Politik des Zwangs

Abschiebung funktioniert nur mit Hilfe von Intransparenz – so die Botschaft des Kölner Journalisten Miltiades Oulios, der in seinem Buch Licht in das Dunkel dieser Praxis bringen will. Claudia Kramatschek hat es gelesen.

Von Claudia Kramatschek

Gerade erst wieder schlagen Politiker und Medien Alarm: Deutschland drohe eine Armutseinwanderung rumänisch- und bulgarischstämmiger Personen, die meisten von ihnen Roma – der soziale Frieden, so titelte etwa die Frankfurter Allgemeine Zeitung am 19. Februar 2013, sei gefährdet.

Miltiades Oulios – als Autor ein Spezialist in Sachen Einwanderungsgesellschaft – sähe sich angesichts dieser Stimmungsmache wohl in seinen Thesen bestätigt: dass Ausländer in Deutschland nur dann gewollt sind, wenn sie finanziell "nützlich" sind; dass manche deshalb gewollt, andere nicht gewollt sind und daher kriminalisiert und stigmatisiert werden – und dass dies vor allem noch immer für die Roma gilt, obwohl die Verbesserung ihrer Lebenssituation eigentlich auf der Agenda der EU-Staaten steht.

Roma als "genuine Europäer"

Transparent der Kampagne No Border Camp 2012; Foto: © No Border Camp 2012
Bleiberecht für alle: Transparent des "No Border Camp 2012", ein Zeltlager von Aktivisten, die im Juli 2012 in Köln gegen die deutsche Abschiebepolitik demonstrierten.

​​Wer die nun von ihm vorgelegte Abhandlung "Blackbox Abschiebung. Geschichten und Bilder von Menschen, die bleiben wollten" zur Hand nimmt, wird von Oulios mit einer gänzlich anderen Perspektive überrascht: Für ihn stellen die Roma vielmehr "genuine Europäer" dar – weil sie sich als ein Volk verstehen, das über nationalstaatliche Grenzen hinweg existiert.

Und weil sie sich – im Gegensatz zu manch anderen Migrantengruppierungen – den drohenden Abschiebungen in organisierten Aktionen widersetzen: Im Rahmen der Kampagne "alle bleiben" beispielsweise, die das Roma Center Göttingen ins Leben gerufen hatte, wurde am 1. April 2012 eine Massenmail verschickt, in der man die Einführung einer europäischen Roma-Staatsbürgerschaft ankündete.

In "Blackbox Abschiebung" bildet das Schicksal der Roma wiederum eine von vielen – oftmals auch aberwitzigen – Facetten rund um das Thema Abschiebung. Hervorgegangen ist das Buch aus der gleichnamigen Ausstellung, die 2011 eröffnet wurde durch 20 deutsche Städte tourte und die Geschichten von Menschen hör- und sichtbar machte, die abgeschoben wurden.

Tatsächlich werden Menschen auch aus Deutschland, das sich nach langem Ringen 2.000 endlich als Einwanderungsland verstand, noch immer tagtäglich abgeschoben. Menschen, die hier geboren wurden; Menschen, die hier teilweise seit 10 oder 15 Jahren leben.

Abschiebung als unsichtbares Phänomen

Die Mehrzahl der Deutschen weiß, dass es Abschiebungen gibt – nur wenige aber kennen Menschen, die abgeschoben worden sind oder abgeschoben werden sollen. Und noch weniger Menschen wissen, was es eigentlich damit auf sich hat: mit der sogenannten Abschiebung. Dieses Unwissen ist in den Augen von Miltiades Oulios staatlicherseits gewollt: Abschiebung soll nicht sichtbar sein, denn sie passt nicht zum Selbstbild einer sich weltoffen und liberal gebenden Gesellschaft.

Buchcover Blackbox Abschiebung im Suhrkamp-Verlag
In seinem Buch "Blackbox Abschiebung" fordert Oulios einen neuen Begriff von Bürgerrechten, der Migranten das Recht auf Bewegungsfreiheit und das Recht auf einen Ort zuspricht.

​​Abschiebung wird daher, so Oulios, zur Blackbox. Sprich: Abschiebung funktioniert nur mit Hilfe von Intransparenz. Oulios möchte deshalb mit der vorliegenden Abhandlung, die er als eine Art Monografie zum Thema Abschiebung versteht, Licht in das Dunkel dieser Praxis bringen: Wie stichhaltig sind unsere Begründungen dafür, dass Menschen unter Zwang fortgeschafft werden? Welchen Zweck haben Abschiebungen in einer globalisierten Weltgesellschaft? Woher nimmt sich der Staat das Recht, die Rechte der Menschen zu beschneiden, sich frei zu bewegen und an einem Ort zu Hause zu sein? Das sind nur einige der Fragen, die hier zu beantworten sucht.

