können - weil ihr Eigentum in Abwesenheit einfach konfisziert wird.

Merkel hatte Putin bereits bei ihrem Treffen in Sotschi im Mai auf das Problem hingewiesen. Denn das Dekret führt die offizielle Behauptung Syriens und Russlands ad absurdum, dass die Flüchtlinge wirklich zurückkehren könnten. "Zudem fehlt eine Amnestie, die Assad zumindest für diejenigen aussprechen müsste, die sich dem Militärdienst für die syrische Armee durch Flucht entzogen haben", meint SWP-Direktor Perthes.

Völlig ungeklärt ist die Frage, ob und wie die Millionen im Ausland lebenden Syrer an Wahlen teilnehmen können - und ob Machthaber Assad wirklich eine Abstimmung über ihn akzeptieren würde. "Es stehen vor allem Russland und Iran in der Pflicht, für eine Positionsänderung Assads zu sorgen. Wir brauchen eine Rückkehr in einen von der UN bestimmten Reformprozess in Syrien", sagte Außen-Staatsminister Niels Annen.

Aber es gibt noch ein ganz anderes Problem: "Der Krieg in Syrien ist nicht zu Ende", bremste SPD-Politiker Annen die Wiederaufbau-Debatte. Deshalb hält er auch die Rückkehraufforderungen an syrische Flüchtlinge, die von Russland und in Deutschland vor allem von der AfD kommen, für illusorisch. Schon Merkel hatte in Meseberg vielmehr vor einer humanitären Katastrophe in der Region Idlib im Norden Syriens gewarnt. Dorthin hatten sich die oppositionellen Gruppen vor der vorrückenden syrischen Armee in Sicherheit gebracht. Nun harren rund zwei Millionen Menschen in der Region aus und fürchten einen Großangriff der syrischen Armee, der russischen Luftwaffe und der von Iran gestellten schiitischen Milizen.

In den Gesprächen zwischen Russland und dem Westen gebe es ein fundamentales Missverständnis, meint SWP-Direktor Perthes. Beide rechneten mit unterschiedlichen Gleichungen. Putin spreche von einer einfachen Win-Win-Situation: Der Westen zahle und senke dadurch die Zahl der aufgenommenen Flüchtlinge. Unterschwellig drohe Russland damit, die Zahl der Flüchtlinge ansonsten weiter ansteigen zu lassen. "Aber in der Gleichung fehlt bewusst der nötige politische Rahmen, ohne den eine Stabilisierung Syriens nicht möglich sein wird", sagte Perthes.

Annen lobt, dass nach sieben Jahren Krieg überhaupt über eine andere Entwicklung gesprochen werde. "Mein Eindruck ist, dass Russland langsam versteht, dass es alleine die mit ziemlicher Rücksichtslosigkeit erzielten militärischen Erfolge nicht auf Dauer stabilisieren kann." (Reuters)