Schmutziges Spiel

Was in Kairo als Protest tausender koptischer Christen begann, eskalierte schnell zu einem gewaltsamen Angriff des Militärs gegen friedliche Demonstranten - mit dramatischen Konsequenzen für die Sicherheit und die demokratische Zukunft des Landes. Ein Kommentar von Joseph Mayton aus Kairo.

Seit Jahren sorgen sektiererische Aufwiegler für ein gespanntes Verhältnis zwischen Christen und Muslimen, allerdings konnte das autoritäre Regime in Kairo bis zum Sturz Mubaraks die verschiedenen Gruppierungen stets in Schach halten. Doch am vergangenen Sonntag (9.10.) bediente sich nun der Hohe Militärrat in Ägypten eines schmutzigen Medienspiels, um unwahre Anschuldigungen gegen koptische Demonstranten in Umlauf zu bringen.

Diese wurden u.a. bezichtigt, die Armee angegriffen zu haben, wobei Kinder als Schutzschilde eingesetzt worden seien. Als Stunden später die ersten blutverschmierten Leichen zu sehen waren, führte das staatliche Fernsehen erneut sektiererische Bestrebungen als Ursache für die Gewalt an und beschwor die Ägypter, "sie sollten auf die Straße gehen, um die bewaffneten Streifkräfte zu schützen."

Die Folge war, dass ultra-konservative Muslime mit Gewehren, Stöcken und Steinen bewaffnet in der Kairoer Innenstadt auf Demonstranten stießen, die am späten Abend jedoch längst nicht mehr nur aus Kopten bestanden. Hier protestierte die gesamte ägyptische Bevölkerung, die ihrer Wut gegen den Militärrat freien Lauf ließ und sich gewaltbereit zeigte.

Entfesselte Gewalt

Es gab so viele Tote, wie man sie seit der Januar-Revolution nicht mehr gesehen hatte - zu jener Zeit, als Mubaraks Schergen ungefähr 1.000 Menschen umgebracht hatten.

Ausschreitungen in Kairo vom 9. Oktober 2011; Foto: dapd
Das Militär im Zwielicht: Die Vereinigungen der koptischen Christen haben inzwischen die Armeeführung für den Gewaltexzess mit insgesamt 26 Toten verantwortlich gemacht. Diese bestreitet bislang jedoch, die Militärpolizisten mit scharfer Munition versehen zu haben.

​​Mit dem Appell an die Ägypter, die Waffen gegen die koptische Bevölkerung zu erheben, beschwört das Militär im Prinzip einen Bürgerkrieg herauf. Und damit zu einem Konflikt, den nur die Armee beenden kann, was wiederum die Notwendigkeit für eine bleibende militärische Führung an der Spitze als unumgänglich erscheinen lässt.

Wenn diesem gefährlichen Pokerspiel der Militärs nicht unverzüglich Einhalt geboten wird, sind Chaos und Gewalteskalation unausweichlich.

Es war die Schuld des Militärs, dass es am vergangenen Sonntag zu dem Gewaltausbruch kam, bei dem die eigenen Bürger getötet und die Chance zur Versöhnung zwischen der koptischen Minderheit und der muslimischen Mehrheit wohl endgültig vergeben wurde. Damit hat das Militär einmal mehr deutlich signalisiert, dass an der Präsenz der Armee sowie am drakonischen Notstandsrecht für die Sicherheit des Landes auch in Zukunft nicht gerüttelt wird.

Dieses Spiel hätte wohl nur noch von einer Person besser gespielt werden können: Ex-Präsident Hosni Mubarak , der gegenwärtig vor Gericht steht, weil er die Tötung der Demonstranten im Januar angeordnet hatte.

Botschaft des Hasses

Die gestrigen Ausschreitungen machen jedoch noch einen weiteren Aspekt deutlich: Die Muslime schienen sehr schnell bereit, gegen ihre koptischen Brüder zu den Waffen zu greifen. Augenzeugen und andere unbeteiligte Beobachter hörten den ganzen Abend lang schockierende Kommentare, die zugleich traurig stimmten und beängstigend wirkten. Einige Muslime riefen dazu auf, die Kopten zu töten, andere beschimpften den koptischen Papst Shenouda, und wieder andere ließen ihrer Wut gegen die Christen freien Lauf.

Frau in Kairo erschüttert von den Unruhen; Foto: dapd
Sprachlosigkeit, Wut und Trauer: Die bisher schlimmsten gewalttätigen Zusammenstöße seit dem Sturz Mubaraks riefen weltweit bestürzte Reaktionen hervor.

​​Trotz der Tragik der Ereignisse waren nach dem Gewaltexzess auch Stimmen zu vernehmen, die zu Mäßigung und Toleranz im vorherrschenden Klima der Angst und Gewalt riefen: In einem blutgetränktem Hemd und mit einem um den Kopf gewickelten Verband rief ein an den Unruhen beteiligter Muslim: "Mubarak hat uns umgebracht, jetzt bringt uns das Militär um! Doch lasst uns einander doch nicht gegenseitig umbringen!" Und weiter:  "Ägypten kann ein Land sein, wo alle friedlich zusammen leben, denn wir alle wünschen uns doch im Grunde dasselbe."

Die jüngsten Unruhen haben deutlich gemacht, wie problematisch und angespannt das Verhältnis zwischen den beiden Religionsgemeinschaften ist, was über Jahre im ganzen Land immer wieder zu Konflikten und Gewalt zwischen Muslimen und Christen geführt hat.

Das Militär weiß das und schürt den latent vorhandenen Hass vor allem in den konservativ ausgerichteten Gruppierungen der beiden Religionsgemeinschaften. Auf diese Art wurde eine Kluft in die so prekäre Eintracht getrieben, die seit dem 11. Februar herrschte, dem Tag, an dem Mubarak seinen letzten Auftritt hatte.

Zum gegenwärtigen Zeitpunkt, das heißt 24 Stunden nach einem der blutigsten Tage in der ägyptischen Geschichte, gibt es nur noch wenig Hoffnung, viel Enttäuschung und eine gewaltige Wut - sowohl im Internet, als auch innerhalb der christlichen Gemeinschaft. Was in den nächsten Tagen und Wochen geschehen wird, könnte daher ausschlaggebend für die ägyptische Zivilgesellschaft und das Schicksal der Revolution selbst sein.

Joseph Mayton

© Qantara.de 2011

Übersetzt aus dem Englischen von Antje Heizmann

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de