Ausgehend von den persönlichen Schicksalen derer, die auch in der Ausstellung zu Wort kamen, liefert Oulios daher Zahlen und Fakten: Was kostet beispielsweise eine Abschiebung für den, der abgeschoben wird? Wieviele Menschen sterben in Abschiebehaft? Er beleuchtet die Geschichte der Abschiebung und hinterfragt Terminologien wie die "freiwillige" Ausreise oder das "Ausreisezentrum", das die Deutsche Gesellschaft für Sprache zu einem der Unwörter des Jahres 2002 erklärte.

Er besucht Menschen in Abschiebehaft, die wie Verbrecher in Gefängnissen einsitzen, manchmal zwei bis drei Monate. Er spricht mit sogenannten Abschiebebobachtern, die dafür sorgen, dass die Abschiebung mit dem Flugzeug nicht tödlich endet, wenn notfalls Gewalt angewendet werden muss.

Vor allem solche schockierenden Begleiterscheinungen, so Oulios, führen dazu, dass Abschiebungsgegner diese meist ausschließlich im Rahmen von Menschenrechten statt im Rahmen von Bürgerrechten kritisieren. In Oulios Augen ist dies jedoch ein fataler Fehler.

Eine aus  aus Deutschland abgeschobene Roma-Familie mit ihren sechs Kindern in einer Ein-Zimmer-Wohnung in Plementina bei Pristina im Kosovo; Foto: picture-alliance/ZB
Ausgrenzung, Armut und rassistische Gewalt: Eine im Jahr 2010 aus Deutschland abgeschobene Roma-Familie mit ihren sechs Kindern in einer Ein-Zimmer-Wohnung in Plementina bei Pristina im Kosovo.

​​Der autonome Slogan "Abschiebung ist Folter, Abschiebung ist Mord", so Oulios, sei nämlich verfehlt: "Nicht, weil er etwas Falsches ausdrückt, sondern weil er zu wenig zur Sprache bringt. Und vor allem, weil er den Diskurs des Rassismus wiederholt, ohne einen Begriff von Bürgerrechten, die über das Bestehende hinausweisen, zur Sprache zu bringen."

Vorboten einer Weltrepublik

Oulios fordert daher genau dies: einen neuen Begriff von Bürgerrechten, der Migranten das Recht auf Bewegungsfreiheit und das Recht auf einen Ort zuspricht – eben weil Migration ein fait accompli ist, der sich durch keine noch so rigiden staatlichen Kontrollmaßnahmen unterbinden lässt.

Und er fordert zu einem Umdenken auf: den Migranten nicht als Objekt und Opfer zu sehen, sondern als widerständiges politisches Subjekt, das qua Existenz ein neues Recht erschafft: "Das Revolutionäre an der Migration", so Oulios, "ist ... nicht bloß, dass sie die Zusammensetzung der Bevölkerung verändert und das Selbstverständnis des Nationalstaates herausfordert; das Revolutionäre ist, dass sie eine Veränderung des Rechtsrahmens erzwingt und die formelle Anerkennung kosmopolitischer Bürgerrechte auf die politische Tagesordnung setzt."

Wo der Staat weiterhin abschiebt, um abzuschrecken und um seine vermeintliche Souveränität zu demonstrieren, kommt dies in Oulios Augen daher nur einem Offenbarungseid gleich: dem Eingeständnis, dass er eben nicht souverän ist, da er den Migranten, die kommen, nicht Herr werden kann.

All jene, die abgeschoben werden, erhebt Oulios dagegen zu Vorboten einer noch im Entstehen begriffenen Weltrepublik. Freizügigkeit und Reisefreiheit wären deren unabdingbare Insignien – und der generelle Prüfstand für die Weiterentwicklung einer zukunftsfähigen Idee der Demokratie im 21. Jahrhundert.

Für Oulios steht damit nichts Geringeres auf der Tagesordnung als die Institutionalisierung von Formen der Weltbürgerschaft. Noch ist das Zukunftsmusik. Bis dahin aber liefert "Blackbox Abschiebung" allen, die sich dafür einsetzen wollen, so provokante wie dringend benötigte Denkanstöße.

Claudia Kramatschek

© Qantara.de 2013

Miltiades Oulios: "Blackbox Abschiebung. Geschichten und Bilder von Menschen, die gerne geblieben wären", Edition Suhrkamp 2013, 483 Seiten

redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de