Mindestens 95 Tote bei Anschlag in türkischer Hauptstadt Ankara

Nach Angaben des Innenministeriums explodierten die beiden Sprengsätze um kurz nach zehn Uhr Ortszeit vor dem Hauptbahnhof in Ankara. Dort versammelten sich die Teilnehmer der regierungskritischen Demonstration. Die Kundgebung, zu der unter anderem die prokurdische Partei HDP und andere linke Oppositionsgruppen aufgerufen hatten, sollte um zwölf Uhr beginnen.

Die türkische Nachrichtenagentur Anadolu meldete unter Berufung auf Regierungskreise, es gebe erste unbestätigte Berichte, dass es sich um einen Selbstmordanschlag gehandelt haben könnte. Ein Regierungsvertreter erklärte gegenüber der Nachrichtenagentur AFP, man vermute, dass es eine terroristische Verbindung gibt.

Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan verurteilte die Tat als "abscheulichen Anschlag" auf Einheit und Frieden des Landes. "Unsere Regierung arbeitet mit all ihren Einheiten daran, diesen Vorfall aufzuklären", hieß es in einer Mitteilung Erdogans. "Ich glaube daran, dass die Täter in kürzester Zeit festgesetzt und der Justiz übergeben werden".

Kurz nach dem Anschlag war die Lage noch sehr unübersichtlich. Zunächst sprachen Behördenvertreter von 20 Toten, zwei Stunden später war von 30 Todesopfern die Rede. Auch diese Zahl musste im Laufe des Tages nach oben korrigiert werden. In einer Pressekonferenz erklärte Gesundheitsminister Mehmet Müezzinoglu am Nachmittag, es seinen mindestens 186 Menschen getötet worden. Außerdem gebe es 186 Verletzte.

Unmittelbar nach dem Anschlag, waren offenbar kaum Polizisten vor Ort. Erst nach 15 Minuten seien vermehrt Sicherheitskräfte eingetroffen, berichten Augenzeugen. Dann hätten sie Tränengas gegen Menschen eingesetzt, die den Verletzten helfen wollten. Im Gegenzug wurden Polizisten von wütenden Demonstranten als "Mörder" beschimpft und mit Holzstangen angegriffen. Um die Lage unter Kontrolle zu bringen, setzten die Sicherheitskräfte Schüsse in die Luft ab. Regierungskritische Medien berichten, es seien mittlerweile 30 Menschen festgenommen worden. Dabei soll es sich aber nicht um Tatverdächtige, sondern um Demonstrationsteilnehmer handeln. Für den Abend wurde über Twitter zu Demonstrationen in mehreren türkischen Städten aufgerufen.

PKK stoppt Angriffe

Der Ko-Vorsitzende der HDP, Selahattin Demirtas, bezeichnete den Anschlag als "großes Massaker" und "barbarischen Angriff". Auf Twitter schrieb der Politiker: "Diejenigen, die Frieden wollen, werden ermordet". Die Demonstranten wollten in Ankara gegen den seit Monaten schwelenden Konflikt zwischen der Regierung und den kurdischen Rebellen demonstrieren. Zuletzt hatte die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) zahlreiche Anschläge auf türkische Soldaten und Polizisten verübt. Die türkische Armee reagierte mit dem Bombardement von PKK-Stellungen im Nordirak.

Nur wenige Stunden nach dem Attentat rief die PKK ihre Kämpfer dazu auf, alle Guerilla-Einsätze in der Türkei einzustellen. Nach "Appellen aus der Türkei und dem Ausland" habe die Bewegung eine "Zeit der Inaktivität" beschlossen, hieß es in einer veröffentlichten Erklärung. Die Nachrichtenagentur Firat zitierte ein hochrangiges PKK-Mitglied mit der Aussage, die Kämpfer sollten alles vermeiden, was eine "faire und gerechte" Wahl am 1. November verhindern würde. An diesem Tag sind die Türken dazu aufgerufen, ein neues Parlament zu wählen.

Die Nachrichtenagentur Anadolu berichtete unterdessen, Präsident Erdogan sei mit Ministerpräsident Ahmet Davutoglu und anderen Kabinettsmitgliedern zu einem Krisentreffen zusammengekommen. Davutoglu kündigte an, den Wahlkampf für drei Tage auszusetzen.

Reaktionen aus Deutschland

In einer ersten Stellungnahme verurteilte Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier das Attentat: "Dieser brutale Terroranschlag auf friedliche Demonstranten ist zugleich auch ein Angriff auf den demokratischen Prozess in der Türkei". Den Tätern gehe es offensichtlich darum, im Vorfeld der Wahlen ein Klima der Angst und Einschüchterung zu verbeiten und Hass und Zwietracht zu schüren. "Das darf nicht gelingen", erklärte Steinmeier.

Bundeskanzlerin Angela Merkel sprach der Türkei nach dem Anschlag ihr "tief empfundenes Mitgefühl" aus. "Wenn sich die Hinweise auf terroristische Anschläge bestätigen, dann handelt es sich um besonders feige Akte, die unmittelbar gegen Bürgerrechte, Demokratie und Frieden gerichtet sind", hieß es in einem Schreiben Merkels an den türkischen Ministerpräsidenten Davutoglu.

Sevim Dagdelen, Sprecherin der Linke-Fraktion für Außenbeziehungen und Vizechefin der Deutsch-Türkischen Parlamentariergruppe, erklärte, mit einem solchen Vorfall sei zu rechnen gewesen: "Die blutige Saat der Politik Erdogans, Andersdenkende als Terroristen und damit als Zielscheibe zu markieren, ist mit den Bombenanschlägen auf die Friedensdemonstration erneut aufgegangen". (DW, afp, dpa, rtr)